Arzneimittel und Therapie

Homöopathie bei ADHS: "Er gaukelt und schaukelt, er trappelt und zappelt"

Auch wenn in den letzten Jahren vermehrt darüber diskutiert wird: Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, ist keine "Mode-Diagnose". Schon vor mehr als 150 Jahren wurde das Krankheitsbild vom Frankfurter Kinderarzt Heinrich Hoffmann in der "Geschichte vom Zappel-Philipp" eindrucksvoll beschrieben. Wird medikamentös behandelt, ist Methylphenidat die Therapie der Wahl. Alternativ oder additiv bietet sich aber auch die Homöopathie an. Konkretes wurde auf dem 3. Internationalen Symposium "Homöopathie in Klinik, Praxis und Forschung", am 
Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München diskutiert.

Hyperaktivität, leistungsbeeinträchtigende Konzentrationsstörungen und Impulskontrollstörungen, die situationsübergreifend in verschiedenen Lebensbereichen auftreten, charakterisieren das klinische Bild der ADHS. Über die Prävalenz gibt es unterschiedliche Daten – je nachdem, welches Klassifikationssystem verwendet wird. Nach IDC-10 liegt sie zwischen 1 und 3%, nach DSM-IV zwischen 4 und 8% der Schulkinder.

Entscheidend für die Diagnosestellung ist laut Myriam Schroeder, Leitende Oberärztin der Heckscher Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, das frühe Auftreten der Symptome, nämlich schon im Vorschulalter. Ebenfalls wichtig: Sie sind stark ausgeprägt und von längerer Dauer. Komorbide Störungen, allen voran Störungen des Sozialverhaltens, aber auch Depressionen, Ängste oder Tics sind nicht selten. Die bisherigen Kenntnisse zur Ätiologie sind laut Schroeder "noch nicht der Weisheit letzter Schluss".

Eine multifaktorielle Genese wird angenommen mit primären Ursachen in einer genetischen Disposition, die zu Störungen des Neurotransmitterhaushaltes führen soll. Umweltfaktoren wie Alkohol in der Schwangerschaft und Frühgeburtlichkeit scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen. Psychosoziale und familiäre Einflüsse werden dagegen eher im Sinne von Risikofaktoren verstanden.

Je nach Schweregrad: Beratung – Verhaltenstherapie – Psychostimulanzien

Eckpfeiler der Therapie sind Aufklärung und Beratung von Eltern, Kind und Umfeld und eine daraus resultierende "liebevolle Konsequenz". "Da ist schon viel gewonnen", betonte Schroeder. "In leichteren Fällen ist das oft schon ausreichend." Patienten-, Eltern- oder Schul-zentrierte Verhaltenstherapien sind eine weitere Möglichkeit. Dabei ist es auch wichtig, dass den Eltern ein neuer Blick auf das Kind ermöglicht wird, in dem auch die positiven Seiten ihren Platz finden. Ist eine medikamentöse Therapie indiziert, stehen Psychostimulanzien, allen voran Methylphenidat, an erster Stelle. Bei Non-Response sind Antidepressiva möglich. Als neue Option gilt Atomoxetin, ein selektiver Hemmstoff des Adrenalinstoffwechsels, der möglicherweise 2005 auch in Deutschland auf den Markt kommt.
 

Die Geschichte vom Zappel-Philipp

"Ob der Philipp heute still wohl bei Tische sitzen will?" Also sprach in ernstem Ton Der Papa zu seinem Sohn Und die Mutter blicket stumm Auf dem ganzen Tisch herum. Doch der Philipp hörte nicht, was zu ihm der Vater spricht. Er gaukelt Und schaukelt, er trappelt Und zappelt Auf dem Stuhle hin und her. "Philipp, das missfällt mir sehr!" Seht ihr lieben Kinder, seht, wie's dem Philipp weiter geht! Schaut genau auf dieses Bild! Seht! Er schaukelt gar zu wild, bis der Stuhl nach hinten fällt; da ist nichts mehr, was ihn hält; nach dem Tischtuch greift er, schreit. Doch was hilft's? Zu gleicher Zeit Fallen Teller, Flasch und Brot. ..."

Aus "Der Struwwelpeter" von Dr. Heinrich Hoffmann

Homöopathie auf dem Prüfstand

Gerade bei Kindern aber ist der Einsatz von Psychopharmaka kritisch zu überdenken, die Vorbehalte der Eltern oft groß. Eine Alternative könnte im Einzelfall die Homöopathie bieten. Laut Dr. Thomas Bonath, Karlsruhe, kann sie die Therapie mit Psychostimulanzien überflüssig machen, reduzieren oder in ihrer Wirkung ergänzen. "Die Homöopathie kann Prozesse anstoßen oder unterstützen, die zu einer Kompensation der Störung führen können", so Bonath. Allerdings ist ADHS keine bewährte Indikation für die Homöopathie.

Dennoch: Bonath konnte anhand einer retrospektiven Verlaufsbeobachtung zeigen, was mit Homöopathie bei einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung möglich ist: Insgesamt gingen 88 ADHS-Patienten in die Auswertung ein, von denen 50 vordiagnostiziert waren. Von ihnen wurden 29 (48%) mit Methylphenidat bereits behandelt, bei 15 war eine entsprechende Therapie vorgeschlagen worden. Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 13 Monaten konnten unter homöopathischer Behandlung bei 38% (11 von 29) Methylphenidat abgesetzt, bei 48% deutlich reduziert werden (mittlere Tagesdosis 40 mg versus 10 mg). Eine Besserung trat bei 62,5% der Patienten auf.

Ausführliche homöopathische Anamnese ist unabdingbar

Die Palette der eingesetzten homöopathischen Präparate ist breit gefächert. Dr. Christian Lucae, Assistenzarzt im Projekt "Homöopathie in der Pädiatrie" am Dr. von Haunerschen Kinderspital verwies auf zwei klinische Studien zum Thema Homöopathie und ADHS, in denen am häufigsten Datura stramonium, Artemisia cina, Hyoscyamus niger, Veratrum album und Tarentula hispanica verwendet wurde. Basis ist in jedem Fall eine ausführliche über bis zu zwei Stunden dauernde homöopathische Anamnese. Er selbst stellte zwei Kasuistiken vor: Bei einem 19-monatigen Jungen und einem achteinhalbjährigen Mädchen ließen sich mit Veratrum album beziehungsweise Hyoscyamus niger gute Effekte erzielen. Bonath ließ aber an einem keinen Zweifel: Die kräftigste Säule in der Therapie ist die Elternarbeit. "Die Eltern sind dafür verantwortlich, dass das Kind mit sich und seiner Umwelt klar kommt!"

Dr. Beate Fessler, München

Quelle 
Dr. Christian Lucae, München; Dr. Thomas Bonath, Karlsruhe; Myriam Schroeder, München: „ADHS und Homöopathie“, im Rahmen des 3. Internationalen Symposiums Homöopathie in Klinik, Praxis und Forschung, Dr. von Haunersches Kinderspital der LMU München, 27. November 2004.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.