Phytopharmaka

F. Waimer, StumpfQualität quantifizierter Pflanzene

Angesichts der Vielzahl und Vielfalt pflanzlicher Arzneimittel benötigen Verbraucher, Ärzte und Apotheker Qualitätskriterien zur Orientierung. Eine wichtige Grundlage dafür stellt die Monographie "Extrakte" des Europäischen Arzneibuchs dar. Mit dieser im Jahr 2002 neu gefassten Rahmenmonographie verschob das Arzneibuch den Schwerpunkt von der allgemeinen Beschreibung der Herstellungsverfahren auf die Definition des Extraktes [1, 2, 16]. Das Arzneibuch unterscheidet seither drei Extrakttypen, denen die einzelnen Extraktmonographien zuzuordnen sind. Der folgende Beitrag geht insbesondere auf die Anforderungen an quanti–fizierte Extrakte ein.

Extrakttypen

A Standardisierte Extrakte

Diese Extrakte werden auf einen definierten Gehalt wirksamkeitbestimmender Inhaltsstoffe eingestellt. Die Einstellung kann durch Zugabe von inertem Material (z. B. Lactose, Xylitol, Calciumhydrogenphosphat, Siliciumdioxid) oder durch Mischen von Extraktchargen mit verschieden hohen Gehalten erfolgen.

Beispiele sind Rosskastaniensamen-Trockenextrakt und Mariendistelfrüchte-Trockenextrakt, die auf einen definierten Gehalt an Triterpensaponinen (berechnet als Aescin) bzw. an Silymarin eingestellt sind. Voraussetzung für die Zuordnung eines Extrakts zu diesem Typ sind pharmakologische und klinische Daten, welche die Wirkung der Inhalts–stoffe belegen.

B Quantifizierte Extrakte

Diese Extrakte unterscheiden sich von den Extrakten des Typs A dadurch, dass die Inhaltsstoffe, auf die sie eingestellt werden, zwar pharmakologisch relevant sind (active marker), aber nicht allein für seine pharmakologisch und klinisch belegten Wirkungen verantwortlich sein können. Da bei diesen Extrakten die Wirksamkeit von der gesamten stofflichen Zusammensetzung abhängt, dürfen sie nur durch Mischen von Chargen mit unterschiedlichen Gehalten an quantifizierten Inhaltsstoffen eingestellt werden, nicht aber durch die Zugabe von inertem Material, weil dies den Extrakt verdünnen würde. Quantifizierte Extrakte sind z. B. Trockenextrakte aus Ginsengwurzeln oder Knoblauch sowie die unten ausführlich besprochenen Extrakte.

C Andere Extrakte

Zu dieser Gruppe gehören Extrakte, die durch ihr Herstellungsverfahren sowie durch analytische Leitsubstanzen (marker) primär in ihrer pharmazeutischen Qualität beschrieben werden. Bei ihnen ist es (noch) nicht gelungen, die pharmakologische Relevanz bestimmter Inhaltsstoffe eindeutig zu belegen. Die Wirksamkeitsnachweise beziehen sich deshalb auf den Extrakt als Ganzes. Das Ausgangsmaterial, das Auszugsmittel und das Droge-Extrakt-Verhältnis sind hier wesentliche Faktoren für die pharmazeutische Qualität.

Rückblick: 40 Jahre Standardisierung von Extrakten

Mit der Einführung dieser Typologie nimmt das Arzneibuch den vor allem in Deutschland entwickelten Gedanken der Normierung und Standardisierung auf, doch hat es den früheren Begriff "normieren" durch "standardisieren" und den früheren Begriff "standardisieren" durch "quanti–fizieren" ersetzt. Bereits 1965 hat Schilcher eine Äquilibrierung der natürlichen Variabilität des pflanzlichen Ausgangsmaterials anhand von "chemischen bzw. chromatographischen, physikali–schen und organoleptischen Prüfungen" gefordert, um eine möglichst konstante und therapeutisch zuverlässige Qualität bei pflanzlichen Arzneimitteln zu erreichen [3]. 1982 fassten Hefendehl und Lander unter "Standardisierung" (jetzt: "Quantifizierung") alle Maßnahmen zusammen, die notwendig sind, um ein Produkt mit konstantem Gehalt der wirksamkeitsrelevanten Inhalts–stoffe herzustellen [4].

Die Möglichkeit, die quantifizierten Inhaltsstoffe zu deklarieren, beschränkte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 1995 durch den "Bühler-Brief" auf eine sehr kleine Anzahl von Extrakten. Eigentliche Zielsetzung des Papiers war es, die Extrakte selbst als Wirkstoffe zu betrachten und ihr Wirkprinzip nicht auf einzelne, manchmal nur in Spuren vorhandene Kom–ponenten zu reduzieren, auf die die Extrakte oftmals ohne wissenschaftlich gesichertes Fundament eingestellt wurden. Leider hat der "Bühler-Brief" dazu geführt, dass es in der Regel nicht mehr möglich war, bei vielen Phytopharmaka pharmakologisch relevante Inhaltsstoffe zu deklarieren. Die unterschiedliche Qualität pflanzlicher Arzneimittel war damit für den Verbraucher nicht mehr erkennbar. Das in drei Jahrzehnten etablierte Gedankengut der Standardisierung und Quantifizierung bleibt jedoch für die Hersteller qualitativ hochwertiger Phytopharmaka von größter Bedeutung.

Wie die starken natürlichen Inhaltsstoffschwankungen pflanzlicher Drogen durch relativ einfache, gezielte Maßnahmen ausgeglichen werden können, soll im Folgenden an drei Beispielen gezeigt werden. Eine Grundvoraussetzung ist dabei, dass der Hersteller das An–gebot des Drogenmarktes sinnvoll nutzt. Dies wird umso schwieriger, je mehr Extrakt ein einziger Hersteller produziert. Bei Kleinmengen können durch eine Evaluierung des Marktes gezielt geeignete Drogenpartien ausgewählt werden. Bei Großmengen muss dagegen ein breiter Querschnitt des verfügbaren Marktes verwertet werden.

Weißdornblätter mit Blüten

Weißdornpräparate werden seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Behandlung von Herzleistungsstörungen eingesetzt. Im Europäischen Arzneibuch sind Weißdornfrüchte sowie Weißdornblätter mit Blüten monographiert. Als pharmakologisch aktive Bestandteile werden von verschiedenen Autoren vor allem oligomere Procyanidine (OPC) und auch Flavonoide genannt [5, 6].

Weißdornblätter mit Blüten stammen überwiegend aus Sammlungen von Wildbeständen in Albanien und Bulgarien. Aufgrund unterschiedlicher Wachstumsbedingungen (geographische Lage, Sonneneinstrahlung, Klima usw.) variieren die OPC-Gehalte in den extrahierbaren Bestandteilen der Droge (entspricht dem späteren Trockenextrakt, TE; Abb. 1). Drogenchargen mit unterschiedlichen OPC-Gehalten werden so gemischt, dass ein spe–zifika–tionskonformer, quantifizierter Extrakt mit 17 bis 21% OPC erhalten wird (Tab. 1, Abb. 2).

Ginkgo-biloba-Blätter

Trockenextrakte aus Ginkgo-biloba-Blättern finden weit verbreitete Anwendung bei der symptomatischen Behandlung von Hirnleistungsstörungen sowie zur Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (Claudicatio intermittens) und bei Schwindel und Tinnitus.

Die in zugelassenen Arzneimitteln enthaltenen gereinigten Extrakte sind quantifiziert auf 24% Flavonoide, bezogen auf Flavonoidglykoside, 6% Terpenlactone (Ginkgolide A, B und C sowie Bilobalid) und weniger als 5 ppm Ginkgolsäuren. Dieser Extrakt ist im Deutschen Arzneibuch als "Eingestellter Ginkgotrocken–extrakt" monographiert. Einzelne Inhaltsstoffgruppen (Fraktionen) mit spezifischen Teilwirkungen leisten Beiträge zu seiner umfassenden Gesamtwirkung (Tab. 2).

Um die hohen Anforderungen an die Quantifizierung von Ginkgo-biloba-Extrakt erfüllen zu können, wird die Pflanze angebaut. So ist es möglich, Umweltfaktoren wie Klima und Boden gezielt zur Erzeugung von definierten Drogenqualitäten zu nutzen. Ginkgo-Plantagen in Frankreich sind durch mediterranes Klima und einen hohen Humusgehalt der Böden geprägt. Im Anbaugebiet in den USA herrscht dagegen kontinentales Klima mit strengeren Wintern, und die Böden sind überwiegend sandig. Daraus folgt, dass in den Blättern von Pflanzen aus einem gemeinsamen Saatgutpool die Flavonoidglykosidgehalte in den USA bei 1,30%, in Frankreich bei 1,63% liegen (Mittelwerte von fünf aufeinander folgenden Jahren).

Durch geschickte Standortwahl und geeignete Anbautechniken ist die Drogenqualität also bis zu einem gewissen Grad beeinflussbar. Durch Anbau in verschiedenen Gebieten mit unterschiedlichen Bedingungen in Klima und Boden kann ein Drogenpool generiert werden, der dann für geeignete Drogenmischungen zur Verfügung steht. So ist es möglich, bereits das Ausgangsmaterial für die Extraktion so zu mischen, dass schon der primäre Extrakt nur eine geringe Schwankungsbreite der oben genannten Parameter Flavonoidglykoside und die Terpenlactone aufweist; durch Mischen dieser Extrakte erfolgt die Feineinstellung des Ginkgotrockenextraktes gemäß der Spezifikation (Abb. 3).

Johanniskraut

Johanniskrautextrakte werden erfolgreich bei der Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt. Viele Präparate sind auf die Inhaltsstoffe Hyperforin und/oder Hypericin quantifiziert. Zahlreiche Daten zum Beleg der klinischen Wirksamkeit und zur pharmakologischen Aktivität von definierten Extraktfraktionen liegen vor (Tab. 3).

  • Hyperforin beeinflusst die Wiederaufnahme verschiedener Neurotransmitter und ist deshalb im Wirkmechanismus am ehesten mit den trizyklischen Antidepressiva zu vergleichen. Allerdings fehlen dem Hyperforin die für Trizyklika typischen Nebenwirkungen.
  • Auch Flavonoide sind an der antidepressiven Wirkung von Johanniskrautextrakten beteiligt. Die orale Applikation von Isorhamnetin und Rutin erhöht signifikant die extrazelluläre Konzentration von Serotonin im präfrontalen Kortex. Diese Wirkung der Flavonoide ist mit denen der SSRIs vergleichbar.
  • Hypericin scheint nach neueren Untersuchungen einzelne Stressparameter günstig zu beeinflussen. Derartige Effekte sind am ehesten mit den Wirkungen niedrig dosierter Neuroleptika zu vergleichen. (Das Europäische Arzneibuch schreibt in der Monographie "Johanniskraut" vor, dass das Ausgangsmaterial für den Extrakt mindestens 0,08% Gesamt-Hypericin enthält.)

Johanniskrautextrakte, die alle diese Inhaltsstoffe in ausreichender Konzentration enthalten, entfalten eine Wirkungsbreite, die einzelne synthetische Antidepressiva nicht haben.

Hypericum perforatum zeigt einen interessanten Verlauf der Inhaltsstoffführung während der Wachstumsperiode (Abb. 4). Beim Blühbeginn und in der Vollblüte findet man relativ hohe Hypericin- und Trockenextraktgehalte in der Droge, während die Hyperforin-Gehalte stetig zunehmen. Gegen Ende und nach der Blüte nimmt der Gehalt an Trockenextrakt und Hypericin wieder ab.

Will man aus Johanniskraut Extrakte herstellen, die auf Hypericin und Hyperforin quantifiziert sind, muss man es in einem bestimmten, durch die Mindestgehalte an Hypericin und Hyperforin definierten Zeitraum ernten; man spricht auch von "Erntefenster". Dieses Erntefenster, das auch in der Monographie des Europäischen Arzneibuchs bei der pharmakognostischen Definition des Drogenmaterials beschrieben ist, steht überraschenderweise völlig im Einklang mit der Jahrhunderte alten traditionellen Anwendung der Johanniskrautdroge.

Der nach Abschluss der Ernte vorliegende Drogenpool erlaubt die Zusammenstellung von Drogenmischungen, deren Extrakte den Spezifikationen für Hypericin und Hyperforin weitgehend entsprechen, wenn sie auch eine gewisse Streuung der Werte aufweisen (Abb. 5). Durch Mischen von Primärextraktchargen werden Endmischungen mit einer hohen Konsistenz der Werte von Charge zu Charge erhalten (Abb. 6).

Fazit und Ausblick

Die Beispiele zeigen, dass es vergleichsweise einfach möglich ist, quantifizierte Extrakte herzustellen, die die Anforderungen an ein reproduzierbares, stets konstant zusammengesetztes Arzneimittel erfüllen.

Die im Europäischen Arzneibuch beschriebene Typisierung der Extrakte sollte nicht nur in Fachkreisen allgemein bekannt sein. Auch der Verbraucher soll wissen, ob ein Pflanzenextrakt die Anforderungen an standardisierte, quantifizierte oder andere Extrakte erfüllt. Es erscheint deshalb ratsam, pflanzliche Arzneimittel mit klaren Informationen zu versehen (z. B. in der Packungsbeilage), die eine reproduzierbare Qualität erkennbar machen.

Immer wieder wird über die mangelnde Wirksamkeit von Phytopharmaka in klinischen Studien oder über das Auftreten von Nebenwirkungen berichtet. Die Zusammensetzung und die Qualität des fraglichen Arzneimittels sind dabei oft unbekannt oder werden nicht mitgeteilt. Die beobachteten Arzneimittelrisiken werden dann pauschal allen Präparaten zugeschrieben, die aus einer Arzneipflanze nach verschiedensten Verfahren hergestellt sein können.

Deshalb ist die Deklaration der Quantifizierung auch unter dem Aspekt der Arzneimittelsicherheit sinnvoll. Eine fehlende Wirksamkeit in klinischen Prüfungen würde sich so in manchen Fällen einzelnen Produkten zuordnen lassen, die die wirksamkeitbestimmenden Inhaltsstoffe nicht oder in nicht ausreichender Menge enthalten. Arzneimittelrisiken könnten einzelnen Produkten zugeordnet werden, bei denen bedenkliche Inhaltsstoffe nicht entfernt wurden.

Da die chemische, pharmakologische und klini–sche Erforschung pflanzlicher Arzneimittel mit einem großen Aufwand betrieben wird und zu beachtlichen Resultaten geführt hat, ist es wünschenswert, dass qualitativ hochwertige Arznei–mittel für jeden erkennbar sind. Nur so ist der Platz der pflanzlichen Arzneimittel in der rationalen Therapie langfristig gesichert.

Jahrzehntelange Bemühungen zur Standardisierung von Phyto–pharmaka führten im Jahr 2002 zur neuen Monographie "Extrakte" des Europäischen Arzneibuchs. Seither werden drei Extrakttypen unterschieden. Quantifizierte Extrakte sind auf Inhaltsstoffe ein–gestellt, die zur klinisch belegten Wirkung beitragen, diese aber nicht voll erklären können. Dazu gehören Weißdorn-, Ginkgo- und Johanniskrautextrakt.

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