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Zukünftige Arzneimittelversorgung: So könnte unsere Arzneiversorgung reformi

DAVOS (diz). Steigende Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die Arzneimittelversorgung rufen die Gesundheitspolitiker auf den Plan. Mit Vorschlägen wie Versandhandel, Freigabe der OTC-Preise oder Einführung des Dispensierrechts versucht man, Lösungen für Kosteneinsparungen zu erarbeiten. Nach Auffassung von Dr. Frank Diener, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales der ABDA, sind dies jedoch untaugliche Mittel. Er stellte im Rahmen der berufspolitischen Diskussion des Fortbildungskongresses in Davos am 24. Januar Reformoptionen für unsere Arzneimittelversorgung vor, mit denen systemkonform deutliche Einsparungen erreicht werden können.

Die Ausgaben für die Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, 1993 betrugen sie noch 29,8 Mrd. DM, im vergangenen Jahr mussten 44,2 Mrd. DM dafür aufgewendet werden. Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt jedoch, dass die Ausgabendynamik ein internationales Phänomen ist und Deutschland mit 7% noch im unteren Bereich liegt. Die USA beispielsweise hat eine Ausgabensteigerung (Vergleich 3/2000 zu 3/2001) von 15 % vorzuweisen.

Auch wenn man die Entwicklung der Gesamtausgaben für Arzneimittel zwischen Deutschland und den USA vergleicht, zeigt sich, dass die USA eine überproportional starke Steigerung aufweist.

Dies führte Diener zur ersten These:

1. Die USA und andere Länder, die mit multiplen Vertriebssystemen arbeiten, "managen" die Entwicklung ihrer Gesundheitsausgaben eindeutig schlechter als Deutschland. Es gibt keine empirische Evidenz dafür, dass die Erlaubnis von Ketten- und Versandapotheken in Verbindung mit einer Freigabe der Arzneimittelpreise die Ausgabenentwicklung besser als das jetzige System steuern würde. Die empirische Evidenz spricht vielmehr dafür, dass das Gegenteil der Fall ist.

Als dominanten Einflussfaktor auf die Ausgabenentwicklung lässt sich nach Diener die Strukturkomponente ausmachen, also die häufigere Verordnung von neueren und damit teureren Arzneimitteln.

These 2 dazu:

2. Nicht die Preis- oder Mengenkomponente, sondern die Strukturkomponente ist die zentrale pharmapolitische Steuerungszielgröße der Zukunft. Sie kann realistischerweise nicht auf Null reduziert werden, sondern liegt im Bereich von 5% p. a.

Die entscheidende pharmapolitische Frage ist also: Wie gehen wir am besten mit ihr um? Oder im Hinblick auf Reformoptionen als Benchmarkfrage formuliert: Würde mit der beabsichtigten Maßnahme ein Beitrag geleistet, die Strukturkomponente besser als bisher in den Griff zu bekommen?

Bei genauerer Betrachtung der Strukturkomponente, die insgesamt auf 3,6 Mrd. DM für 2001 geschätzt wird, zeigt sich, dass der Vertrieb, also Großhandel (0,3 Mrd. DM) und Apotheken (0,7 Mrd. DM) weit weniger an der Strukturkomponente partizipieren als der Nichtvertrieb (die Industrie mit 2,1 Mrd. DM und der Mehrwertsteueranteil mit 0,5 Mrd. DM).

Dieners 3. These:

3. Die Strukturkomponente kann nicht auf ein bloßes Vertriebsproblem reduziert werden: Die komplette Wertschöpfungskette ist involviert und der Nicht-Vertriebsbereich partizipiert mit 71,5 % deutlich stärker als der Vertriebsbereich. Insofern werden über Sozialneid motivierte Ansätze scheitern, die die bessere Beherrschung der Strukturkomponente über Vertriebsreformen versuchen.

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, was die Benutzung des Systems "öffentliche Apotheke" der GKV kostet. Dabei zeigt sich, dass der in den GKV-Ausgaben enthaltene Rohertrag der Apotheken seit 1992 nahezu konstant geblieben ist oder nur leicht schwankte und 2001 lediglich 7,55 Mrd. DM betrug (1992: 7,36 Mrd. DM). Auch die Betrachtung des Rohertrags pro GKV-Durchschnittspackung offenbart, wie moderat der Anstieg war: 1992 betrug der Wert der Durchschnittspackung 31,52 DM, der Rohertrag 7,53 DM; 2000 lag der Wert der Durchschnittspackung bei 50,61 und der Apothekenrohertrag bei 9,53 DM.

These 4:

4. Ein wie auch immer neu gestaltetes System des Arzneimittelvertriebs müsste, um als vorteilhaft gegenüber dem jetzigen System bezeichnet werden zu können, die GKV-Arzneimittelversorgung zu insgesamt günstigeren Konditionen als das heutige System bewerkstelligen.

Wenn ein alternatives System jedoch nur punktuell günstiger ist, kann nicht von einer Vorteilhaftigkeit gesprochen werden. Gesundheitspolitik und Medien diskutieren Reformoptionen, mit denen man Kostensteigerungen bei Arzneimitteln begegnen will. Dazu gehören z. B. Versandhandel, Freigabe der OTC-Preise und ein partielles ärztliches Dispensierrecht. Unterzieht man diese Optionen einem Benchmarktest, wird offenbar, dass sie nicht halten, was ihnen nachgesagt wird. Der Versandhandel funktioniert nur mit Rosinenpickerei, er reduziert nicht die Gesamtkosten, so Diener.

Nimmt man das ärztliche Dispensierrecht unter die Lupe, zeigen die Beispiele USA, Japan oder die Schweiz, dass dadurch die Strukturkomponente sogar verstärkt wird. Und die Option, die OTC-Preise freizugeben, hat überhaupt keinen Einfluss auf die Strukturkomponente.

Dies führt zur 5. These:

5. Trotz häufiger medialer Nennung sind "eingängige" Reformoptionen zur Arzneimittelversorgung (wie z. B. Versandhandel, Preisfreigabe, ärztliches Dispensierrecht) im Hinblick auf die bessere zukünftige Steuerung der Strukturkomponente untauglich. Wer das ignoriert, wird später lernen, dass harte Fakten nicht demokratisierbar sind.

Diener stellte daher die Frage: "Gibt es systemkonforme Reformoptionen, die zukünftig einen besseren Umgang mit der Strukturkomponente ermöglichen? Oder anders formuliert: Haben wir eine alternative, in sich konsistente gesundheits- und ordnungspolitische Gesamtkonzeption zur Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung?" Seine Antwort: der modulare Ansatz der ABDA-Konzeption. Darunter ist ein mehrfacettiges Konzept zu verstehen, das auf verschiedenen Ebenen zur Ausgabenreduktion beitragen kann. Der neue Ansatz liegt beim Arzneimittelmanagement. Während die Arzneimittelpolitik seit Mitte der 70er Jahre den Focus beim Arzneimittelmanagement überwiegend auf den Arzt legte, stagnierte die Ausnutzung von Generikaeinsparpotenzialen, Verbesserungen bei der Patientencompliance etc. Jetzt mache es Sinn, den Apotheker stärker mit einzubinden.

Die These 6:

6. Die bisherige Strategie der Arzneimittelpolitik, bei der Weiterentwicklung des Arzneimittelmanagements (fast) ausschließlich auf den Arzt zu setzen, hat sich erschöpft. Im Hinblick auf die bessere Beherrschbarkeit der Strukturkomponente macht es Sinn, endlich auch verstärkt auf den Apotheker zu setzen und neue strategische Ansätze wie Pharmazeutische Betreuung, (echtes) aut idem etc. zu nutzen.

Zum modularen Ansatz der Weiterentwicklung unserer Arzneimittelversorgung gehört auch die Nutzung der Telematik im Gesundheitswesen, wobei darunter mehr zu verstehen ist als nur die Einführung eines "eRezeptes". Mit einem elektronischen Arzneimittelpass können beispielsweise die individuellen Nachteile und kollektiven Kostenfolgen von Interaktionen u.v.a.m. drastisch reduziert werden.

Das führt zu Dieners siebten These:

7. Arzneimittelpass und eRezept haben als massenhafte Anwendungen eine "Schuhlöffelfunktion" für die Etablierung einer Telematikplattform im Gesundheitswesen, die nach konservativer Abschätzung jährliche Nettoeinsparpotenziale in Höhe von fast 500 Millionen A haben wird.

Nicht vergessen werden darf der Patient, der ebenfalls einen Beitrag zu einem modernen Gesundheitswesen leisten kann. Hier schlägt die ABDA eine Reform des Zuzahlungssystems vor, denn die Mängel des derzeitigen Zuzahlungssystems sind evident: Reduzierungen anstatt Dynamisierung, überdimensionierte Befreiungsquoten (> 50%) und Fehlsteuerungsanreize hin zu Großpackungen.

Vor diesem Hintergrund die achte These:

8. Wer die Strukturkomponente besser beherrschen will als bisher, kann nicht auf eine verstärkte wirtschaftliche Eigenverantwortung der Patienten verzichten. Eine Reform des Zuzahlungssystems kann durchaus mit sozial angemessenen Befreiungsregelungen verbunden sein.

Die Aufhebung des Versandhandelsverbotes wird in der "Berliner Szene" zunehmend weniger lautstark mit Kosteneinsparungen begründet, sondern vielmehr mit "convenience" und "Zeitgeist", stellte Diener fest. Risiken werden dabei negiert. Tatsache ist, dass das Instrument Botendienst schon heute in jedem Einzelfall gewährleistet, dass jeder Patient sein Arzneimittel erhält. Im Hinblick auf das Internet muss also nicht Versandhandel erlaubt, sondern die bestehende Botendienstregelung systemkonform modifiziert werden.

Die These 9:

9. Anstelle der generellen Zulassung des Versandhandels ist es sinnvoll, die bestehenden Regelungen zum "Botendienst in begründeten Einzelfällen" im Hinblick auf die neuen Telekommunikationsmedien zu ergänzen: Soweit apothekenpflichtige Arzneimittel über Telefon, Fax oder Internet bestellt werden und dem Patienten eine Abholung in der Apotheke nicht zugemutet werden kann, darf eine Zustellung nur durch pharmazeutisches Personal der Apotheke durchgeführt werden.

Schließlich: Die Struktur der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) wirkt systemisch stabilisierend auf die Strukturkomponente und Gesamtausgaben. Sie muss deshalb erhalten bleiben. Die Taxstufen der AMPreisV, die auf den Marktstrukturen von 1978 beruhen, müssen allerdings zeitgemäß angepasst werden.

Die These 10:

10. Die sog. Drehung der Taxstufen der Arzneimittelpreisverordnung ist eine systemkonforme Alternative zur Einführung des Versandhandels und würde einen erheblich besseren Umgang mit der Strukturkomponente erlauben.

Steigende Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die Arzneimittelversorgung rufen die Gesundheitspolitiker auf den Plan. Mit Vorschlägen wie Versandhandel, Freigabe der OTC-Preise oder Einführung des Dispensierrechts versucht man, Lösungen für Kosteneinsparungen zu erarbeiten. Nach Auffassung von Dr. Frank Diener, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales der ABDA, sind dies jedoch untaugliche Mittel. Er stellte im Rahmen der berufspolitischen Diskussion des Fortbildungskongresses in Davos alternative Reformoptionen für unsere Arzneimittelversorgung vor.

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