Feuilleton

Insekt des Jahres 2003: Die Feldgrille

Das Kuratorium "Insekt des Jahres" unter der Leitung des Deutschen Entomologischen Instituts in Eberswalde und der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie in Bayreuth hat die Feldgrille zum Insekt des Jahres 2003 bestimmt. Insekten bilden die artenreichste Tiergruppe und werden allzu oft lediglich als Schädlinge und Lästlinge wahrgenommen.

Die Feldgrille Gryllus campestris ist ein allseits bekanntes, aber gleichsam unsichtbares Wesen. Ihr stundenlanges Zirpen kennt jeder, sehen tut sie aber kaum jemand. Dabei wird eine Grille immerhin 25 mm lang (Abb. 1 und 5). Auf einem bulligen, zylindrischen Körper schwarzer oder brauner Farbe sitzt ein großer, helmartiger Kopf, der so breit ist wie die gut ausgebildete Vorderbrust. Ihre Erscheinung erinnert an einen schwarzen, mit feinem Goldsamt besetzten Frack.

Im Gegensatz zur Laubheuschrecke, mit der sie verwandt ist (s. u.), sind bei der Feldgrille die Hinterflügel verkümmert; sie hält sich daher am Boden und kann schnell laufen. Ansonsten ähneln sich beide Arten: Die Fühler sind körperlang; der Rückenschild der Vorderbrust ist sattelartig heruntergezogen; die Vorderflügel sind steife, pergamentartige Flügeldecken (Elytren) und bedecken die dünnhäutigen, längsgefalteten Hinterflügel; die Hinterbeine sind als kräftige Springbeine ausgebildet.

Grillen lieben die Wärme

Die Feldgrille liebt warme und trockene Witterung. Deshalb bevorzugt sie Felder, Raine, Heiden und trockene Wiesen, Kalkmagerrasen und ähnliche Standorte, insbesondere an südlich exponierten Hängen. Die Musikanten des Feldes erfreuen (oder nerven) in ganz Mittel- und Südeuropa und rund um das Mittelmeer herum bis nach Asien hinein die Menschen mit ihrem Gezirpe. In Süddeutschland ist die Grille noch sehr häufig zu hören. Nach Norden hin dünnen die Populationen aus. Mit ihren Lebensräumen geht auch der Bestand der Feldgrille in Deutschland zurück.

Die Feldgrille gehört zur

  • Ordnung der Heu- oder Springschrecken (Orthoptera oder Saltatoria; 15 000 Arten),
  • Unterordnung der Langfühlerschrecken (Ensifera = Schwerttragende; 9000 Arten),
  • Überfamilie der Grillenartigen Heuschrecken (Grylloidea; hier auch die Maulwurfsgrillen = Gryllotalpidae und die Laubheuschrecken = Tettigoniidae),
  • Familie der eigentlichen Grillen (Gryllidae; 2500 Arten), die weltweit verbreitet ist. Nah verwandt mit der Feldgrille ist das Heimchen Acheta domesticus, dessen eintöniges Gezirpe schon manchem den Schlaf geraubt hat, da es sich mit Vorliebe in warmen Wohnräumen aufhält.

    Schrille Töne

    Grillen sind zwar laut, aber sehr scheu. Sie sitzen auf dem Vorplatz ihrer bis zu 40 cm weit und 30 cm tief in den Boden reichenden Wohnhöhle und flüchten beim geringsten Annäherungsversuch in den Eingang. Das Zirpen (Stridulieren) hört dann schlagartig auf. Das "Instrument" der Männchen – nur diese zirpen – ist das Vorderflügelpaar: An den Unterseiten haben sie eine mit etwa 140 Zähnchen besetzte, 3 mm lange Schrillleiste (Säge), an der Oberseite eine Schrillkante. Obwohl beide Flügel gleich gebaut sind, streichen die Männchen stets mit dem rechten über den linken Flügel, also mit der rechten Säge über die linke Kante (Abb. 2).

    Bei genauem Hinhören erweist sich die scheinbar eintönige Weise als durchaus differenziertes Kommunikationsmittel. Die Melodie des Zirpens gliedert sich in Verse, die wiederum unterschiedlich viele Silben zählen. Das gewöhnliche Lockzirpen ist die bekannteste Melodie der Männchen (Abb. 3). Steigt die Sonne in die Höhe, setzt ihr Gesang ein und verstummt erst am Ende der warmen Abendstunden.

    Bis in 50 m Entfernung hören die stummen Weibchen das Werben mit je einem großen und einem kleinen Trommelfell an beiden Vorderbeinen und orten den Musikanten noch aus zehn Meter Entfernung. Hat ein Weibchen sich paarungsbereit beim Männchen eingefunden und dessen Antennen berührt, geht das Männchen zu einem feinen, für den Menschen kaum hörbaren Werbelied über. Mit besonderen Balzlauten muss es das Weibchen trotz dessen freiwilliger Näherung dennoch erst erobern.

    Zehn Häutungen in einem Jahr

    Nach der Befruchtung legt das Weibchen mehrere hundert Eier in Päckchen von 20 bis 40 Stück in der Höhle ab und lässt sie ohne jegliche Brutpflege zurück. Die nach zwei bis drei Wochen schlüpfenden Larven ähneln bereits den Imagines, haben aber noch keine Fühler. Sie fressen, was ihnen in die Quere kommt, hauptsächlich Blätter und Wurzeln von Gräsern und Kräutern, aber auch kleine Bodentiere. Mit einem vorstülpbaren Rüssel, der wie ein Saugschwamm ausgebildet ist, nehmen die Grillen sogar Säfte auf.

    Vor der winterlichen Ruhe häuten Grillen sich bis zu zehnmal. Geht das Jahr zu Ende, graben sie sich einen eigenen Erdgang und ziehen sich an dessen tiefste Stelle zurück, bis die Maisonne sie aus der Winterstarre weckt. (Dass sie dabei hungert, wie Äsop meinte, dürfte eine Fabel sein.) Da die Grille als Spätlarve überwintert, genügen im Frühjahr wenige Häutungen bis zur Imago.

    Rivalen werden niedergesungen

    Die Männchen haben ein eigenes Revier, das sie mit dem Lockzirpen auch potenziellen Rivalen anzeigen. Wagt sich dennoch ein Nebenbuhler in die Nähe, wird er mit dem Rivalengesang (Abb. 4) vertrieben oder es kommt zum Kampf. Die buhlenden Tiere stoßen die Köpfe aneinander, treten mit den Beinen und beißen sich. In Gefangenschaft töten sich die Kämpfer sogar.

    Von Grillen und Schrullen

    Der Gesang der Grille hat auch die Dichter und Denker inspiriert. Berühmt ist die kurze Fabel Äsops von der Ameise und der Grille, die angesichts der Rentendebatte wieder sehr aktuell ist (s. Kasten). Der Begriff Grille (griech. gryllos = Heuschrecke) erfuhr im 16. Jahrhundert im Deutschen eine weitere Deutung. Eine Grille beschreibt seither eine verrückte Idee, eine üble Laune oder eine trübe Stimmung. Dahinter stand der Aberglaube eines Krankheitsdämons in Gestalt des kleinen Insekts. Heine oder Goethe nutzten den Begriff der "wunderlichen Grille" zuweilen als Synonym für Schrulle. Heute ist diese Grillenart aber nahezu ausgestorben. Dagegen ist die Feldgrille ein Objekt der neuronalen Forschung geworden.

    Neurologie der Grille

    Am Zoologischen Institut der Universität Frankfurt am Main geht Professor Werner Gnatzy der Frage nach, wie der Todfeind der Grille, die Grabwespe Liris niger, ihr mehr als doppelt so großes Opfer paralysiert. Die Grabwespe überrumpelt die Grille, indem sie mit bis zu 50 cm pro Sekunde auf sie zu rennt und ihr in das Unterschlundganglion sticht. Darauf erlischt die Aktivität des Zentralnervensystems der Grille für etwa eine halbe Stunde vollständig, sie ist total gelähmt. Die Grabwespe schleppt sie in ihre Wohnhöhle und legt ein Ei zwischen ihre Vorder- und Mittelbeine. Dann verschließt sie den Eingang von außen. Wenn die Grabwespenlarven schlüpfen, sind sie mit Nahrung versorgt.

    Das Liris-Gift breitet sich nicht im Nervensystem aus, sondern beschränkt sich auf das angestochene Ganglion, wo es die Weiterleitung der Aktionspotenziale entlang den Axonen verhindert. Elektrophysiologische Studien ergaben, dass die gestochene Grille ihre neuronale Aktivität auch nach Beendigung der Lähmung nur unvollständig wieder erlangt. Ihr Stoffwechsel bleibt für ihr nur noch kurz bemessenes Leben reduziert.

    Berthold Hedwig im englischen Cambridge untersucht die neurologischen Aspekte des Balzgesangs. Weshalb kann die Grille auf ihre Feinde achten und ein nahendes Weibchen erkennen, wenn sie gleichzeitig buchstäblich ohrenbetäubenden Lärm produziert? Seine Antwort ist erstaunlich. Exakt im selben Bruchteil der Sekunde, in dem die Säge über die Kante streift, blendet die Grille ihre Hörneuronen aus. Dank dieser temporären Dämpfung bleibt der empfindliche Hörsinn erhalten.

    Hedwig hat in Heuschrecken und Grillen das Neuron B-DC3 entdeckt. Während in Wirbeltieren Gruppen gleichartiger Neuronen einen Befehl senden, ist es bei Insekten häufig nur ein einzelnes Neuron (Kommandoneuron). Stimuliert man das B-DC3 mit einem Stromstoß, fängt die Grille an zu singen. Die Grille zirpt also auch für die Forschung.

  • Käufliche Sänger In Hamburg gab es seit dem 17. Jahrhundert Grashüpferverkäufer, und aus Florenz ist "la festa del grillo" bekannt. An diesem Grillenfest, das am Himmelfahrtstag stattfindet, kaufen die Florentiner Grillen in kleinen Käfigen, die sie dann aus dem Fenster hängen, um sich und andere mit dem Zirpen zu erfreuen.

    Wettkämpfer

    Zur Zeit der Sung-Dynastie (960-1278) war in China der Grillenkampf in Mode. Dabei wurden zwei Männchen in kleinen Arenen aufeinander losgelassen. Die wenige Minuten dauernden Kämpfe wurden mit großer Leidenschaft und hohen Wetteinsätzen begleitet. Siegergrillen kosteten damals angeblich so viel wie ein gutes Rennpferd. Nach ihrem Tod wurden sie feierlich in kleinen silbernen Särgen beigesetzt.

    Grillenjagd

    Man nehme ein Haar, binde eine lebendige Ameise daran, und falls man nicht schon hier die Nerven verloren hat, halte man diese in ein Grillenloch und warte geduldig, bis das niedliche kleine Tierchen anbeißt.

    Zitate Die Ameise und die Grille Ameisen trockneten einst feucht gewordene Früchte. Eine Grille bat sich ein wenig davon aus, um ihren Hunger stillen zu können. "Du hättest", sagten sie zu ihr, "auch im Sommer sammeln sollen, dann müsstest du jetzt nicht bei uns betteln." "Oh", antwortete sie, "dazu hatte ich keine Zeit!" – "Was tatest du denn?", fragten die Ameisen. "Ich sang", erwiderte sie, "und ihr wisst, dass mein Gesang den Menschen zum Einschlafen nötig ist." "Wenn dem so ist", höhnten sie, "so lass dich von denen jetzt füttern, die du in den Schlaf gesungen." Wer in der Jugend nicht sammelt, muss im Alter darben! Äsop

    Grillus dienet zu den eiternden Ohren, so er mit seinem Erdreich ausgegraben wird. (...) Der Blasen dienet der Grill mit heißem Wasser gewaschen und eingenommen. Georg Nigidius (Neige), 16. Jh.

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