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Rechtsgutachten zur Gesundheitsreform 2000: Planwirtschaft, Leistungsabbau und r

STUTTGART (diz). Die von der Bundesregierung vorgesehene Gesundheitsreform 2000 führt das deutsche Gesundheitswesen in eine Planwirtschaft, zu Leistungsabbau und zu einem ruinösen Wettbewerb der Leistungsanbieter. Zu diesem Ergebnis kommt das vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg in Auftrag gegebene Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Rüdiger Zuck, das am 2. September 1999 auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Zudem sind einige der mit der geplanten Gesundheitsreform vorgesehenen Maßnahmen verfassungs- und europarechtlich bedenklich. Sollte sich die Bundesregierung nicht einsichtig zeigen, erwägt der LAV eine Klage vor dem Verfassungsgericht.

Wie wir bereits in unserer DAZ-Apotheker Zeitung vom vergangenen Montag berichteten, geht es in dem Gutachten vor allem um folgende drei Punkte:

  • Wird der vorliegende Entwurf in der jetzigen Form Gesetz, wird damit in unserem Gesundheitswesen eine zentralistische Planwirtschaft aufgebaut, "vergleichbar mit dem gescheiterten real existierenden Sozialismus".
  • Für die Versicherten bedeutet dies einen massiven Leistungsabbau im Gesundheitswesen. Zuck bezeichnete vor diesem Hintergrund die Reform - in Anlehnung an die Rentenlüge - als "Gesundheitslüge".
  • Schließlich führe das neue System zur Zerschlagung des etablierten sozialen Versicherungssystems. Die Reform setze auf ruinösen Wettbewerb unter den Leistungserbringern und nicht auf den Erhalt des Solidarsystems. Nicht mehr der Patient stehe im Mittelpunkt der staatlichen Fürsorge, sondern die gesetzliche Krankenkasse. Patienten und Leistungserbringer würden zu reinen Objekten eines riesigen Verwaltungsapparats.

Unangreifbare Datenmacht der Krankenkassen

Als einen Hauptkritikpunkt an der Gesundheitsreform nannte der Rechtswissenschaftler den Aufbau einer zentralwirtschaftlichen Datenbürokratie bei den Krankenkassen. Dies führe anstelle eines funktionsfähigen Datenmanagements zur Datenmacht und schließlich zum Datenmonopol bei den Krankenkassen. Die dadurch entstehende Datenmacht und das Datenmonopol soll dazu genutzt werden, das Gesundheitswesen steuern zu können. Bisher erfolgreich aufgebaute Strukturen wie z. B. die Apothekenrechenzentren, würden dadurch zurückgedrängt oder ausgeschaltet. Mit der ungeheueren Datenflut, die den Krankenkassen zugeführt werde, seien Gefahren für die Vorgaben des Datenschutzes gegeben. Die Marktmacht der Kassen werde so gestärkt, dass es im Gesundheitsmarkt in erster Linie um die Verwaltung und die Zuweisung von Leistungen und die Vorhaltung von Geldmitteln gehe, aber nicht darum, notwendige Leistungen zum Erhalt und/oder der Wiederherstellung der Gesundheit der Versicherten zu erbringen.

Die unangreifbare Datenmacht auf Kassenseite verschaffe den Kassen ein ungeheures Machtpotential, ein Gegengewicht auf der Anbieterseite fehle. Dieses den Krankenkassen zugewachsene Potential bezeichnete Zuck als Informationsgewalt. Damit sei ein weitgehend rechtsfreier Raum entstanden, es trete eine empfindliche Störung des Marktgleichgewichts ein. Durch die Datenhoheit der Kassen werde die grundsätzliche Parität der Vertragspartner wie Ärzte, Zahnärzte und Apotheken gefährdet. Denn allein die Kassen verfügen über maßgebliche Daten und entscheiden, welche Daten sie Dritten zur Verfügung stellen, wann und in welcher Form. Ein solches System verstoße, so der Stuttgarter Rechtswissenschaftler, verfassungsrechtlich als Ganzes gegen das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und gegen das Grundrecht der Informationsfreiheit.

Ein solches planwirtschaftliches Modell wäre rechtlich nur haltbar, wenn Informations- und/oder Auskunftsansprüche der Leistungserbringer überall dort geschaffen würden, wo die Krankenkassen-Daten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verwerteten. Außerdem müsste ein Transparenzgebot eingeführt werden. Die Kassen müssten offenlegen, auf welchen Datengrundlagen sie arbeiteten. Nur so könnte ein gerechter Interessensausgleich sichergestellt und für die demokratische Kontrolle gesorgt werden.

Der Medizinische Dienst hat alles unter Kontrolle

Als ungerechtfertigte Bürokratisierung bezeichnete Zuck den vorgesehenen umfangreichen Ausbau des Medizinischen Dienstes bei den Krankenkassen. Die Gesundheitsreform sehe jedoch vor, den Medizinischen Dienst immer einzusetzen, insbesondere, wenn es um das Verordnungsverhalten von Ärzten gehe. Das dirigistisch-planwirtschaftliche Gesamtsystem werde dadurch weiter zementiert, was zu einer erheblichen Bürokratisierung der medizinischen Seite der Gesundheitsleistungen führe. Allein der für den Aufbau des Medizinischen Dienstes nötige wirtschaftliche Aufwand werde höher sein als der zu erwartende Nutzen.

Die Versicherten erhalten weniger Leistungen

Mit einer Reform, wie sie jetzt im Entwurf vorliege, werde lediglich die Situation der Krankenkassen verbessert, dies jedoch zu Lasten der Versicherten und auf Kosten der Leistungserbringer.

  • Beispiel Benchmarking: Während sich Benchmarkingmodelle in der Wirtschaft am Besten orientieren, gehe es beim Benchmarking im Gesundheitswesen um die Orientierung am Billigsten. Das Modell, bei dem man sich am Mittelwert aus den drei Versorgungsgebieten mit den niedrigsten Ausgaben orientierte, werde einschneidende Folgen haben. Nach den vorliegenden Rechnungen müsse der Arzneimittelbedarf um 5 bis 6 Mrd. DM abgesenkt werden. Aber allein schon die Ermittlung der Pro-Kopf-Ausgaben sei unzureichend, da Daten fehlten. Außerdem seien die Pro-Kopf-Ausgaben regional unterschiedlich, ebenso die Befreiungsquoten, die Morbiditätsentwicklung und der Anteil der chronisch Kranken. Da das vorgesehene Benchmarkingmodell diese Umstände nicht berücksichtige, sei es als gesetzliche Lösung weder geeignet, noch zumutbar. Es verstoße deshalb verfassungsrechtlich gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, so Zuck.
  • Beispiel Globalbudget: Eine von den Kassen festgesetzte Obergrenze für sämtliche jährliche Leistungsausgaben darf nicht überschritten werden. Aber: Führt ein Vertrag mit Leistungserbringern zu einer Überschreitung der Obergrenze, kann er nur abgeschlossen werden, wenn in einem anderen Leistungsbereich entsprechende Einsparungen vorgenommen würden. Dies jedoch, so der Rechtswissenschaftler, führe zu einem verfassungswidrigen Systembruch, da die Notwendigkeit einer Leistungserbringung nicht davon abhängen könne, ob es in einem anderen Leistungsbereich Freiräume gebe. Auf der anderen Seite sei aber dem Versicherten zugesichert worden, dass alle notwendigen Leistungen durch das Gesetz erbracht werden. Diesen Auftrag könnten die Leistungserbringer im Rahmen des Globalbudgets allerdings nicht mehr erfüllen.

Einkaufsmodell passt nicht zum Solidarsystem

Bedenklich sei auch die vom Gesetz vorgesehene Einführung eines Systems der integrierten Versorgung, das man kurz als "Einkaufsmodell" bezeichne. Die Krankenkassen könnten hier mit einzelnen kleinen Gruppierungen der Leistungserbringer branchenbezogen Verträge abschließen, wobei von den sonst maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden könne. Lediglich ein Hausarzt müsse an diesem System beteiligt werden. Die Versicherten, die hieran teilnehmen, erhielten einen Bonus. Mit dem an die Versicherten gewährten Bonus seien Steuerungseffekte verbunden, dies wiederum führe zur Verdrängung anderer Leistungsanbieter vom Markt. Damit zwinge die integrierte Versorgung die Leistungsanbieter entweder in das System hinein oder es verdränge sie vom Markt. Die Leistungserbringer, die nicht am System teilnehmen, hätten keine Ausweichmöglichkeiten mehr. Das so geschaffene Einkaufsmodell zerschlage das etablierte Solidarsystem, ein ruinöser Wettbewerb wäre die Folge. Außerdem, so fügte Zuck hinzu, werde damit gleichzeitig auch das Berufsrecht zerschlagen. Ärzte müssten ihren Versicherten Apotheken empfehlen und umgekehrt.

Für den Präsidenten des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, Fritz Becker, stellt sich die Situation so dar: Großer Gewinner ist die GKV, die Verlierer sind Versicherte und Leistungserbringer. Das Gutachten stärke die Apotheker im Kampf um den Erhalt des bewährten Gesundheitssystems. Becker wörtlich: "Wir wollen nichts weiter, als dass der Patient eine optimale Versorgung erhält, dafür gehen wir nötigenfalls bis vor das Verfassungsgericht."

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