Berichte

Biomimese bei Arzneistoffen: Mehr Sein durch Schein

Privatdozent Dr. Peter Imming vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Marburg berichtete im Dezember 2001 beim Pharmazeutischen Kolloquium in Greifswald über neueste Forschungsergebnisse seines Arbeitskreises. Dabei lieferte er ergänzende Ansätze zum Verständnis des Wirkmechanismus traditionell verwendeter Pharmaka.

Ähnlichkeitsbetrachtungen waren beteiligt beim frühen Suchen nach neuen Arzneistoffen. Durch die so genannte Signaturenlehre wurden beispielsweise Walnüsse wegen ihrer Gestaltsähnlichkeit zum menschlichen Gehirn – aus heutiger Sicht irrtümlich – als Analgetika eingeführt; größerer Erfolg war der Verwendung von Weidenrinde beschieden, die nach dieser Lehre zur Behandlung von Rheuma und rheumatoider Arthritis Verwendung fand.

Heute wird das Ähnlichkeitsprinzip im Sinne von Komplementarität auf molekularer Ebene angewandt. Dabei wird die Ähnlichkeit der starren Molekülstrukturen betrachtet und Vergleichen unterzogen. In der Rückschau könnte sich dieses Vorgehen, so Dr. Imming, ebenfalls als objektiv nicht haltbar erweisen, da die Dynamik der Moleküle nur unzureichend berücksichtigt wird.

Prinzipien der Biomimese

Auf dem Gebiet der Wirkstofffindung spielt die Nachahmung, also das Sein durch Schein, eine wichtige Rolle, Dr. Imming nannte in diesem Zusammenhang vier Prinzipien der Biomimese:

  • Tarnung liegt z. B. im Falle des Peptidomimetikums Penicillin vor, das unter den natürlichen Substratmolekülen "versteckt", durch Acylierung des aktiven Zentrums der Transpeptidasen das Bakterium inaktiviert und die Phagozytose beschleunigt.
  • Selektion führt von natürlichen Leitstrukturen zu einem optimierten synthetischen Vertreter, wie der Weg vom Cocain zum Lokalanästhetikum Procain veranschaulicht.
  • Ersatz (z. B. Zufuhr von Insulin) und
  • Simulationen (u. a. pharmakokinetischer Vorgänge) vervollständigen die angeführten Prinzipien.

Beta-Lactame ...

Bei der Wirkweise der Beta-Lactame ging der Arbeitskreis von Dr. Imming der Frage nach, ob allein ihr Vierring für die Wirkung verantwortlich ist. Es wurden Hydrolyseexperimente mit unterschiedlichen Ringsystemen durchgeführt, aus denen die d-Lactame (Sechsringe) als vergleichbare, vielversprechende Kandidaten für mögliche Serinprotease-Inhibitoren auf dem Gebiet der Antiinfektiva hervorgingen. Eine Leitstruktur der Gruppe der d-Lactame mit entsprechendem Wirkprofil kann zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht präsentiert werden.

... und Arachidonsäure-Mimetika

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Dr. Imming liegt im Bereich der Entzündungshemmung. Die Überlagerung der Arachidonsäure mit carbocyclischen Analoga führte zu mehreren Substanzen mit Cyclooxygenase-inhibierender Wirkung.

Untersuchungen zur antiphlogistischen Wirksamkeit von Kamille und Schafgarbe führten über das Prodrug Chamazulen zur Chamazulencarbonsäure, die lange vor dem "Ibuprofenzeitalter" den Arylpropionsäuren zuzuordnen ist. In-vitro- und In-vivo-Experimente lassen auf eine Cyclooxygenase-Hemmung schließen. Die antiphlogistische Wirksamkeit ist allerdings an eine Wirkstoffkonzentration gebunden, die aus einer herkömmlichen Teezubereitung nicht erreicht wird.

Aktuelle Untersuchungen werden derzeit mit dem Ziel angestellt, die physiologische Wirkform (Matricin ist das Prodrug von Chamazulen) der pflanzlichen Extrakte zu bestimmen. Die Wirkung, die den untersuchten Verbindungen zugeschrieben wird, wird derzeit allgemein nicht mit der Hemmung der Cyclooxygenase, sondern mit dem Angriff als endogener Antagonist der Cannabis-Rezeptoren begründet.

Für die Pflanze könnte Chamazulencarbonsäure als Indoylessigsäurederivat die Funktion eines Wachstumsförderers (Auxins) erfüllen, die Proazulen-Sesquiterpene wären dann als Depotform anzusehen.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.