Geschichte

Blumen für die Winterhilfe

Die Heilpflanzen-Abzeichen des Winterhilfswerks von 1941 - 1945

Von Judith Breuer, Olpe-Saßmicke

Sie sind Zeitzeugen aus den dunkelsten Jahren des 20. Jahrhunderts: die unscheinbaren Blumen aus Papier, die als Abzeichen für das Kriegswinterhilfswerk einst in Millionenauflage hergestellt und unters Volk gebracht wurden Ų als Quittung für eine mehr oder weniger freiwillig geleistete Spende. Doch hinter den harmlosen Sammelobjekten verbarg sich weitaus mehr: Sie waren Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Anschauungsmaterial für die "Volksaufklärung" und nicht zuletzt ein Werkzeug nationalsozialistischer Propaganda.

Wer gerne einmal über einen Flohmarkt streift oder in einem Antiquitätengeschäft stöbert, ist ihnen bestimmt schon begegnet. Zuweilen findet man sie in den Vitrinen der Händler, manchmal auch im ungeordneten Wirrwarr eines "Kramkästchens", in dem sich die weniger exklusiven und preislich uninteressanteren Stücke des Angebots wiederfinden. Die Rede ist von kleinen bunten Blumen, zuweilen etwas verstaubt, aber so "lebensecht" gestaltet, dass mancher, der sie aus Neugier in die Hand nimmt, überrascht feststellen muss, dass ihre "Blütezeit" doch schon etwas länger zurückliegen dürfte. Darauf deutet auch die z. T. in Fraktur gehaltene Aufschrift auf den Schildchen, die sie in der Regel tragen und die nicht nur ihren Namen verraten, sondern auch, welche Pflanzenteile davon "gesammelt" wurden: Blätter oder Blütenköpfchen, Früchte oder Rinde, blühendes Kraut oder Wurzelstöcke. Diejenigen, die den 2. Weltkrieg noch bewusst miterlebt haben, und sei es als Kind, werden sofort wissen, wovon hier die Rede ist: Gemeint sind die Heilpflanzen-Abzeichen des Winterhilfswerks aus den Märzmonaten der Jahre 1941 und 1942.


Vom Winterhilfswerk

Das Winterhilfswerk, kurz WHW, war eine jener Massenorganisationen, durch die die Nationalsozialisten nach und nach Einfluss auf alle Lebensbereiche nahmen. Dabei war diese Institution keine Erfindung des Dritten Reiches; schon zu Zeiten der Weimarer Republik hatte es derartige Hilfsaktionen gegeben. Doch in den Händen der Nationalsozialisten wurde das Winterhilfswerk ein ideales Werkzeug zum Ausbau staatlicher Organisations- und Überwachungsstrukturen. Am 13.9.1933 wurde das "WHW" offiziell dem "Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung" unterstellt und Goebbels damit oberster Dienstherr aller Spendensammler.

An die Stelle individueller, nur dem eigenen Gewissen verpflichteter Hilfs- und Spendenbereitschaft aus Humanität und christlicher Nächstenliebe traten nun straff durchorganisierte Kampagnen, deren Ziel es war, jeden Haushalt und jeden "deutschen Volksgenossen" für das WHW zu erfassen [1].

Wie tief sich die Propaganda des Winterhilfswerks in die Gedankenwelt vor allem der Kinder eingeschlichen hat, kann bis in die Gegenwart beobachtet werden: So manche der fleißigen Helfer von damals verteidigen das Winterhilfswerk bis heute als eine der vermeintlich "guten Taten" des nationalsozialistischen Regimes.

Ausstellung


Ausführlichere Informationen zum "Winterhilfswerk" bietet die Ausstellung "Weihnachten in dunklen Zeiten" von Rita und Judith Breuer. Die Ausstellung läuft bis Ende Januar 2002 und zeigt den Missbrauch des Weihnachtsfestes für die politische Propaganda – angefangen vom Kaiserreich über den 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und den 2. Weltkrieg bis hin zum DDR-Staat in Zeiten des Kalten Krieges. Ort: Villa van Delden, 48683 Ahaus Informationen: Tel. (0 27 62) 72 68


Tatsächlich wurden mehrere Millionen Arbeitslose, Fürsorgeempfänger und kinderreiche Familien fast ausschließlich aus privaten Mitteln unterstützt. Für die Machthaber bedeutete diese Entlastung der Staatsfinanzen dagegen etwas ganz anderes: die Möglichkeit, sich voll der kostenintensiven militärischen Aufrüstung widmen zu können! "Ganz Deutschland sammelt sich zur großen Winterschlacht" – diese WHW-Parole des Jahres 1937 sollte am Ende schreckliche Wahrheit werden.


"Blumen für die Winterhilfe!"

Die Sammelaktionen des WHW liefen jeweils im Winterhalbjahr von Oktober bis März, unterstützt durch eine breit angelegte Berichterstattung in den Medien. Für die Straßensammlungen hatten sich die Organisatoren etwas Besonderes ausgedacht: Hier wurden als Quittung für den geleisteten Betrag kleine Abzeichen ausgegeben. An der Kleidung getragen, signalisierten sie, wer schon bzw. noch nicht gezahlt hatte. Von einer "freiwilligen" Spende konnte da schon bald keine Rede mehr sein ...

Neben dem psychologischen Druck, der auf diese Weise ausgeübt wurde, appellierten die Abzeichen auch an die "Sammelleidenschaft" vieler Menschen, besonders aber der Kinder. Bis zu 20 verschiedene Abzeichen pro Sammlung sollten dazu anregen, gleich mehrfach zu spenden und untereinander zu tauschen, um einen möglichst "kompletten" Satz zu besitzen. Bei der Vielfalt der Motive war für jeden Geschmack etwas dabei: Wappen und Tierkreiszeichen, Trachten und Berufsgruppen, Erzgebirge-Figürchen und Bernstein-Schmuck, Vögel und Schmetterlinge, Berühmte Deutsche, Verkehrszeichen und Waffengattungen sowie die beiden "Heilpflanzen"-Serien, von denen hier die Rede ist [2].


Arbeitsbeschaffung und Propaganda

"Diese Blumen sind ein freundlicher Gruß an den Frühling, sie sind aber auch Helfer im Kampf um die Freiheit des deutschen Volkes", so tönte es 1941 in der Familienzeitschrift "Deutscher Beamtenfreund" [3] – ein Hinweis darauf, dass sich hinter Gänseblümchen, Löwenzahn und Co. noch mehr verbarg, als auf den ersten Blick zu erahnen ist. Auch die Heilpflanzen-Serien dienten – wie die meisten anderen Abzeichen – als "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für ländliche Kleinbetriebe, die zunächst im Zuge der Weltwirtschaftskrise, später auch als Folge des Krieges Aufträge und Absatzmärkte verloren hatten. In diesem Fall betraf es die brachliegende deutsche Kunstblumenindustrie im sächsischen Sebnitz, einst "die erfolgreichste Kunstblumenstadt der Welt" [4]. Das Auftragsvolumen, um das es hierbei ging, war beachtlich: Ca. 50 Millionen Wachspapierblumen [2] für das "Großdeutsche Reich"! Kein Wunder, dass der "Deutsche Beamtenfreund" angesichts dieser "Materialschlacht" zu folgendem Schluss kam:

"Wenn wir nun am 29. und 30. März diese schönen Heilpflanzen tragen, dann bekennen wir uns damit zur großen deutschen Gemeinschaft, zur Freiheit unseres Volkes und zur Gesundheit unserer Mütter und Kinder, die unter dem Schutz der Nation stehen. Diese letzte Reichs-Straßensammlung im Kriegswinterhilfswerk 1940/41 wird durch ihren gewaltigen Erfolg beweisen, daß das deutsche Volk nur ein Ziel kennt: Den Sieg!" [3]


Streben nach Autarkie

Dass nun ausgerechnet Blumen für derartige Kriegspropaganda eingesetzt wurden, war nur der Höhepunkt in einer langen Entwicklung. Schon vor Ausbruch des Krieges waren die Heilpflanzen Deutschlands in das Visier der Kriegstreiber gerückt: "Noch vor wenigen Jahren bezog Deutschland seinen Bedarf an Heilkräutern zu 99% aus dem Auslande und zwar aus Ländern, die man keineswegs zu seinen Freunden zählen kann. Das bedeutet aber, daß wir in diesen Dingen von den feindlichen Ländern abhängig sind und in einem Notfall ohne die so unentbehrlichen Heilmittel wären." So umriss 1938 die Zeitschrift "Deutsche Hauswirtschaft" [5] das Problem.

Karl Geith, der Reichsreferent für Heilpflanzenkunde im NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund), folgerte daraus: "So gesehen, stellt die Heilpflanze ein eigenes großes Rohstoffproblem dar, das unbedingt nach dem Willen des Führers gelöst werden muß", und er fragte weiter: "Oder wollen wir im Falle eines Krieges mit teilweiser Abschnürung vom Welthandel noch einmal die falsche Kräuterwirtschaft wie in den Jahren 1916 – 18 spüren?" [6]

Literaturtipp


Alle Jahre wieder ist Weihnachten – und doch ist es immer wieder anders. Von einem Jahr zum anderen ändert sich zwar nicht viel, aber mit der Distanz von einigen Jahrzehnten erkennt man sehr deutlich, wie sehr die Gestaltung des Weihnachtsfestes vom Zeitgeist bestimmt wird. Darüber hinaus wird auch deutlich, wie sehr die Regierenden das Weihnachtsfest mit ihrer politischen Propaganda verbrämt und für ihre Ziele eingespannt haben.

Das Buch "Von wegen Heilige Nacht!" spannt einen Bogen vom ersten Weltkrieg bis 1968. Da geht es um die nationale Stilisierung der "Deutschen Weihnacht", um die Interpretation des Friedensfestes im Krieg und im sozialen Unfrieden und nicht zuletzt um die direkte Auseinandersetzung der Menschen mit der materiellen Not. Typische Geschenke, Briefe und Zeitungsartikel sprechen eine deutliche Sprache, die uns heute noch sagt, wie Weihnachten früher erlebt wurde. An den besinnlichen Tagen wurden Wünsche formuliert, die die traurige Realität widerspiegeln.

Das hervorragend illustrierte, mit vielen Zitaten versehene Buch endet im Wirtschaftswunderland, in dem junge Leute des Weihnachtsfestes überdrüssig wurden, nach dem Motto "Protest statt Fest".

Von wegen Heilige Nacht! – Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda. Von Judith Breuer und Rita Breuer. 220 S., ca. 200 Abb. Verlag an der Ruhr, Mülheim/Ruhr 2000, 39,80 DM. ISBN 3-86072-572-6



So trat im Rahmen des zweiten Vierjahresplanes, der Deutschland in einer "Erzeugungsschlacht" wirtschaftlich für den Angriffskrieg vorbereiten sollte, neben den bereits bekannten Aufruf "Verwendet Nahrungsmittel aus eigener Scholle!" vermehrt die Parole "Verwendet nur Heilmittel, die auf heimischer Flur gewachsen sind!" [5]

Anschauungsmaterial

Zur Durchsetzung derartiger Ziele wurde bereits 1935 in München die Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung, kurz R. f. H., gegründet und dem Reichsärzteführer Dr. Gerhard Wagner unterstellt. Sie warb in der Bevölkerung für die Wiederentdeckung "uralten Volkswissens": "Der Deutsche soll wieder durch die Heilkräfte genesen, die der heimische Boden ihm spendet!" [6] war da zu hören und: "Es darf in wenigen Jahren kein Heim mehr geben, das nicht seine Kräuterapotheke mit selbst gesammelten Kräutern für erste Hilfe und kleine Beschwerden des Alltags besitzt." [5]

Die Heilpflanzen-Serien des Winterhilfswerks ergänzten hier die nötige "Volksaufklärung" als unverwelkbares Anschauungsmaterial in idealer Weise: "Diese WHW-Abzeichen sind eine große kulturelle Tat, denn sie zeigen dem deutschen Volksgenossen, welche Schätze für seine Gesundheit auf dem Boden seiner Heimat wachsen." [3]


Forschung für die "Volksgesundheit"

Wissenschaftliche Maßstäbe setzte hier der "1. Deutsche Heilpflanzenkongreß" vom 2. bis 7. September 1936 in München, über den auch die pharmazeutische Fachpresse ausführlich berichtete [7]. Er wandte sich besonders an die Ärzte mit der Forderung, sich mehr als bisher der deutschen Heilpflanze zu bedienen und nicht nur fertige Präparate zu verordnen. Die Apotheker sollten sich als kompetente Ansprechpartner vor Ort profilieren: "Auf dem Gebiete der Heilpflanzenkunde sind in erster Linie die Apotheker berufen, ihren Mann zu stehen. (...) Es sollte so sein, daß überall der Apotheker der beste Kenner der heimischen Pflanzenwelt ist." [7]

Dass selbst die universitäre Forschung ganz im Zeichen des Vierjahresplanes stand, belegen zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze dieser Jahre, z. B. im "Archiv der Pharmazie": "Tubera Jalapae (...) Der Bedarf an dieser Droge wird ausschließlich aus der Heimat der Stammpflanze, Mexiko, durch Einfuhr gedeckt. Des Deutschen Reiches Devisenlage verpflichtet uns, nach einem geeigneten Ersatz (...) in unserer heimischen Flora zu suchen ..." [8]

"Da wir uns in Braunschweig die Aufgabe gestellt haben, Ersatz für die zahlreichen ausländischen Abführdrogen in der heimischen Flur zu finden, hielten wir es auf Grund der Literaturangaben für angebracht, auch das Bingelkraut einer eingehenden pharmakologischen Prüfung zu unterziehen ..." [9] etc. Forschungen dieser Art fanden das besondere Lob der Deutschen Apotheker-Zeitung: "... derartige Forschungen stellen also keine weltfremde Gelehrtentätigkeit dar, sondern sie sind wertvolle Beiträge zur Förderung der Volksgesundheit." [7]


"Zieht hinaus mit frischem Gesang!"

Auch die deutsche Schuljugend wurde zum Sammeln einheimischer Heilkräuter "abkommandiert" – immerhin ging es um die Einsparung von Devisen in einer Größenordnung von ca. 70 Millionen Reichsmark pro Jahr. Entsprechendes Zahlenmaterial fand sogar Aufnahme in die Rechenbücher für den Schulunterricht [10].

"Zieht hinaus mit frischem Gesang ..." und "Weise deine Schüler beim Sammeln immer wieder auf die Schönheit der deutschen Fluren hin; es fördert die Heimatliebe." Diese guten Ratschläge gab der NSLB den Lehrern und Erziehern mit auf den Weg und forderte: "Wir als Erzieher haben die Pflicht, diese Idee (...) unseren Buben und Mädeln nahezubringen. Nicht durch Verordnung oder Zwang wollen wir sie beeinflussen – nein, zu freiwilligem Mithelfen wollen wir sie um unseres Volkes und Staates willen aufrufen." [6]

Wo es allerdings an Überzeugungskraft für die "gute Sache" mangelte, griff so mancher Lehrer auch zu drastischeren Methoden, um die ihm anvertraute Jugend zu motivieren: "Auf dieses Sammeln bekommen wir Punkte. Die höchste Punktzahl ist fünf. Je mehr Kräuter man gesammelt hat, desto mehr Punkte kriegt man auch. Diese Punkte verwendet unser Lehrer für die Zensuren. Ich habe bis jetzt immer drei Punkte gehabt", berichtete Berta M. aus Schortens der Schülerzeitung "Deutsche Jugendburg" [11].


"Wir sammeln für Deutschland!"

Doch viele waren auch stolz und glücklich darüber, einen eigenen kleinen Beitrag an der "Heimatfront" leisten zu können – die Propaganda, die sich dahinter verbarg, konnten sie noch nicht durchschauen: "Die schwierigste Arbeit war wohl das Schlehenblüten- und das Schlüsselblumenblüten-Rupfen. Aber wir ließen uns nicht abschrecken." [11] "Am Abend kommen wir mit zerrissenen Händen und Beinen nach Hause. Aber das ficht uns nicht an. Denn was wir tun, das tun wir für Deutschland. Es sollen doch auch viele Verwundete von unserer Arbeit gesund werden." [11]

Von 1941 bis 1943 wurden millionenfach Papierblumen als eine Art Quittung für die Spende zum Winterhilfswerk unters Volk gebracht. Die Blumen wurden als Abzeichen an der Kleidung getragen und dienten auch der Propaganda zur Sammlung einheimischer Arzneipflanzen, durch die sich der nationalsozialistische Staat von Importen unabhängig machen wollte. Was einst politisches Programm gewesen war, wurde im Krieg bittere Notwendigkeit.


Eine weniger "verklärte" Erinnerung verdanken wir Hans Kals, der in einem sehr lesenswerten Buch über die "Kochkunst der mageren Jahre" rückschauend feststellte: "Zu Beginn des Krieges muß es gewesen sein. Da wurden in unserer Volksschule unter dem zeitüblichen Geschmetter der Propagandafanfaren Aktionen gestartet, die uns auf die Äcker der stadtnahen Dörfer und in die Wälder führten: Heilkräuter sammeln! (...) Die Partei lieferte große Farbtafeln. Deutsch- und Naturkundeunterricht wurden zur Heilkräuterlehre umfunktioniert. (...) Und so zogen wir in lässig beaufsichtigtem Schwarm über die Feldwege, um Produktionslücken der Pharma-Industrie zu stopfen. Die feineren und selteneren Kräutlein zu suchen, gaben wir uns kaum Mühe. Wo wir auf ausgedehnte Taubnessel- und Wegerichplantagen stießen, rupften wir drauflos und füllten unsere Säcke. (...) Später vertrocknete das Zeug auf dem Schulspeicher. Ich weiß noch, wie der Hausmeister es fluchend in seinen Garten schleppte und als Dung untergrub ..." [12]


"Pflücken verboten"

Sogar in die Tornisterschriften der deutschen Wehrmachtssoldaten fand das Thema "Heilpflanzen" Eingang – so endete eine mehrteilige Reihe darüber mit der munteren Aufforderung: "... diese kleine Auslese mag dich anregen, auch einmal am Wege nach Heilkräutern Ausschau zu halten." [13]

Eine dritte Serie mit Wachspapierblumen erschien im März 1943 für eine der letzten Reichsstraßensammlungen, die überhaupt noch durchgeführt wurden. Das Thema zeigt auf drastische Weise, wie in Deutschland jegliches Empfinden für Recht und Moral abhanden gekommen war: Während das systematische Morden in den Konzentrationslagern seinen Lauf nahm, propagierte man – wenige Wochen nach Stalingrad – das Thema "Naturschutz": "Pflücken verboten" stand auf den Namensschildchen der zehn ausgewählten Blumen, denen damit mehr Schutz zustand als einem Menschenleben im Dritten Reich. Vielleicht kann dieser Bericht einen kleinen Beitrag dazu leisten, die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten.

Kastentext: Rechenaufgaben zum Thema "Sammelt Heilkräuter!" (nach [10])

Wir verbrauchen Jahr für Jahr große Mengen von Kräutern, die bei uns als Unkraut wachsen. Ein großer Teil unseres Bedarfs muss im Ausland gekauft werden, weil wir es unterlassen, die Kräuter zu sammeln. Jährlich sind in Deutschland rd. 800 t Kamillentee nötig im Werte von 1,6 Mill. RM. Welchen Wert hat also 1 kg getrockneter Kamillenblüten? Im Sammeljahr 1939 wurden in 32 Kreisen unseres Gaues nahezu 12000 kg trockene Heilkräuter geerntet. Die 284 Schulklassen des Kreises Bergstraße haben 1617 kg trockene und 5229 kg frische Heilkräuter abgeliefert. "Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben ... – Wann wird man je versteh'n, wann wird man je versteh'n?"

Literatur

[1] Breuer, J. und Breuer, R.: Von wegen Heilige Nacht! – Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda, Verlag an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr (2000).

[2] Tieste, R.: Spendenbelege des Winterhilfswerkes – Band I: Reichsstraßensammlungen 1933 – 1945, Verlag Reinhard Tieste, Bremen (1991).

[3] Deutscher Beamtenfreund, Heft 7, S. 4 (1941).

[4] Pieske, C.: Das ABC des Luxuspapiers, Dietrich Reimer Verlag, Berlin (1984).

[5] Jungmann, H.: Unsere Jugend sammelt Heilkräuter, Deutsche Hauswirtschaft – Ausgabe Gau Hessen-Nassau, Heft 11, S. 1 (1938).

[6] Geith, K.: Deutschlands Jugend sammelt Heilkräuter, Verlag Kurt Stenger, Erfurt, 2. Auflage (1938).

[7] Deutsche Apotheker-Zeitung 51, S. 1319 – 1323 und 1334 – 1339 (1936).

[8] Jaretzky, R. und Risse, E.: Radix und Herba Convolvuli sepii [sic], ein heimischer Ersatz für Tubera Jalapae, Archiv der Pharmazie, S. 241 – 252 (1940).

[9] Jaretzky, R. und Risse, E.: Über die Abführwirkung des Bingelkrautes, Archiv der Pharmazie, S. 125 – 131 (1942).

[10] Rechenbuch für Volksschulen / Hessen, 5. Schuljahr, Hessischer Schulbuchverlag Emil Roth, Gießen, S. 53 (1941).

[11] Deutsche Jugendburg, Heft 8, S. 13 (1941).

[12] Schmidt, A. und Kals, H.: Muckefuck und falsches Marzipan, Alano Verlag, Aachen, 1. Auflage, S. 76 – 78 (1985).

[13] Rammner, W.: Heilpflanzen am Wege, in: Oberkommando der Wehrmacht (Hrsg.): Soldatenblätter für Feier und Freizeit, Heft August, S. 378 – 379 (1941).

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.