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Noch immer Lücken im Versorgungsnetz von Alzheimer-Patienten

BERLIN (bf). Trotz vieler Schritte in die richtige Richtung besteht in der Versorgung und Betreuung von Dementen und ihren Angehörigen weiterhin großer Handlungsbedarf. Abhilfe soll ein Versorgungskonzept schaffen, dessen Grundzüge die Alzheimer Gesellschaft in Berlin auf ihrem 2. Kongress (9. bis 11.9.) vorstellte.

900000 Alzheimer-Patienten meldet die Statistik derzeit für Deutschland. Im Jahr 2010, so die Prognosen, werden es angesichts der sich nach oben verschiebenden Alterspyramide bereits 1,7 Millionen sein. Die statistisch nicht erfasste "Dunkelziffer" jedoch liegt weit höher. Alzheimer trifft immer auch die Familie: 85 Prozent der Demenzkranken werden von ihren Angehörigen versorgt. Rechnet man pro Patient auch nur einen Versorgenden, erhöht sich die Zahl der von der Erkrankung unmittelbar Betroffenen auf nahezu das Doppelte.

Konzept für eine bessere Versorgung

Ganz oben auf der Dringlichkeitsliste der Alzheimer Gesellschaft steht die Etablierung einer "von somatischen Pflegeleistungen unabhängigen Betreuung der Demenzpatienten" im Leistungskatalog der Pflegeversicherung. Zudem soll laut der Vorsitzenden der Gesellschaft, Sabine Tschainer, binnen der nächsten zwei Jahre ein bundesweit flächendeckendes Netz an Anlaufstellen für die Familien von Alzheimer-Patienten entstehen. Hier besteht nach Aussage von Frau Tschainer besonders in den neuen Bundesländern und in ländlichen Regionen großer Handlungsbedarf. Ebenso wie in den Bereichen Frühdiagnostik und Therapie mit Antidementiva: "Hierzu setzen wir uns für die Einrichtung eines Demenzbudgets ein."

Die Schirmherrin des Kongresses, Bundesfamilienministerin Dr. Christine Bergmann, betonte in Berlin die Notwendigkeit einer bundesweit standardisierten, Dementen gerechten Versorgung und sprach sich für eine "Qualitätsoffensive in der Altenpolitik" aus: "Mein zentrales Anliegen ist es, Rahmenbedingungen für eine optimale Nutzung qualitätsvoller Hilfe- und Pflegeangebote zu schaffen." Als wichtige Schritte in diese Richtung sind die bereits eingeführte bundeseinheitliche Neuordnung der Altenpflegeausbildung sowie die noch in Planung befindliche Novellierung des Heimgesetzes zu werten. Ministerin Bergmann warb in Berlin zudem für mehr Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft gegenüber Demenzpatienten - demenzielle Erkrankungen würden noch immer tabuisiert. "Die Ausgrenzung von Demenzkranken muss vermieden und die Aufklärung über die Krankheit vorangetrieben werden."

Neues in Prophylaxe und Frühtherapie

Obwohl die Prozesse, die zur Entstehung der Alzheimer-Krankheit führen, noch weitgehend unerforscht sind, gibt es neue Perspektiven hinsichtlich Prophylaxe und Frühbehandlung. Laut Prof. Dr. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München, konnten beispielsweise Veränderungen im Erbgut nachgewiesen werden, die zwingend zur Entwicklung einer Demenz führen: dominante Mutationen, die allerdings in der Bevölkerung sehr selten zu finden sind. Weit häufiger treten so genannte genetische Polymorphismen auf. Diese Mehrfachveränderungen des Erbmaterials erhöhen das Risiko, in einem bestimmten Alter an einer Demenz zu erkranken. Neuesten Forschungen zufolge mehren sich auch die Hinweise auf Schutzfaktoren in der Umwelt. So können eine gute Ausbildung, das Aufrechterhalten sozialer Kontakte und eine geeignete Ernährungsweise prophylaktische Effekte entfalten.

In punkto Ernährung richtet sich der Fokus zum einen auf Antioxidanzien, vor allem auf Vitamin C und E sowie Folsäure. Letztere vermag die Konzentration des Blutproteins Homocystein zu reduzieren. Homocystein erhöht, wie viele Studien gezeigt haben, das Risiko für Arteriosklerose und somit auch jenes für vaskuläre Demenzen. Zum anderen ist auch der Cholesteringehalt der Ernährung von Bedeutung: "Eine cholesterinausgehungerte Nervenzelle bildet kein Beta-Amyloid aus." so Professor Förstl. Des weiteren gilt heute als gesichert, dass für die Genese einer Demenz vom Alzheimer Typ und Hirngefäßerkrankungen ähnliche und beeinflussbare Krankheitsmechanismen verantwortlich zeichnen. Vor diesem Hintergrund wird derzeit unter anderem auch die im Alter verstärkt auftretende Arteriosklerose als bedeutender Risikofaktor für die Entstehung der Alzheimer-Krankheit diskutiert.

Förstl machte in Berlin auch auf die in zahlreichen Studien belegte Wirksamkeit von Antidementiva aufmerksam. Diese können, außer die Progression demenzieller Erkrankungen zu verlangsamen und die kognitiven Fähigkeiten signifikant zu verbessern, möglicherweise auch Anlagefaktoren im Sinne einer "genetischen Reprogrammierung" positiv beeinflussen.

Der Münchner Demenz-Experte warnte jedoch vor voreiliger Euphorie. Denn, ewiges Dilemma in der Medizin, wissenschaftliche Erkenntnisse eilen ihrer praktischen Umsetzung weit voraus: "Eine rasche, ausschließlich medizinische Lösung des Demenzproblems kann und darf deshalb innerhalb der nächsten Jahre nicht erwartet werden."

Psychometrischer Test angstfrei und praxisgerecht

Die frühzeitige Erkennung einer Demenz und deren Abgrenzung von einer Depression ist entscheidend für eine Verlangsamung der Progression. "Psychometrische Tests finden allerdings trotz unbestrittenem Nutzen nur spärlichen Einsatz in der täglichen Praxis." wie Dr. Ralf Ihl, Facharzt für Psychiatrie Hochschulklinik Düsseldorf in Berlin beklagte. Gängige Verfahren sind zu zeit- und kostenintensiv und erfordern oftmals geschultes Personal zur Durchführung. Zudem sind viele Patienten psychometrischen Tests gegenüber negativ eingestellt: "Sie fürchten die Folgen des Testergebnisses und fühlen sich in ihren kognitiven Fähigkeiten unterschätzt." so Dr. Ihl.

Höchste Zeit also für ein einfaches und dennoch valides Screening-Verfahren, das auch und vor allem den Anklang der Patienten findet. Ihl stellte es in Berlin vor: "Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung", kurz TFDD genannt. Ein einfaches und ökonomisches Diagnostikinstrument, speziell abgestimmt auf den Einsatz in der Hausarztpraxis. "TFDD ermöglicht Diagnose und Depressionsabgrenzung bereits im Anfangsstadium der Erkrankung." TFDD ist schnell und leicht zu handhaben und wirkt sich auch auf die Compliance der Patienten positiv aus – umso mehr, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. "Eine wohlwollende Atmosphäre und positive Rückmeldungen an den Patienten sind Voraussetzung, um ein valides Ergebnis zu ermitteln." so Ihl. TFDD kann kostenlos in gedruckter Form beim Unternehmen Dr. Willmar Schwabe angefordert werden.

Trotz vieler Schritte in die richtige Richtung besteht in der Versorgung und Betreuung von Dementen und ihren Angehörigen weiterhin großer Handlungsbedarf. Abhilfe soll ein Versorgungskonzept schaffen, dessen Grundzüge die Alzheimer Gesellschaft auf ihrem zweiten Kongress vor kurzem vorstellte.

Die Forderungen der Alzheimer Gesellschaft

Pflegeversicherung Angemessene Berücksichtigung der Demenzkranken im Pflegeversicherungsgesetz, z. B. stärkere Berücksichtigung der Betreuung und Beaufsichtigung der Patienten bei der Einstufung

Unterstützung der pflegenden Angehörigen und der Selbsthilfe Aufbau eines bundesweiten Netzwerkes von Anlaufstellen und Selbsthilfegruppen innerhalb der nächsten zwei Jahre

Medizinische Diagnose und Behandlung Sicherstellung der Frühdiagnostik bei demenziellen Erkrankungen sowie der Behandlung mit Antidementiva

Stationäre Altenhilfe Kurzfristige Umsetzung demenzbezogener struktureller Veränderungen vor allem hinsichtlich Qualifizierung des Personals, angemessener Personalschlüssel, nicht-medikamentöser Therapie und baulicher Voraussetzungen

ProDem: Versorgung im Verbund

Pro Dem, kurz für Pro Demenz, ist ein Projekt zur Optimierung der Betreuung Demenzkranker, die im eigenen Haushalt oder der ihrer pflegenden Angehörigen leben. Pro Dem läuft seit Beginn diesen Jahres in den südlich Bremens gelegenen Gemeinden Stuhr und Weyhe - zunächst über einen Zeitraum von zwei Jahren. Die Ziele von ProDem, fachlich und finanziell unterstützt vom Unternehmen Dr. Willmar Schwabe, sind:

  • frühzeitige Diagnose
  • frühestmögliche Einleitung medizinischer und nicht-medizinischer Hilfen
  • Aufbau einer Versorgungskette
  • Stärkung familiärer Ressourcen
  • Erkennen von Versorgungslücken
  • Schaffung neuer Angebote und deren Integration in bestehende regionale Strukturen
  • Verhinderung bzw. Verzögerung stationärer Pflege

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