Arzneimittel und Therapie

Emesis – Anämie – Knochenmetastasen: Tumorpatienten müssen umfasse

Chemotherapie, Strahlentherapie, Operation: Das sind die vorrangigen Behandlungsstrategien nach der Diagnose eines Krebsleidens. Doch damit allein ist es nicht getan. Gefragt ist vielmehr eine Rundum-Versorgung, die die Lebensqualität von Tumorpatienten insgesamt verbessert. Dazu gehören eine wirksame Antiemese, die Bekämpfung des Fatigue-Syndroms und die Prävention und Therapie von Knochenmetastasen.

Kaum eine Nebenwirkung fürchten Krebspatienten bei einer Chemotherapie so sehr wie Übelkeit und Erbrechen. Einmal schlechte Erfahrungen gemacht, müssen sie sich oft schon beim Anblick der Klinik übergeben – antizipatorisches Erbrechen ist hier das Stichwort. Auch um solche Negativerfahrungen zu vermeiden, ist mit Beginn des ersten Behandlungszyklus eine effektive Antiemese Pflicht. Sie soll das akute Erbrechen sowie das verzögerte Erbrechen, das sich zwei bis fünf Tage nach der Chemotherapie einstellen kann, bekämpfen. Das Risiko zu erbrechen ist individuell verschieden: Frauen und jüngere Patienten sind häufiger betroffen.

Auch eine positive Emesis-Anamnese, sei es im Zuge einer Chemotherapie, einer Schwangerschaft oder Reisekrankheit, ist ungünstig. Die Wahl des antiemetischen Regimes richtet sich primär nach dem emetogenen Potenzial der Zytostatikatherapie. So gilt beispielsweise Bleomycin als minimal emetogen, gering emetogen sind Regimes mit 5-FU. Als mäßig hoch und hoch emetogen werden alle platinhaltigen Regimes sowie Anthracycline oder Cyclophosphamid bewertet – und damit die Mehrzahl der eingesetzten Therapien.

Standard: 5-HT3-Antagonist plus Dexamethason

Die Konsensusempfehlungen zur Behandlung der chemotherapieinduzierten akuten und verzögerten Emesis aus dem Jahr 2001 basieren auf der Gabe von Dexamethason und 5-HT3-Rezeptorantagonist bzw. Metoclopramid (MCP) (siehe Tabelle). Als vorteilhaft gilt die Applikation eines lang wirksamen 5-HT3-Rezeptorantagonisten wie Granisetron (Kevatril®), der mit einer Halbwertszeit von neun Stunden von den bislang in Deutschland zur Verfügung stehenden 5-HT3-Rezeptorantagonisten am längsten wirkt und bei täglicher Einmalgabe einen zuverlässigen 24-Stunden-Schutz bietet. Die intravenöse 1-mg-Dosierung ist ebenso wirksam wie die 2-mg-Tablette und gilt als pharmakoökonomisch besonders günstige Therapieoption.

Mit der Standardtherapie aus 5-HT3-Rezeptorantagonist und Dexamethason wird eine komplette Kontrolle der akuten Emesis bei 70 bzw. 85 Prozent der Patienten erreicht. Im Vergleich zu den 80er Jahren sicher ein Fortschritt. Doch umgekehrt bedeutet das auch: Knapp ein Drittel der Patienten ist nicht ausreichend versorgt. Noch schlechter sind die Daten für das verzögerte Erbrechen, das selbst unter leitliniengerechter Therapie bei der Hälfte der Patienten unter einer hoch oder moderat emetogenen Therapie auftritt. Und längst nicht alle Patienten erhalten die derzeitige Standardtherapie.

Ein weiteres Problem: Die Effektivität der antiemetischen Therapie geht pro Zyklus um etwa 10 Prozent zurück. Nun stehen innovative antiemetische Strategien ante portas, die die Situation verbessern könnten.

5-HT3-Rezeptorantagonist mit langer Wirkdauer

Mit Palonosetron wird ein neuer 5-HT3-Rezeptorantagonist erwartet, der sich durch eine etwa 100fach höhere Bindungsaffinität und eine Halbwertszeit von 40 Stunden auszeichnet. Nach Einmalgabe ist er bei akuter Emesis anderen 5-HT3-Antagonisten etwa gleichwertig, die verzögerte Emesis wird wirksamer bekämpft.

Einige Studiendaten: In einer Phase-III-Vergleichsstudie mit 667 Patienten unter einer hoch emetogenen Chemotherapie wurde das akute Erbrechen nach Einmalgabe von Palonosetron und Dexamethason bei 65 Prozent der Patienten komplett kontrolliert, unter Ondansetron plus Dexamethason waren es nur 56 Prozent. Das verzögerte Erbrechen wurde bei 42 Prozent bzw. 29 Prozent kontrolliert. Bei einer moderat emetogener Chemotherapie ließ sich das verzögerte Erbrechen bei 74 Prozent der Patienten komplett verhindern (Ondansetron: 55 Prozent).

NK1-Rezeptorantagonist: Substanz-P-Blockade durch Aprepitant

Einen völlig neuen Wirkansatz verfolgen Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten wie Aprepitant, das seit Dezember 2003 eine EU-Zulassung als Zusatzmedikation der antiemetischen Therapie bei Cisplatin-basierter Chemotherapie besitzt. Über den Neurokinin(NK)-1-Rezeptor vermittelt Substanz P seine Wirkung, das bei der Entstehung des akuten und verzögerten chemotherapieinduzierten Erbrechens eine wesentliche Rolle spielt. Aprepitant (Emend®) blockiert die NK1-Rezeptoren im Gehirn und verhindert so deren Aktivität.

In Kombination mit einem 5-HT3-Rezeptorantagonist und Dexamethason lässt sich die akute Emesis besser kontrollieren als mit der Standardtherapie. Verzögertes Erbrechen wird sogar signifikant verbessert. Dies zeigen zwei große Phase-III-Studien an mehr als 1000 Patienten unter hochemetogener Chemotherapie.

Ein Beispiel: Bei 569 Patienten, die entweder nur Ondansetron (Tag 1) plus Dexamethason (Tag 1 bis 4) oder zusätzlich Aprepitant (Tag 1 bis 3) erhielten, ließ sich durch die Dreifachkombination das akute und insbesondere das verzögerte Erbrechen bei deutlich mehr Patienten komplett kontrollieren (akutes Erbrechen: 83 Prozent versus 68 Prozent; verzögertes Erbrechen: 68 versus 47 Prozent).

Standarddosis ist laut einer Dosisfindungsstudie für den ersten Tag 125 mg, an den Tagen zwei und drei 80 mg. Eine Erhöhung der Dosis auf 375/250 mg brachte keine Vorteile. Das verbesserte Ansprechen auf das Therapieregime hielt über sechs Zyklen an. In der Monotherapie oder in Kombination mit Dexamethason ist Aprepitant jedoch nicht so effektiv wie ein 5-HT3-Rezeptorantagonist mit oder ohne Dexamethason. Zu berücksichtigen sind Wechselwirkungen von Aprepitant mit Corticosteroiden: Der NK1-Antagonist kann die Corticosteroidspiegel im Plasma erhöhen.

Zytokine als Gegenspieler von Erythropoetin

Was Tumorpatienten ebenfalls zu schaffen macht, ist die Anämie und das damit eng verbundene Fatigue-Syndrom. Bis zu 30 Prozent sind bereits bei Diagnosestellung anämisch. Schuld daran sind vom Tumor freigesetzte Zytokine, die die Lebensdauer der Erythrozyten reduzieren, die Produktion von Erythropoetin in den Nieren negativ beeinflussen und die Erythropoese im Knochenmark hemmen. Interferon-gamma und TNF-alpha gelten sozusagen als Gegenspieler von Erythropoetin. Unter einer Chemo- oder Strahlentherapie steigt die Zahl der anmischen Patienten auf etwa das Doppelte.

Anämie: facettenreiche Konsequenzen

Die Auswirkungen der Anämie hat viele Facetten. Bekannt sind Effekte auf das ZNS wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit, Lethargie, Depression und verminderte kognitive Fähigkeiten. Doch die Anämie wirkt sich auch negativ auf metabolische Vorgänge und das Herz-Kreislauf-System aus. So ist die Belastungsdyspnoe ein häufiges Symptom der Anämie. Und sie ist prognostisch ungünstig.

Tierexperimentelle Daten sprechen dafür, dass die Anämietherapie die Ergebnisse von Chemo- und Strahlentherapie verbessern kann. In klinischen Studien zeigt sich zumindest ein Trend zu längerem rezidivfreiem Überleben.

Bluttransfusion oder rhErypo

Die traditionelle Therapie der tumorbedingten Anämie ist die Bluttransfusion – mit wesentlichen Nachteilen: Sie ist zeit- und personalaufwändig und der Effekt, die Steigerung des Hämoglobinwerts, hält lediglich einige Tage an. Alternative ist die dreimal wöchentliche subkutane Injektion von Erythropoetin (z. B. Aranesp®, Erypro®, NeoRecormon®). Innerhalb von sechs bis acht Wochen lässt sich damit bei soliden und hämatologischen Tumoren eine Ansprechrate von 60 bis 70 Prozent erzielen, bei lymphoproliferativen Erkrankungen sogar von 75 Prozent.

In einem direkten Vergleich zwischen Bluttransfusion und Erythropoetin bei über 350 Tumorpatienten war die moderne Therapie klar überlegen. Ob der Patient anspricht, lässt sich nach etwa vier Wochen beurteilen. Dann sollte der Hb-Wert um mindestens 1g/dl angestiegen sein. Als optimaler Hämoglobinwert bei Onkologiepatienten gelten 12 bis 14 g/dl. Lässt sich mit Erythropoetin kein Effekt erreichen, muss bei reellem oder funktionellem Eisenmangel Eisen substituiert werden.

Vor Frakturen schützen

Eine häufige Begleiterkrankung von Tumoren sind Knochenmetastasen. Bis zu 80 Prozent der Patientinnen mit einem Mammakarzinom im fortgeschrittenen Stadium leidet daran. Schmerz, Hypercalcämie und pathologische Frakturen sind die damit verbundenen Risiken. Mit Bisphosphonaten wie Ibandronat (Bondronat®) lässt sich nicht nur die lebensbedrohliche Hypercalcämie verhindern. Auch die Lebensqualität wird verbessert, da Frakturen seltener auftreten. Ibandronat kann intravenös und oral appliziert werden (siehe auch DAZ 2003, Nr. 51, S. 52 – 55).

Chemotherapie, Strahlentherapie, Operation: Das sind die vorrangigen Behandlungsstrategien nach der Diagnose eines Krebsleidens. Doch damit allein ist es nicht getan. Gefragt ist vielmehr eine Rundum-Versorgung, die die Lebensqualität von Tumorpatienten insgesamt verbessert. Dazu gehören eine wirksame Antiemese, die Bekämpfung des Fatigue-Syndroms und die Prävention und Therapie von Knochenmetastasen.

Zitate

"Patienten sollten nach verzögertem Erbrechen direkt gefragt werden." Priv.-Doz. Dr. Andreas du Bois

"5-HT3-Rezeptorantagonisten sind Top gegen akutes Erbrechen, weniger allerdings bei verzögerter Emesis." Priv.-Doz. Dr. Andreas du Bois

"Anämische Patienten haben im Allgemeinen ein um 65 Prozent größeres Risiko an ihrer Tumorerkrankung zu sterben, als nicht anämische Patienten." Prof. Dr. Mohammad Nowrousian

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