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Statement der DPhG: Wie sicher sind unsere Arzneimittel noch?

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) wandte sich wegen aktueller Vorkommnisse in Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit beim Wirkstoff Gentamicin an die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Frau Renate Künast, und an die Bundesministeirn für Gesundheit, Frau Ulla Schmidt. Mit dem nachfolgenden Statement informiert die DPhG die Fachöffentlichkeit:

Firmen, die neue Arzneimittel entwickeln, entwickeln zusammen mit dem Wirkstoff und der Darreichungsform auch ein Konzept für deren Qualität. Dieses Konzept kann auch aufrecht erhalten werden, wenn beispielsweise die Herstellung des Wirkstoffs aus Kostengründen ausgelagert wird. Doch welches Konzept für die Qualität des Wirkstoffs haben Firmen, die diesen weder selbst entwickelt haben, noch auf das Know-how der Firma zurückgreifen können, die den Wirkstoff ursprünglich entwickelt hat? Sie verlassen sich in der Regel auf die Vorschriften des Arzneibuchs.

Die Qualität vieler Wirkstoffe ist in den Monographien des Europäischen Arzneibuchs beschrieben. Diesen Monographien liegt die von den Europäischen Zulassungsbehörden zugelassene Qualität zu Grunde. Diese beruht häufig auf den ursprünglich von europäischen Herstellern entwickelten Herstellungsverfahren. Doch werden heute wegen des niedrigeren Preises viele in China oder Indien hergestellte Ausgangsstoffe auch in Europa zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet.

Diese Ausgangsstoffe werden nicht notwendigerweise nach den in Europa üblichen Herstellungsverfahren und Regeln hergestellt. Deshalb kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Monographien des Europäischen Arzneibuchs geeignet sind, die Qualität solcher Wirkstoffe angemessen zu kontrollieren. Die Anwendbarkeit von Monographien muss vielmehr im Einzelfall geprüft werden.

Seit Jahren wird der Druck auf die Arzneimittelpreise immer größer. Damit wächst die Gefahr, dass die Notwendigkeit zur Kostenreduktion Abstriche bei der Qualität und schließlich auch bei der Sicherheit unserer Arzneimittel mit sich bringt. Gibt es dafür Anhaltspunkte?

In den USA wurden nach intravenöser Anwendung von Gentamicin 17 Todesfälle beobachtet, die augenscheinlich auf Qualitätsmängel zurückzuführen waren. Gentamicin ist ein Antibiotikum, das aus einem Gemisch von mindestens vier Aminoglycosiden besteht und mittels Fermentierung mit Hilfe von Micromonospora purpurea hergestellt wird.

Substanzen, die durch Fermentierung hergestellt werden, erfordern besondere Maßnahmen bei der Herstellung und Reinigung, weil sonst toxische Verunreinigungen verbleiben können, die sich mit den üblichen analytischen Verfahren nicht entdecken lassen. Deshalb wird die Monographie Gentamicinsulfat des Europäischen Arzneibuchs durch die Monographie Fermentationsprodukte ergänzt, die Regeln enthält, welche den besonderen Risiken Rechnung tragen, die mit diesem Herstellungsverfahren verbunden sein können. Dass Gentamicin jeglicher Herkunft diesen Regeln entspricht, kann nicht vorausgesetzt werden.

Der Zwischenfall in den USA war Anlass, die Monographie Gentamicinsulfat des Europäischen Arzneibuchs auf eventuelle Schwachstellen zu prüfen. Dazu wurden 21 Muster von Gentamicinsulfat vom deutschen Markt mittels Kapillarelektrophorese und NMR-Spektroskopie untersucht.

Die Ergebnisse zeigen, dass nur fünf Muster, die von zwei verschiedenen Herstellern stammen, eine sehr ähnliche und konstante Zusammensetzung der Aminoglykoside aufweisen. Alle anderen Muster haben eine deutlich größere Variabilität der Zusammensetzung der Aminoglykoside, was wegen deren unterschiedlicher Toxizität nicht unbedenklich ist. Diese Variabilität der Zusammensetzung deutet darauf hin, dass Produktion und Reinigung dieser Muster nicht in jeder Hinsicht den Regeln der Monographie Fermentationsprodukte entspricht.

Der Vergleich der deutschen Muster mit solchen aus den USA hat gezeigt, dass bei 13 von 21 Mustern der angegebene Lieferant nicht mit dem Hersteller identisch war. Alle diese Muster gehören zur Gruppe mit sehr variabler Zusammensetzung und es überrascht nicht, dass ein Teil von ihnen von dem Hersteller stammt, der in den USA den schweren Zwischenfall verursacht hat.

Allerdings scheint die toxische Charge dieses Herstellers in Deutschland nicht verwendet worden zu sein. Dennoch ist dieses Ergebnis bedenklich, denn im Falle eines Zwischenfalls wären gerade die Hersteller von Fertigarzneimitteln, die betroffen gewesen wären, nicht in der Lage gewesen, rasch einen Rückruf zu veranlassen. Sie kennen den tatsächlichen Hersteller des Wirkstoffs nicht.

Die Europäische Arzneibuch-Kommission hat über diese Ergebnisse beraten und als erste Maßnahme den zulässigen Endotoxingehalt für Gentamicinsulfat zur parenteralen Anwendung drastisch gesenkt. Weitere eventuell erforderliche Maßnahmen werden geprüft. Der Fall zeigt jedoch, dass dies nicht ausreichen kann, weil offenbar die Rahmenbedingungen für die Anwendung des Arzneibuchs nicht stimmen. Hersteller, die den Produzenten des von ihnen verwendeten Wirkstoffs nicht kennen, untergraben die Arzneimittelsicherheit.

Deshalb sind die Hersteller von Arzneimitteln aufgerufen, die erforderlichen Lehren aus diesem Fall zu ziehen und durch geeignete Maßnahmen eine lückenlose Zuordenbarkeit von Wirkstoff und Arzneimittelcharge über alle an der Synthese und Herstellung beteiligten Betriebe zu gewährleisten. Behörden, die dulden, dass die Rückverfolgbarkeit nicht gewährleistet ist, tragen eine Mitverantwortung. Deshalb sind die zuständigen Behörden aufgerufen, die lückenlose Rückverfolgbarkeit durchzusetzen.

Pressemitteilung der DPhG: Th. Dingermann, Frankfurt, U. Holzgrabe, Würzburg, H. Wätzig, Braunschweig, D. Schnädelbach, Bonn, M. Schubert-Zsilavecz, Frankfurt, F. Stanislaus, München, A. Ritter, Arnstadt

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) wandte sich wegen aktueller Vorkommnisse in Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit beim Wirkstoff Gentamicin an die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Frau Renate Künast, und an die Bundesministerin für Gesundheit, Frau Ulla Schmidt. Mit einem in dieser Ausgabe veröffentlichten Statement informiert die DPhG die Fachöffentlichkeit.

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