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GEK-Arzneimittelreport: Frauen werden schlechter mit Medikamenten versorgt

BERLIN (ks). Die Klagen vieler Versicherter, infolge der Budgetierung nicht mehr alle nötigen Medikamente verschrieben zu bekommen, hat die Gmünder Ersatzkasse (GEK) vor zwei Jahren veranlasst, den Arzneimittelmarkt genauer zu beobachten und zu analysieren. Sie hat das Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen beauftragt, die ärztlichen Verordnungen der GEK-Versicherten über einen Zeitraum von zehn Jahren zu untersuchen. Studienleiter Prof. Dr. Gerd Glaeske stellte gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der GEK, Dieter Hebel, den GEK-Arzneimittel-Report 2001 vor. Hierin wurden 20 Millionen Verordnungen für 1,45 Millionen GEK-Versicherte aus den Jahren 1999 und 2000 ausgewertet.

Die Studie brachte nicht nur Erfreuliches zutage. Glaeske setzt sich im GEK-Arzneimittelreport insbesondere mit der Arzneimittelversorgung von Kindern sowie geschlechtsspezifischen Unterschieden im Arzneimittelverbrauch auseinander. Hierbei sind immer wieder Über-, Unter- und Fehlversorgungen festzustellen.

Überraschend bei den Arzneimittelverordnungen für Kinder ist zunächst, dass bis zum zehnten Lebensjahr die Verordnungsmenge etwa die gleiche ist wie bei 50- bis 60-jährigen Patienten. Im Alter von zehn bis 50 Jahren ist die Menge deutlich geringer, erst bei den über 60-jährigen übersteigt sie diejenige für Kinder unter zehn Jahren. Allerdings bekommen Kinder andere Medikamente als Erwachsene: bei ihnen stehen vor allem Vitamin-D-Tabletten, Fluoride, Schnupfen-, Husten- und Erkältungsmittel sowie Hautpflege- und Wundpräparate im Vordergrund.

Glaeskes Fazit einer genaueren Untersuchung des Verordnungsverhaltens bei Schmerzmitteln, Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie Psychopharmaka für Kinder ist, dass vielfach Medikamente mit zweifelhaftem Nutzen eingesetzt werden. Der Anteil dieser Verordnungen im Bereich der Schmerzmittel liege bei der GEK bei 20 Prozent. Nicht selten würden pharmakologisch umstrittene Gele und Salben wie z. B. Mobilat oder Voltaren Emulgel verschrieben, so Glaeske. Auch kämen bei knapp fünf Prozent der Schmerzmittelverordnungen Kombinationspräparate zum Einsatz, die ebenfalls als pharmakologisch fragwürdig gelten.

Weiterhin würden problematische Arzneimittel, wie etwa Ritalin in steigendem Umfang verordnet. Glaeske sieht hierbei die Gefahr, dass sich Kinder an Arzneimittel gewöhnen und diese auch im Erwachsenenalter als Lebenshilfe betrachten könnten.

Frauen schlechter versorgt als Männer

Die Auswertung der personenbezogenen Daten der GEK ergab auch, dass Frauen regelmäßig mehr Arzneimittel verordnet bekommen als Männer (mit Ausnahme der über 90-Jährigen). Grund seien in erster Linie häufigere Arztbesuche, so Glaeske. Dabei sei zu berücksichtigen, dass viele weibliche biografische Stationen (Menstruation, Schwangerschaft, Menopause) als Krankheit gedeutet würden. Und obwohl Frauen mehr Medikamente erhalten, liegen die Kosten einer Tagesdosierung unter derjenigen der Männer. Dies führt Glaeske insbesondere darauf zurück, dass Arzneimittelverordnungen für Männer häufiger spezifischen Indikationen folgen, in denen oftmals teure, innovative Wirkstoffe zur Anwendung kommen. Die Indikationen bei Frauen sind meist unspezifischer und werden mit alteingeführten, billigeren Präparaten behandelt.

Auffällig sei auch die Datenlage bei der Behandlung von Diabetes: Obwohl diese bei Frauen etwas häufiger vorkommt, bekommen sie weniger Insulin verschrieben als Männer. Ebenso komme es bei Schlaganfall und Herzinfarkt häufiger zu Fehldiagnosen. Es sei daher nicht auszuschließen, dass Frauen in der Nachbehandlung unterversorgt sind, so Glaeske. Auf der anderen Seite erhielten Frauen häufiger umstrittene Arzneimittel verordnet. Venenmittel, Mittel gegen niedrigen Blutdruck und Schilddrüsentherapeutika beurteilt Glaeske als besonders kritisch.

Ärztlich verordnete Sucht

Nach den Feststellungen Glaeskes sind Frauen auch am stärksten von der "ärztlich verordneten Sucht" betroffen, die trotz aller Aufklärungsbemühungen nach wie vor existent ist. So würden Frauen ab 45 Jahren deutlich häufiger Tranquilizer, Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmittel verschrieben als dies bei Männern der Fall ist. Preiswerte Arzneimittel aus der Familie der Benzodiazepine kämen besonders häufig zur Anwendung. Gerade diese Mittel führten jedoch nach längerer Einnahme zur Abhängigkeit. Insofern sei es nicht verwunderlich, dass Frauen öfter als Männer eine Sucht entwickeln. Derzeit, so Glaeske, wird die Zahl der von solchen Arzneimitteln abhängigen Menschen auf 1,2 Millionen geschätzt. Zwei Drittel hiervon sind Frauen, der größte Teil ist über 60 Jahre alt. Insgesamt sei zwar ein Rückgang der Verordnung von Benzodiazepinen zu verzeichnen, doch Glaeske hält auch die bestehende Situation noch für kritisch. Häufig werde überdosiert, was zu "Hang-over-Problemen" wie Gangunsicherheit und eingeschränkter Reaktion führe. Dadurch komme es immer wieder zu Stürzen, die für ältere Menschen verheerend sein können.

Wirtschaftlichkeitsreserven vorhanden

Zur Freude von Bundesgesundheitsministerin Schmidt, die bei der Vorstellung der Studie am 18. Oktober in Berlin ebenfalls zugegen war, stellt der GEK-Arzneimittel-Report auch fest, dass im Arzneimittelbereich noch Wirtschaftlichkeitsreserven vorhanden sind. Glaeske sieht diese Einsparpotenziale zum einen in einer weiter zu optimierenden Nutzung von Generika, zum anderen im Verzicht auf ineffiziente Innovationen und umstrittene Arzneimittel. Obwohl die Verordnung von Generika in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen ist, bestehe bei einigen Substanzen noch Nachholbedarf.

Glaeske schätzt, dass alleine die Arzneimittelausgaben der GEK um sieben Prozent gesenkt werden könnten, wenn die angebotenen Generika optimal genutzt würden. Auch bei hochpreisigen Me-too-Präparaten könne gespart werden. Während die Ausgaben für Arzneimittel aus der Roten Liste weitgehend stabil sind, erwiesen sich die Innovationen als Kostentreiber. Doch nicht alles, was als Innovation gehandelt wird, könne tatsächlich als therapeutischer Fortschritt gewertet werden, so Glaeske. Bei einigen der neuen Präparate sei dies zwar sicherlich der Fall, der Großteil weise jedoch keine Unterschiede zu bereits eingeführten Mitteln auf. Es sei daher nötig, die neu angebotenen Arzneimittel frühzeitig nach wirklichen und "imitativen" Innovationen zu klassifizieren und Ärzten entsprechende Informationen für die Arzneimittelauswahl an die Hand zu geben. Diese Informationen sollten dabei möglichst unabhängig erstellt werden.

Aut idem: eine Chance für Apotheker

Glaeske sprach sich anlässlich der Pressekonferenz mit der Gesundheitsministerin auch für die geplante Einführung der Aut-idem-Reglung aus. Dies sei eine gute Möglichkeit, Apotheker in die Arzneimittelauswahl einzubinden, sagte der Pharmakologe. Hier könnten sie zeigen, dass sie die Fachleute für Arzneimittel sind, die auf Qualität und Preis gleichermaßen achten.

Kastentext: GEK-Arzneimittelreport 2001

Der "GEK-Arzneimittelreport 2001" ist im Internet unter www.gek.de unter den Unterpunkten Detaillierte Informationen, GEK Studien, als pdf-Datei abrufbar.

Die Klagen vieler Versicherter, infolge der Budgetierung nicht mehr alle nötigen Medikamente verschrieben zu bekommen, hat die Gmünder Ersatzkasse (GEK) vor zwei Jahren veranlasst, den Arzneimittelmarkt genauer zu beobachten und zu analysieren. Sie hat das Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen beauftragt, die ärztlichen Verordnungen der GEK-Versicherten über einen Zeitraum von zehn Jahren zu untersuchen.

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