Arzneimittel und Therapie

Pflanzliche Alternative bei ADHS?

Pycnogenol ruft weniger Nebenwirkungen als Methylphenidat hervor

Weltweit leiden mehr als 5% der Kinder und Jugendlichen am Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS. Die medikamentösen Therapieoptionen sind begrenzt – als erste Wahl wird Me­thylphenidat verordnet. Der Einsatz wird kontrovers diskutiert, denn die Einnahme ist häufig mit Nebenwirkungen verbunden. Nun liefert eine aktuelle Studie vielversprechende Ergebnisse zur Wirksamkeit des Meereskiefernrinden-Extrakts Pycnogenol® bei ADHS. Könnte dies eine mögliche Alternative sein?

ADHS zählt zu den am häufigsten im Kindes- und Jugendalter auftretenden Verhaltensstörungen. Dabei kommt es zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefiziten, motorischer Hyperak­tivität und Impulsivität. Die Ursache ist bisher nicht eindeutig belegt, aber Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirns, zusammen mit psycho­sozialen Faktoren, scheinen eine Rolle zu spielen. Das Behandlungskonzept ist multimodal – neben Verhaltenstherapien kommen auch Psychostimulanzien wie Methylphenidat zum Einsatz. Oft wird die Einnahme der Medikation hinterfragt, denn Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und unerwünschter Gewichtsverlust sind häufig und eine Alternative daher wünschenswert.

Foto: Antanina/AdobeStock

Aus der Rinde der Meereskiefer,Pinus Pinaster, wird der Extrakt ­Pycnogenol® gewonnen.

Versus Methylphenidat und Placebo

In einer doppelblinden, placebokontrollierten, randomisierten Studie der Universität Antwerpen wurde die Wirksamkeit von Pycnogenol® bei ADHS untersucht. Dabei handelt es sich um einen Pflanzenextrakt aus der Rinde der französischen Meereskiefer, der eine Kombination aus Procyanidinen, Bioflavonoiden und organischen Säuren enthält, die unter anderem als starkes Antioxidans wirken. Seit mehr als 40 Jahren wird der Extrakt in zahlreichen Studien untersucht und als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. In die Studie wurden 88 Kinder und Jugendliche mit ADHS im Alter von sechs bis zwölf Jahren eingeschlossen. Der Untersuchungszeitraum lag bei zehn Wochen. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen (n = 30, 26, 32) eingeteilt: Placebo, Me­thylphenidat (20 oder 30 mg/d, initial 10 mg/d, Steigerung um 10 mg pro Woche) und Pycnogenol® (20 oder 40 mg/d, initial 20 mg/d für zwei Wochen). Die Wirksamkeit wurde anhand von Befragungen der Eltern und Lehrer der Kinder sowohl zu Beginn als auch im Verlauf von fünf und zehn Wochen untersucht. Hierzu mussten die Eltern und Lehrer Fragebögen basierend auf jeweils neun Punkten zu Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität ­sowie Impulsivität ausfüllen.

Besserung der Symptome bei guter Verträglichkeit

Nach zehnwöchiger Therapie kam es anhand der Lehrerbefragung in der Pycnogenol®-Gruppe zu folgenden Ergebnissen: 29% Abnahme auf der ADHS-Einstufungsskala (vs. 45% unter Methylphenidat vs. 5% unter Placebo), 34% Abnahme der Hyperaktivität/Impulsivität (vs. 36% unter Methylphenidat vs. 1% Zunahme unter Placebo) und 25% weniger Unaufmerksamkeit (vs. 52% unter Methylphenidat vs. 9% unter Placebo). Auch in der Eltern­befragung konnten positive Effekte, wenn auch geringer ausgeprägt, gezeigt werden. Insgesamt konnte zwar festgestellt werden, dass Pycnogenol® nicht der absoluten Wirksamkeit von Methylphenidat überlegen ist, aber im Vergleich zu Placebo eine deutliche Verbesserung der ADHS-Symptomatik aufwies. Zu beachten sind auch die Nebenwirkungen: Unter Methylphe­nidat traten bis zu fünfmal mehr unerwünschte Wirkungen auf. Der pflanzliche Extrakt könnte somit eine nebenwirkungsarme Alternative darstellen – weitere Studien sollten folgen.

„Noch keine klare Empfehlung“

PD Dr. Alexander Häge, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, ordnet die Untersuchung folgendermaßen ein: „Die Studie, auf die sich die Darstellung stützt, ist methodisch insofern gut konzipiert, da sie doppelblind, randomisiert und placebokontrolliert ist. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass das Präparat vornehmlich Impulsivität/Hyperaktivität bei ADHS reduzieren könnte. Die Stichprobe ist allerdings relativ klein. Es handelt sich offensichtlich um erste Befunde, die noch nicht repliziert wurden. Aus meiner Sicht ist daher noch keine klare Empfehlung ableitbar, aber die Daten sprechen dafür, dass es hilfreich sein könnte. Weitere Studien wären wünschenswert.“ |

Literatur

DocCheck Flexikon. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom; verfügbar unter: https://flexikon.doccheck.com/de/Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivit%C3%A4tssyndrom, letzter Zugriff 14.12.2022

Information Pycnogenol®; verfügbar unter: https://www.pycnogenol.com, letzter Zugriff 14.12.2022

Weyns AS et al. Clinical Investigation of French Maritime Pine Bark Extract on Attention-Deficit Hyperactivity Disorder as compared to Methylphenidate and Placebo. Journal of Fuctional Foods 2022; 97:105246-105247

Apothekerin Dr. Martina Wegener

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