Arzneimittel und Therapie

Phytopharmaka: Ginkgo im Kreuzfeuer der Kritik

Gleich zwei Negativ-Schlagzeilen über Ginkgo ließen in den letzten Tagen Fachwelt und Anwender aufhorchen: Zum einen die Ergebnisse einer in der amerikanischen Fachzeitschrift JAMA veröffentlichten Studie, die keine statistisch signifikanten Unterschiede in Gedächtnisleistung, Lernfähigkeit und Aufmerksamkeit zwischen einer Gruppe, die ein Ginkgo-Präparat einnahm, und der Plazebogruppe festgestellt hatte. Zum anderen eine Mitteilung der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker mit der Überschrift "Blutungen unter der Gabe von Ginkgo-biloba-Extrakten Ų Cave Kombination mit Gerinnungshemmern".

In die Studie, die im JAMA (The Journal of the American Medical Association) [1] veröffentlicht wurde, waren 98 Männer und 132 Frauen über 60 Jahre eingeschlossen. Sie waren in einem guten Gesundheitszustand und hatten den "Mini-Mental-Status-Test" mit einem normalen Ergebnis bestanden. 115 Studienteilnehmern wurde dreimal täglich ein Ginkgo-Präparat mit 40 mg Extrakt (Ginkoba®, Boehringer Ingelheim Pharmaceuticals, Inc.) verabreicht, 115 Probanden erhielten nach dem gleichen Schema Plazebo.

Vor Beginn der Studie und am Ende des sechswöchigen Behandlungszeitraums waren 14 neurophysiologische Tests zur Beurteilung der mentalen Leistungsfähigkeit durchgeführt worden. Sie bezogen sich auf Lernfähigkeit, Gedächtnis, verbales Ausdrucksvermögen, Aufmerksamkeit und Konzentration. Außerdem sollten die Teilnehmer jeweils zu Beginn und am Ende des Einnahmezeitraumes ihre Gedächtnisleistung mittels eines Fragebogens selbst beurteilen. Weiterhin wurde ein naher Angehöriger oder Freund gebeten, in einem Fragebogen Veränderungen der mentalen Fähigkeiten des jeweiligen Studienteilnehmers zu beurteilen.

Kein Benefit für Gesunde

Das Ginkgo-Präparat erwies sich als gut verträglich. Bei den 27 Teilnehmern, die vorzeitig aus der Studie ausschieden (die Häufigkeit war in beiden Gruppen etwa gleich), waren in keinem Fall Nebenwirkungen der Grund für den Abbruch. Bezüglich der neurophysiologischen Tests gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen der Ginkgo- und der Plazebo-Gruppe. Auch in der Selbsteinschätzung und der Beurteilung durch nahe Angehörige bzw. Freunde konnte kein signifikanter Unterschied gefunden werden.

Nach den Empfehlungen des Herstellers sollte das in der Studie verwendete Präparat in einer Konzentration von 120 mg täglich über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen (in der Studie waren es sechs Wochen) verabreicht werden. Solomon und Mitarbeiter zogen die Schlussfolgerung, dass Ginkgo-biloba-Extrakt, wenn er nach den Empfehlungen des Herstellers eingenommen wird, bei älteren Menschen mit normaler kognitiver Funktion keinen messbaren Effekt auf die mentale Leistungsfähigkeit hat. Die Leiter der Studie schließen jedoch nicht aus, dass mit höheren Dosen oder einer längeren Anwendungsdauer möglicherweise Effekte zu erzielen sind.

Experten äußern Unverständnis über Studienergebnis

Die Ergebnisse dieser Studie aus dem Journal of the American Medical Association stoßen bei Experten auf Unverständnis. Nach einer Mitteilung des "Komitee Forschung Naturmedizin e.V." (KFN), einer Einrichtung der forschenden Pflanzenarzneimittel-Hersteller, stehen die Ergebnisse im Widerspruch zu weit über hundert wissenschaftlichen Studien der letzten Jahre, die dem Ginkgo-Extrakt positive Effekte auf mentale Funktionen bescheinigt haben [2].

Die Kritik der Experten richtet sich vor allem gegen das Studiendesign. Die Schlussfolgerung, Ginkgo sei unwirksam, sei unberechtigt, da die Studienteilnehmer ausnahmslos mental gesund waren. Ginkgo-Extrakte seien aber vor allem zur Behandlung krankhafter Prozesse bestimmt, beispielsweise zur symptomatischen Behandlung der Alzheimer-Demenz im frühen und mittleren Stadium. In diesen Anwendungsgebieten sei der Nutzen von Ginkgo-Extrakten wissenschaftlich belegt und in der Praxis langfristig erprobt.

Außerdem wird kritisiert, dass bei Plazebo und Verum ungleiche Darreichungsformen Verwendung fanden. Als Plazebo wurden Gelatinekapseln verabreicht, das Ginkgo-Präparat lag in Tablettenform vor. Dies verstoße eindeutig gegen die gültigen wissenschaftlichen Regeln, von einer Doppelblindstudie könne daher nicht die Rede sein.

Cave: Kombination mit Gerinnungshemmern

Die "Wichtige Mitteilung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker" [3] stützt sich auf eine Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) im Deutschen Ärzteblatt vom 16. August 2002. Darin heißt es, dass in der gemeinsamen Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der AkdÄ 185 Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung Ginkgo-biloba-haltiger Extrakte enthal-ten sind.

20 Verdachtsfälle beziehen sich dabei auf Gerinnungsstörungen. Aus der Literatur ist bekannt, dass Ginkgo-Präparate profibrinolytisch und antagonistisch zum platelet activating factor (PAF) wirken. In Fachinformationen Ginkgo-biloba-haltiger Arzneimittel wird unter "Nebenwirkungen" lediglich auf Einzelfälle von Blutungen bei Langzeitanwendung mit unklarem Kausalzusammenhang hingewiesen.

Die AkdÄ kam aufgrund der vorliegenden Untersuchungen zu dem Fazit, dass Patienten, die Ginkgo-biloba-Präparate einnehmen, offensichtlich gefährdet sind, bei Operationen oder spontan (z. B. intrazerebrale Organeinblutungen) Blutungskomplikationen zu erleiden. Dies könnte insbesondere beim Vorliegen einer bis dahin verborgenen vererbten oder erworbenen Gerinnungsstörung, beispielsweise dem relativ weit verbreiteten und häufig nicht diagnostizierten von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, der Fall sein. Nach Auffassung der AkdÄ ist eine erhöhte Blutungsgefahr auch gegeben, wenn dem Patienten andere gerinnungshemmende Substanzen, insbesondere orale Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmer, verordnet werden.

Eine siebentägige kontrollierte Studie an 50 Patienten, die einen Ginkgo-Spezialextrakt erhielten, hatte zwar keinen Einfluss auf die Blutgerinnung ergeben, auch nicht in Kombination mit Acetylsalicylsäure. Dennoch muss vor allem bei älteren Patienten, die wegen der Indikationen "Hirnleistungsschwäche" und "Thrombozytenaggregationshemmung" Ginkgo-biloba-Präparate und ein gerinnungshemmendes Medikament einnehmen, mit dem potenziell gefährlichen Zusammentreffen beider Medikationen gerechnet werden.

Es ergibt sich die Notwendigkeit, vor der Verordnung von Acetylsalicylsäure oder anderen blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln den Patienten zu befragen, ob er in der Selbstmedikation Ginkgo-biloba-Extrakte einnimmt. Vor einer Verordnung entsprechender Präparate sollte eine eventuell erhöhte Blutungsneigung des Patienten (z. B. das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom) bedacht werden.

Folgen für Verordnung und Selbstmedikation?

In Deutschland ist der von der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsministeriums positiv monographierte, mit einem Aceton-Wasser-Gemisch gewonnene Spezialextrakt (35 – 67:1) zugelassen

  • zur symptomatischen Behandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei demenziellen Syndromen mit der Leitsymptomatik: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen,
  • zur Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit im Stadium II nach Fontaine (Claudicatio intermittens) im Rahmen physikalisch-therapeutischer Maßnahmen, insbesondere Gehtraining,
  • bei Schwindel und Tinnitus vaskulärer und involutiver Genese [4].

Auch in der Selbstmedikation werden gute Umsätze erzielt. Allein für die Marktführer Tebonin®, Ginkobil® und Gingium® werden im Jahr 5,3 Millionen Packungen im Wert von 176 Euro über öffentliche Apotheken verkauft [5]. In den USA ist Ginkgo biloba nicht verordnungsfähig, wird jedoch in Nahrungsergänzungsmitteln vermarktet.

Welche Folgen die beiden Veröffentlichungen für Verordnung und Selbstmedikation von Ginkgo-biloba-Patienten haben werden, bleibt abzuwarten. Fachleute, die sich mit der Anwendung von Phytopharmaka beschäftigen, dürften von den Hinweisen in den "Wichtigen Mitteilungen" nicht überrascht sein. Denn bereits 2001 wurde im Journal of the American Medical Association empfohlen, Ginkgo-biloba-Präparate mindestens 36 Stunden vor einer geplanten Operation abzusetzen, da das Phytopharmakon die Blutgerinnung hemmen kann [6].

Studienlage nicht eindeutig

Auch bezüglich der Wirkung von Ginkgo auf die mentale Leistungsfähigkeit Gesunder und Kranker ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Autoren der JAMA-Studie 2002 verweisen zwar darauf, dass sie keine kontrollierten Studien finden konnten, die die beanspruchten Wirkungen des Herstellers ihres Präparats belegen.

Es existiert jedoch beispielsweise eine kleine (66 Probanden umfassende) randomisierte, plazebokontrollierte, doppelblinde Studie, die zeigte, dass sich bei gesunden Probanden zwischen 50 und 60 Jahren bei vierwöchiger Gabe des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761 in einer Tagesdosis von 240 mg unter anderem Stimmung, Bewegungsabläufe, subjektives Gesundheitsempfinden und Konzentrationsfähigkeit signifikant steigern ließen. Auftraggeber dieser Studie war die Firma Willmar Schwabe Arzneimittel Karlsruhe, der Hersteller von Tebonin® [7].

In den aktuellen "Empfehlungen zur Therapie der Demenz" der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft wird eingeschätzt, dass keine Studienergebnisse vorliegen, die eine klinisch relevante Wirksamkeit von Ginkgo biloba bezüglich der Parameter kognitive Defizite, Alltagsaktivität und klinisches Gesamtbild hinreichend belegen.

Grundlage dafür ist offenbar eine 2000 publizierte Studie, die keine signifikante Wirksamkeit des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761 bei der Behandlung der Demenz und altersbedingter Gedächtnisstörungen finden konnte [8]. Auch das Design dieser Studie ist bei Experten umstritten [2]. Die forschenden Pflanzenarzneimittel-Hersteller (KFN) erhoffen sich nun zuverlässige Ergebnisse von einer zurzeit laufenden sechsjährigen Studie des "National Institute of Health", die die Wirkung von Ginkgo-Extrakt an 3000 Personen prüft. Die Studie soll in drei Jahren abgeschlossen sein.

Kastentexte von-Willebrand-Jürgens-Syndrom

Das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom ist eine häufig auftretende Blutgerinnungsstörung, von der ca. 1% der Bevölkerung betroffen ist. Sie ist angeboren und autosomal-dominant vererbbar, das heißt Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Bei dieser Gerinnungsstörung liegt meist ein kombinierter Mangel an den Gerinnungsfaktoren Faktor VIII sowie von-Willebrand-Faktor vor, der ein wichtiger Stabilisator für den Faktor VIII ist.

Literatur

[1] Solomon, P. R., et al.: Ginkgo for memory enhancement – a randomized controlled trial. J. Am. Med. Assoc., 288 (7) 835 – 840 (2002). [2] KFN – Komitee Forschung Naturmedizin e.V.: Neue Zweifel an Ginkgo-Wirkung unberechtigt. KFN 16/2002, www.phytotherapie-komitee.de. [3] Dtsch. Apoth. Ztg., 35, 4124 (2002): Wichtige Mitteilungen vom 29. 08. 2002. [4] Rote Liste 2002. [5] arznei-telegramm "Ginkgo ohne Einfluss auf Gehirnleistungen". blitz-a-t vom 21. August 2002, www.arznei-telegramm.de. [6] Ang-Lee, M. K., et al.: Herbal Medicines and Perioperative Care. J. Am. Med. Assoc. 286 (2) 208 – 216 (2001). [7] Dtsch. Apoth. Ztg., 48, 5541 – 5543 (2000). [8] van Dongen, C., et al.: The efficacy of Ginkgo for elderly people with dementia and age-associated memory impairment: new results of a randomized clinical trial. J. Am. Geriat. Soc. 48, 1183 – 1194 (2000).

Gleich zwei Negativ-Schlagzeilen über Ginkgo ließen in den letzten Tagen Fachwelt und Anwender aufhorchen: Zum einen die Ergebnisse einer in der amerikanischen Fachzeitschrift JAMA veröffentlichten Studie, die keine statistisch signifikanten Unterschiede in Gedächtnisleistung, Lernfähigkeit und Aufmerksamkeit zwischen einer Gruppe, die ein Ginkgo-Präparat einnahm, und der Plazebogruppe festgestellt hatte. Zum anderen eine Mitteilung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker über die Blutungsgefahr bei der Kombination von Ginkgo-biloba-Extrakten mit Gerinnungshemmern.

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