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Geschlechtsspezifische Medizin: Ist bereits das Frau-Sein ein Gesundheitsrisiko?

BERLIN (ks). Frauen werden in Deutschland medizinisch anders behandelt als Männer. Unter-, Über- und Fehlversorgung findet sich in vielen Bereichen. Auch die Regierung hat dies erkannt. Und so las man bereits im letzten Herbst im rot-grünen Koalitionsvertrag, dass "Leistungen und Angebote des Gesundheitssystems alters- und geschlechtsspezifischen Erfordernissen angepasst" werden sollen. Im Gesundheitswesen und der medizinischen Forschung sei im Hinblick auf Frauen eine Neuorientierung nötig. Die Gmünder Ersatzkasse (GEK) und die Women's Health Coalition (WHC) wollen nun gemeinsam etwas zur Zielerreichung beitragen. Sie fordern z. B. innerhalb des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Stelle zur geschlechtsspezifischen Bewertung von Medikamenten einzurichten.

Die erheblichen Defizite in der geschlechtsspezifischen Medizin sind längst kein Geheimnis mehr: Noch immer sind die meisten Arzneimittel-Studien auf junge, gesunde Männer ausgerichtet, noch immer werden Frauen nach einem Herzinfarkt rund eine Stunde später als Männer ins Krankenhaus eingeliefert, noch immer sind es zu zwei Drittel Frauen, die von Schlaf- und Beruhigungsmitteln abhängig sind, noch immer werden viele biografische Stationen eines Frauenlebens als Krankheiten umdefiniert – und daher mit Medikamenten behandelt.

Doch statt diese und andere Tatsachen lediglich zu beklagen, müssten Frauen endlich selbst Forderungen stellen, betonte WHC-Präsidentin Irmgard Naß-Griegoleit am 8. April in Berlin. So gebe es etwa bei der amerikanischen Zulassungsbehörde für Medikamente ein Büro für Frauengesundheit. Ein solches sollten Frauen auch beim BfArM fordern, meint Naß-Griegoleit.

Dann wäre die Anpassung der Warnhinweise auf den Beipackzetteln zur Hormontherapie entsprechend der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse sicherlich schneller erfolgt als es tatsächlich der Fall war. Jedenfalls seien die Ergebnisse, aufgrund derer im vergangenen Jahr ein Reihe von Studien zur Hormonersatztherapie abgebrochen wurden, in den USA weitaus schneller von der Zulassungsbehörde aufgegriffen worden.

Sucht auf Rezept

Dieter Hebel, GEK-Vorstandsvorsitzender, erklärte, die GEK versuche gemeinsam mit Vertretern der Ärzteschaft, Wege zu finden, wie der "Sucht auf Rezept" beizukommen ist. Derzeit prüfe etwa der medizinische Dienst der Krankenkassen in Baden-Württemberg, inwieweit es die Möglichkeit gebe, die verordnete Sucht über Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung in den Griff zu bekommen.

Zudem nimmt sich der jährliche GEK-Arzneimittel-Report dem Thema immer wieder an, um es in die Öffentlichkeit zu transportieren. Der Bremer Pharmakologe Gerd Glaeske, der diese Auswertung der GEK-Arzneimitteldaten regelmäßig vornimmt, hat Hoffnung, dass es sich bei der Abhängigkeit von Medikamenten des Benzodiazepin-Typs um eine "Altlast" handelt: Die Präparate kamen in den sechziger Jahren auf den Markt und erfuhren in den achtziger Jahren ihre Verordnungs-Hoch-Zeit.

Viele Frauen starteten ihre Suchtkarrieren mit etwa 45 Jahren – so nimmt es nicht Wunder, dass heute vor allem die 65 – 70-Jährigen mit Benzodiazepinen dauertherapiert werden. Heute weiß man besser über das Suchtpotenzial dieser Arzneimittel Bescheid, sodass sich hoffen lässt, dass die Missbrauchszahlen in Zukunft abnehmen werden. Glaeske forderte auch die Apotheker zu einer verbesserten Beratung in derartigen Fällen der Dauermedikation auf. Es müsse verhindert werden, dass allein das Frau-Sein schon zum gesundheitlichen Risiko werde.

Raus aus der Jammerecke

Sowohl der GEK als auch der WHC geht es nicht darum, eine gleiche Behandlung für Frauen und Männer einzufordern. Die im Gesundheitswesen Beteiligten müssten vielmehr erkennen, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind und einer entsprechenden Therapie bedürfen. Es gehe also nicht ums Jammern, sondern darum, dass Frauen ihre Interessen besser durchsetzen können, erklärt Naß-Griegoleit,: "Es wird uns nichts zufallen, wir müssen es schon selbst anpacken".

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