Arzneimittel und Therapie

Alzheimer-Demenz: Chancen für den Apotheker in der Beratung

Der Workshop des Zukunftsforums Demenz traf sich bereits zum 10. Mal. Erstmalig allerdings lag der Schwerpunkt der Vorträge und Diskussionen auf der Rolle der Apotheker und Apothekerinnen als Mittler zwischen Patienten, Angehörigen, Ärzten, Pflegediensten und Selbsthilfegruppen.

Die Apotheke befindet sich ohne Zweifel in der Krise. Gut gemeinte Ratschläge, sich auf Kernkompetenzen und die Beratungsfunktion zurückzubesinnen, werden nicht ausreichen. Pharmazeutische Betreuung in Form einer strukturierten und mit den Ärzten abgestimmten Therapiebegleitung der Patienten muss das Ziel zukünftiger Apothekenarbeit sein.

Neue Ideen, neue Konzeptionen und Strukturierungen braucht die Apotheke, um die Zukunft bewältigen zu können. Aufgrund des demographischen Wandels gehört ohne Zweifel die Demenz bzw. vielleicht auch ihre Prävention zum Betätigungsfeld der jetzigen, aber auch der zukünftigen Apotheke.

Vernachlässigte "Alte"

Vor allem die Betreuung der wichtigsten Apothekenkunden, der "Älteren", sollte zunehmend im Vordergrund stehen. Es muss aber nüchtern festgestellt werden, dass das Thema "Geriatrie" mit ihren altersabhängigen Krankheitsbildern in der pharmazeutischen Ausbildung überhaupt nicht vorkommt.

Wenn man sich bisher in der Apotheke auf typisch altersabhängige Krankheiten spezialisiert hat, dann waren es Krankheitsbilder, die in erster Linie geschäftlichen Umsatz versprachen, wie z. B. das altersabhängige Krankheitsbild des Diabetes. Krankheitsbilder wie die Demenz, die auf den ersten Blick keine zusätzlichen umsatzsteigernden Möglichkeiten außerhalb der Pharmaverordnung erkennen lassen, werden mehr oder weniger negiert.

Demenz als Zukunftsfeld

Jeder vierte 80-Jährige ist von einem demenziellen Syndrom betroffen, und diese Altersgruppe wird sich in den nächsten 20 Jahren verdreifachen. Die Demenz bildet den größten Kostenfaktor für unsere Gesellschaft. Sie nicht in eine angestrebte Neustrukturierung der Apotheke mit einzubeziehen, würde Glaubwürdigkeitsprobleme jedes neuen Apothekenkonzeptes nach sich ziehen.

So wird es für die jetzige und zukünftige Apotheke wichtig sein, zusätzliche Kompetenz zu erwerben, um auf diese schnell wachsende Patientengruppe eingehen zu können. Medizinisch-pharmazeutisches Wissen allein reicht dafür nicht aus. Kenntnisse über die Krankheit, Diagnostik und Therapie sind gefragt. Dazu muss die zu erwerbende Kompetenz allerdings auch kommuniziert werden und erlebbar sein.

Neben der Kompetenz für den schwer kranken Demenzkranken wird es auch wichtig sein, Kompetenz für Früherfassung und frühtherapeutische Maßnahmen zu erwerben. Hier wäre die Frage noch auszudiskutieren, ob ein Screening auf Hirnleistungsstörungen durch die Apotheke möglich ist.

Prävention, Healthy Aging oder "Anti-Aging" sind dabei die Themen, wobei ohne Zweifel aufgrund ihrer Bedeutung für die Lebensqualität den geriatrischen "I's" – intellektueller Abbau, Immobilität, Instabilität, Inkontinenz – besondere Bedeutung zukommen würde.

Die Wünsche von Angehörigen an den Apotheker

Angehörige von Demenzkranken erleben, dass ein ihnen vertrauter Mensch sich verändert hat, dass er Symptome wie Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen, Sprachfindungsstörungen entwickelt hat. Diese Situation ist beängstigend und stellt die betroffenen Familien vor vielfältige Probleme.

Die Betroffenen und die Angehörigen werden versuchen, eine Besserung der Symptome zu erreichen und gehen unter Umständen in eine Apotheke, weil sie sich gegen diese Symptome ein nicht-verschreibungspflichtiges Medikament für ein "besseres Gedächtnis" holen wollen. Natürlich kann der Apotheker ihnen eines der zahlreichen Mittel empfehlen, das unspezifisch für eine bessere Gedächtnisleistung sorgen soll.

Vertreter von Selbsthilfeorganisationen der betroffenen Familien wünschen sich oft etwas anderes: Der Apotheker sollte darauf aufmerksam machen, dass es sich bei den oben beschriebenen Störungen unter Umständen um eine ernsthafte Erkrankung, nämlich eine Demenzerkrankung handeln könnte und dass eine entsprechende frühe Diagnostik wichtig ist.

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Menschen, die selbst an sich beängstigende Verluste im Bereich der Gedächtnisleistung, der Orientierung, der Sprachfindung usw. wahrnehmen. Es mag einfacher sein, zunächst einmal abzuwiegeln und zu sagen "ist wahrscheinlich alles nicht so schlimm", "wahrscheinlich Stress" oder "das ist das Alter", aber richtiger wäre, den Arztbesuch zu empfehlen.

Hilfreich ist – insbesondere wenn der Apotheker selbst weder über das Wissen noch über die Zeit verfügt, sich den Sorgen und Nöten seiner Kunden intensiver anzunehmen – ein Wissen über mögliche Anlaufstellen. Hier wäre zum Beispiel das bundesweite Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zu nennen oder die Beratungsstellen der regionalen Alzheimer Gesellschaften.

Der Apotheker sollte die Angehörigen Demenzkranker ermutigen, Unterstützung zu suchen, z. B. bei der örtlichen Alzheimer Gesellschaft oder einer Angehörigengruppe. Oft ist der Schritt, sich fremden Menschen anzuvertrauen, schwer. Der Apotheker um die Ecke, den man schon Jahre kennt, ist eine Vertrauensperson und Ratschläge von ihm, wird der Angehörige vielleicht annehmen.

Welche Optionen ergeben sich für die Apotheke?

Der Apotheker und sein Team dürften vor allem auf drei Wegen mit dem Thema Alzheimer-Demenz konfrontiert werden.

Über:

  • ältere Kunden, die hinter bestimmten Gedächtnisstörungen eine Demenz-Erkrankung befürchten,
  • Kunden, die bei ihren Angehörigen Erkrankungszeichen vermuten,
  • Angehörige von Erkrankten.

Es gibt zwar sehr viel Veröffentlichungen zum Thema Demenz, aber die Erfahrung im täglichen Umgang mit Kunden in der öffentlichen Apotheken zeigt, dass der Begriff Demenz eher Ängste und Verdrängungsmechanismen auslöst. Der Wunsch, mit der Einnahme einer "Pille" alle Probleme lösen zu können, ist groß. Gerade hier ist viel Aufklärung über die Erkrankung und ihren Verlauf von leichter Gesundheitsstörung bis hin zu den höchsten Schweregraden mit Heimunterbringung und Pflege rund um die Uhr nötig.

Recht auf wirksame medikamentöse Therapie und Betreuung

Der Demenzkranke hat ein Recht auf wirksame Behandlung und wirksame Betreuung. Das Ziel der Therapie ist die Verlangsamung des Fortschreitens der Demenz. Bei der Linderung der Leiden steht nur der Leidensdruck des Kranken, die Linderung von Unruhe, Aggression und Depression im Vordergrund, nicht aber der Stress der Pflegenden.

Die Ruhigstellung durch Medikamente ist eine freiheitsbeschränkende Maßnahme und somit eine Straftat. Oftmals muss im Kontext staatlicher Sparmaßnahmen dieses Recht auch in der medikamentösen Therapie erkämpft werden. Die medikamentöse Behandlung wird immer wieder zu Unrecht als unwirksam diskreditiert.

Unbegründete Ängste abbauen

Eine Aufgabe des Apothekers, die ihm auf den Leib geschnitten sein sollte, ist, den Sinn des Einsatzes der Arzneimittel, ihre Angriffspunkte und Wirkungsweise zu erklären. Das sollte die für die Pflege des Erkrankten Zuständigen motivieren, die verordnete Therapie mit Umsicht und Konsequenz umzusetzen. Dies gilt nicht nur für die eigentlichen Antidementiva.

Es gilt auch zum Beispiel auch für diejenigen Pharmaka, die zur Behandlung der mit der Demenzerkrankung einhergehenden Depressionen eingesetzt werden. Und es gilt für Neuroleptika, auf die oft nicht verzichtet werden kann, wenn der Demenzkranke psychotische, agitierte oder aggressive Verhaltensweisen entwickelt.

Sorgen Betroffener ernst nehmen

Die emotionale und psychische Belastung der pflegenden Angehörigen in fortgeschrittenem Stadium der Demenzerkrankung ist hoch. Gerade ihnen, die zwangsläufig bis an die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit herangehen, sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Hälfte der Pflegenden in den Familien sind Frauen über 65 Jahren.

Verzicht auf Freizeit, Urlaub und eigene Interessen können zu verschiedenen körperlichen Beschwerden wie z. B. Schlafstörungen oder vermehrte Reizbarkeit führen. Hier kann der Apotheker die Angehörigen nicht nur für die Bedeutung ihrer eigenen Gesundheit sensibilisieren, sondern auch durch die Empfehlung entsprechender Produkte stärken.

Auch der Angehörige hat sein Recht auf Unterstützung und erleichternde Hilfe. Zum Wohl des Patienten sollten alle Beteiligten in der medizinischen Betreuung wie in der Pflege ein Netzwerk bilden, um das Beste für ihn zu erreichen. Die Apotheke kann hier eine aktive Rolle in der pharmazeutischen Betreuung im Sinne einer "Hausapotheke" übernehmen.

Quelle

Prof. Dr. med. Ingo Füsgen, Wuppertal; Anne Grabenmeier, Bad Laer; Dr. Susanne Hartmann, Frankfurt/Main; Sabine Jansen, Berlin; Hildegard Dressino, Worms; Dr. Klaus Brauer, Essen: 10. Workshop Zukunftsforum Demenz, 12. September 2003, Frankfurt/Main.

Der Apotheker ist für die Demenz-Beratung prädestiniert, weil

  • zwischen dem Apotheker und Angehörigen vergleichsweise wenig Berührungs- und Schwellenängste bestehen,
  • es deshalb gelingen kann, der Demenz frühzeitig das – von Pflegern und Angehörigen oft so empfundene – Bedrohliche zu nehmen,
  • der Apotheker die Arzneimitteltherapie erklären und unbegründete Ängste davor abbauen kann,
  • der Apotheker Pfleger und Angehörige sensibilisieren kann, frühzeitig unerwünschte Wirkungen zu erkennen.

Die richtige Zielgruppen-Ansprache ist wichtig Die Demenzberatung weist ein Spezifikum auf, das ansonsten allenfalls bei Erkrankungen kleiner Kinder auftritt: Die Informationen und die Beratung zum Nutzen der Erkrankten kann sich primär nicht an die Erkrankten selbst richten. Wenn Beratung – zum Nutzen der Kranken – etwas erreichen kann, dann erreicht sie es über Dritte: über die Angehörigen, über Alten- und KrankenpflegerInnen.

Bei jedweder Information muss sowohl die sachliche wie auch die emotionale Ebene stimmen. Wie tief man in das Thema eindringt, wie vereinfacht oder wie komplex die wichtigen Informationen umgesetzt werden – das muss sich danach richten, wer der Adressat der Botschaft ist.

Angehörige, Altenpflegerinnen, Krankenpflegerinnen, Ärzte – die Art der Information muss sich natürlich unterscheiden. Gegenüber allen diesen jedoch gilt es, Verständnis zu wecken hinsichtlich der typischen Verhaltensmuster Demenzkranker, die zunächst einmal befremdlich erscheinen mögen.

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