Meinung

J. Krieglstein, S. KlumppWas braucht die Pharmazie z

Es wurde in den letzten Jahren vielfach versucht, die Beraterfunktion des Apothekers zu testen. Auch wenn die meisten dieser Tests unfair und tendenziös angelegt waren, ein wahrer Kern blieb: Die Beratung der Patienten und Kunden in den Apotheken ist häufig unzureichend. Und das ist nicht verwunderlich. Die älteren Apotheker wurden für die Beratung ihrer Kunden überhaupt nicht und die jüngeren (ab 1972) nur unzureichend ausgebildet. Die armen Apotheker, auf die eine öffentliche Meinung einprügelt, können natürlich nicht für ihre Ausbildungsdefizite verantwortlich gemacht werden. Immerhin versuchen sie durch intensive Fortbildung, ihre Ausbildungsdefizite auszugleichen. Schuld an dieser Misere tragen in erster Linie die Hochschullehrer der pharmazeutischen Chemie, die bei der Diskussion der letzten Ausbildungsordnungen ihre eigenen Besitzstände und nicht das Wohl und die Qualifikation der Apotheker im Auge hatten. Letztendlich sind auch die Politiker schuld, die diese insuffizienten Diskussionspapiere als Bundesverordnungen verabschiedeten.

Pharmazeutische Ausbildung

Es ist an der Zeit, den Apothekern wirklich zu helfen. Sie müssen so ausgebildet werden, dass sie den praktischen Anforderungen, insbesondere der fachkundigen Beratung ihrer Kunden, gerecht werden können. Schließlich hört man jeden Abend im Fernsehen: "Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!" Man wird zurzeit nur schwer Gehör finden, wenn man eine neue Approbationsordnung für Apotheker fordert, da doch gerade erst eine in Kraft getreten ist. Die letzten drei Approbationsordnungen für Apotheker sind zwar immer ein Stückchen weiter Richtung Medizin gerückt, aber das geschah nur halbherzig und gegen den entschiedenen Widerstand der meisten pharmazeutischen Hochschullehrer. Doch sollten inzwischen auch die Konservativsten unter ihnen begriffen haben, dass sie selbst den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Es ist einfach unabdingbar, die Apotheker so auszubilden, dass sie ihren praktischen Aufgaben, das ist in erster Linie die Beratung der Kunden in der Apotheke, gerecht werden können. Da muss man eben in der Ausbildung auf ein paar alte Praktika und Vorlesungen, die keine Entsprechung mehr in der pharmazeutischen Praxis haben, verzichten, um neue, relevante Unterrichtsveranstaltungen einführen zu können. Ganz leidenschaftslos sollte man analysieren, was der Apotheker bei seiner Berufsausübung braucht und darauf muss dann seine Ausbildung ausgerichtet sein. In o. g. Tests wurde immer wieder vorgeführt, was vom Apotheker erwartet wird und was er offenbar nicht immer ausreichend kann: die Beratung von Kunden in Fragen von erwünschten und unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Den Apotheker dafür optimal zu rüsten, muss das Ziel der pharmazeutischen Ausbildung sein. Der Apotheker braucht umfassendes Wissen über die Wirkung von Arzneimitteln. Pharmakologie muss die Leitdisziplin der pharmazeutischen Ausbildung sein. Natürlich kann man Pharmakologie ohne die humanbiologischen Grundlagen nicht verstehen. So sind Anatomie, Physiologie, Biochemie und Pathophysiologie wichtige Grundlagen für das Verständnis von Arzneimittelwirkungen.

Pharmazeutische Technologie, Biologie (der Pflanzen) und Klinische Pharmazie gehören dazu. Aus der pharmazeutischen Chemie wird Biochemie. Die synthetische und klassische analytische Chemie sind für die Ausbildung der Apotheker entbehrlich geworden. Der Apotheker der Zukunft, wenn er überleben will, ist ein Humanbiologe mit umfassenden Kenntnissen der Pharmakologie, Toxikologie und Pharmakotherapie. Ein so ausgebildeter Apotheker wird mit seiner Kompetenz seine Kunden und letztlich auch die Öffentlichkeit davon überzeugen können, dass er ein unverzichtbares Mitglied des Gesundheitswesens ist.

Pharmazeutische Forschung

Die Pharmazie als akademisches Fach leidet an mangelnder wissenschaftlicher Qualität. Sie wird von den anderen naturwissenschaftlichen Fächern immer von oben herab betrachtet. Man hält sie wissenschaftlich für nachrangig. Und das hat handfeste Gründe. Herausragende, weltweit bekannte Wissenschaftler sind in der Pharmazie seltener als in anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist eine hoch angesehene Organisation zur Unterstützung der deutschen Wissenschaft. Gerade Naturwissenschaftler müssen dort Anträge auf finanzielle Förderung stellen, weil die Universitäten ihre Forschung nicht mehr bezahlen können. Ein von der DFG genehmigter Antrag gilt nicht nur als finanzielle Unterstützung der Forschung, sondern auch als Prestigegewinn. Es ist bezeichnend, dass aus der Pharmazie relativ weniger Anträge an die DFG kommen als aus den anderen naturwissenschaftlichen Fächern. Es gibt pharmazeutische Hochschullehrer, die ihr ganzes Leben keinen Antrag an die DFG gestellt haben. Auch findet man die deutschen pharmazeutischen Hochschullehrer zu wenig in den wissenschaftlichen Spitzenjournalen vertreten. Es gibt also eine ganze Menge harter Parameter, die belegen, dass die Pharmazie in ihrer wissenschaftlichen Qualität Nachholbedarf hat. Dabei verkennen wir nicht, dass es auch unter den Pharmazeuten einzelne, aber eben zu wenige, gibt, die Weltniveau erreicht haben.

Die Pharmazie ist eine angewandte Wissenschaft. Das mag die Wissenschaftler gelegentlich daran hindern, an die wissenschaftlichen Grundlagen vorzustoßen. Aber das alleine kann es nicht sein. Man konnte immer wieder beobachten, dass auch angesehene Pharmazeuten dem internationalen Qualifikationsdruck auswichen. Die Pharmazeuten waren und sind vielfach sich selbst genug und vergleichen sich allenfalls noch innerhalb der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Aber das reicht im Computerzeitalter nicht mehr aus. Jeder kann heute an seinem Computer innerhalb kürzester Zeit nachprüfen, wie viel und wie qualifiziert ein Wissenschaftler publiziert und wie oft er zitiert wird, d. h. wie seine wissenschaftliche Arbeit zur Kenntnis genommen wird. Die Zeiten simpler gegenseitiger Beweihräucherung sind vorbei.

Die Pharmazie braucht also nicht nur eine grundsätzlich neue Ausbildung, sie braucht auch massiven Anschub in ihrer Forschung. Die Qualität der Forschung macht das Ansehen eines Faches über die lokalen Grenzen hinaus in der Hochschullandschaft und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft aus. Jeder pharmazeutische Forscher muss sich der internationalen Kompetition stellen und versuchen, zur ersten Garnitur auf seinem Gebiet zu gehören. Das wird zu dem Ansehen führen, das die Pharmazie als Fach braucht, und wird dann nicht mehr Aussagen zulassen wie "Das Fach könnte man sich ohne Verlust für den wissenschaftlichen Kenntnisstand wegdenken".

Die Forschung an der Universität ist auf Erkenntnisgewinn gerichtet, während die Forschung in der Industrie wirtschaftliche Ziele verfolgt. Die pharmazeutische Forschung an den Universitäten und in der Industrie sind also mit völlig unterschiedlicher Zielsetzung angelegt, können sich aber sehr gut und sehr erfolgreich ergänzen, solange jede Seite das tut, wofür sie zuständig und gerüstet ist. Leider wurde an den Universitäten immer wieder probiert, Arzneimittelentwicklung im Stile der Industrie zu betreiben. Viele Kollegen haben ein ganzes Leben lang versucht, ein neues Arzneimittel zu synthetisieren und haben doch nie eines gefunden. Auch neuere Forschungsstrategien zur Arzneimittelentwicklung an der Universität wie "Vom Genom zum Arzneimittel" erscheinen naiv. Sie werden scheitern wie die Schulen davor, weil es abwegig ist, an der Universität Industrieforschung etablieren zu wollen. Die wissenschaftliche Qualität des Einzelnen und seiner Gruppe ist gefragt, deren Forschung auf den Punkt gerichtet ist und dabei wirklich neue Erkenntnisse schafft. Davon sollte es in der Pharmazie so viele geben, wie in den anderen naturwissenschaftlichen Fächern auch. Erst dann wird die Pharmazie gleichwertig mit den anderen Naturwissenschaften sein.

Was braucht also die Pharmazie zum Überleben? Die Frage ist einfach zu beantworten: eine praxisorientierte Ausbildung ihrer Studierenden und eine wissenschaftliche Forschung auf hohem internationalen Niveau – und beides möglichst sofort.

Es wurde in den letzten Jahren vielfach versucht, die Beraterfunktion des Apothekers zu testen. Auch wenn die meisten dieser Tests unfair und tendenziös angelegt waren, ein wahrer Kern blieb: Die Beratung der Patienten und Kunden in den Apotheken ist häufig unzureichend. Der Pharmakologe Professor Krieglstein und die pharmazeutische Chemikerin Susanne Klumpp gehen den Ursachen dieses Defizits nach. In ihrem Meinungsbeitrag fragen sie, was die Pharmazie zum Überleben braucht. Ihre Antwort: eine praxisorientierte Ausbildung und eine wissenschaftliche Forschung.

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