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Demenz: Herausforderung für Medizin und Gesellschaft

Fortbildungskongress des 16. Sächsischen Apothekertags

RADEBEUL (Inken Rutz) | Der Fortbildungskongress des 16. Sächsischen Apothekertages am 21. April in Radebeul war mit 200 Teilnehmern gut gesucht. Ihnen wurde das Thema „Demenz als gesellschaftliche, ethische und medizinische Herausforderung“ in interessanten Vor­trägen und einer spannenden Gesprächsrunde nähergebracht.

Demenz ist eine Herausforderung für Medizin und Gesellschaft. Der Sächsische Apothekertag, der von der Sächsischen Landesapothekerkammer, dem Sächsischen Apothekerverband und der Landesgruppe Sachsen der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft veranstaltet wurde, bot ein fachlich hochqualitatives und umfassendes Vortragsprogramm zum Thema Demenz an, das von den medizinischen Grundlagen der verschiedenen Demenzformen und den unterschiedlichen Therapieansätzen bis zu den Herausforderungen für die Gesellschaft reichte. Nicht fehlen durfte eine Bestandsaufnahme der Erforschung neuer Antidementiva.

Antworten auf die Herausforderungen

Die Fortbildungsveranstaltung begann unter der Moderation von Brigitte M. Gensthaler mit einer Gesprächsrunde zum Thema „Betreuung dementer Patienten“. Die Runde griff wichtige ethische und praktische Fragestellungen auf, die sich bei der Betreuung von Menschen mit Demenz ergeben. Dr. Stefan Zeller, Direktor des Görlitzer Geriatriezentrums, betonte den hohen Betreuungsaufwand sowohl für pflegende Angehörige als auch für alle Berufsgruppen, die mit dementen Patienten in Berührung kommen. Die Politik hat die Etablierung geriatrischer Netzwerke gefordert, um die medizinische und anderweitige Versorgung der Betroffenen zu verbessern.

Apotheken als niederschwellige Ansprechpartner standen im Fokus des Gesprächsbeitrages von Dr. Jens Schneider, Vorsitzender der Alzheimer Gesellschaft Augsburg. Schneider stellte das Projekt „Demenzfreund­liche Apotheke Augsburg“ vor, an dem schon viele Apotheken im Großraum Augsburg beteiligt seien. Ein angemessener Umgang mit dementen Menschen und die Kenntnis der speziellen Bedürfnisse der Betroffenen stehen dabei im Mittelpunkt. „Apotheken müssen mehr können, als Arzneimittel abzugeben“, resümierte Schneider.

Dr. Petra Plunger, Apothekerin aus Österreich, berichtete von den Erfahrungen des österreichischen Modellprojektes „Demenzfreundliche Apotheke“, an dem 40 Apotheken beteiligt seien. Das Apothekennetzwerk müsse allerdings mit fehlenden Versorgungsstrukturen kämpfen. Als Stichwort nannte Plunger die sogenannten „Freitagnachmittags-Entlassungen“, die Betroffene, Angehörige und auch die Apotheken vor große Probleme stellten. Darin unterscheide sich die Situation in Österreich nicht von der in Deutschland.

Die besonderen Bedürfnisse dementer Patienten erläuterte Dr. Ursula Sottong, Leiterin der Malteser Fachstelle Demenz in Köln. So müssten idealerweise im stationären Bereich feste Zeitpläne eingehalten werden, um den Betroffenen Möglichkeiten der Erholung zu bieten und ihren Tagesablauf besser zu strukturieren. Trotz dieser Herangehensweise sei aber ein stationärer Aufenthalt immer noch „das Schlechteste, was Dementen passieren kann“. Als Wunsch für die Zukunft nannte Sottong den Aufbau besserer Versorgungsstrukturen mit interdisziplinären Netzwerken.

Demenz häufig zu spät erkannt

In seinem Vortrag zur Pathophysiologie, Prävention und Therapie demenzieller Erkrankungen ging Dr. Alexander Reinshagen, Facharzt für Neurologie der Sana Kliniken Leipziger Land, auf die häufigsten Demenzformen, deren Besonderheiten und Therapiemöglichkeiten ein. Auch die Prävention ­demenzieller Erkrankungen und die Differenzialdiagnose zur Abgrenzung von anderen Erkrankungen stellte er exemplarisch vor. Reinshagen erläuterte, dass zwischen mehr als 70 Demenzen unterschieden wird, von denen die häufigsten die Alzheimer Demenz, die Lewy-Körperchen-Demenz und die Frontotemporale Degeneration seien. Die meisten Demenzen werden erst sehr spät diagnostiziert, zu spät für eine erfolgreiche Therapie. Hinzu kommen fragwürdige Therapieansätze, da z. B. zwischen Amyloid-Plaques und Demenz nur eine etwa zehnprozentige Korrelation besteht. Präventiv sollten sich ältere Menschen ausgewogen ernähren, auf ausreichende Bewegung achten und immer mal wieder „neue Wege“ gehen.

Differenzialdiagnose wichtig

Eindrucksvoll schilderte Reinshagen die Wichtigkeit einer genauen Differenzialdiagnose, denn immerhin gebe es „zehn Prozent potenziell reversible Demenzen, die nicht sein müssten“ und zudem eine Reihe Krankheiten wie Depressionen, die demenzähn­liche Symptome auslösen können. Insbesondere das Auftreten der Hakim-Trias, bestehend aus Gangunsicherheit (Ataxie), Demenz und Harninkontinenz, sei für Apotheker leicht zu beobachten und könne Inhalt einer Beratung der Betroffenen sein. Sie wird durch einen gesteigerten intrakraniellen Druck (z. B. beim Normaldruckhydrozephalus) ausgelöst, und den Patienten könne durch eine Shunt-OP oder wiederholtem Liquorabfluss effektiv geholfen werden. Ferner müsse bei der häufigen Polymedika­tion geriatrischer Patienten auf dementive und pro­delirogene Arzneistoffe geachtet werden. Deren Einsatz solle möglichst vermieden werden.

Forschung steht erst am Anfang

Dr. Susanne Schiek, Bereichsleiterin Geriatrische Pharmazie der Universität Leipzig, forderte mehr Forschung auf dem Gebiet der Antidementiva. Zudem sollte die Forschung eine Fokussierung auf bestimmte Hypothesen zur Entstehung demenzieller Erkrankungen vermeiden. Als Beispiel nannte sie die Beseitigung von β-Amyloid-Plaques, die im Zentrum der Alzheimer-Forschung stehen. Dieser Ansatz sei eventuell zu einseitig. Theoretisch könnten die Plaques auch eine Schutzfunktion im Gehirn ausüben, stellte Schiek zur Diskussion. Kritisch gab sie zu bedenken, dass 99,6 Prozent der Wirkstoffe aus der Demenz-Forschung, die von 2002 bis 2012 klinisch geprüft wurden, versagt haben. Ob das von den G8-Gesundheitsministern im Jahre 2013 geforderte weltweite Ziel einer kurativen Therapie der Demenz bis zum Jahre 2025 zu erreichen sei, bezweifelte Schiek dementsprechend. |

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