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Gesundheitsreform: Reformkonzept aus Rheinland-Pfalz

BERLIN (ks). Das deutsche Gesundheitssystem krankt. Dies zeigt die prekäre Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen und ist die Feststellung zahlreicher aktueller Gutachten. Es herrscht Einigkeit, dass rasche und umfassende Reformen dringend notwendig sind. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat bereits erste Eckpunkte für Reformen vorgestellt. Doch auch der rheinland-pfälzische Sozialminister Florian Gerster (SPD) macht sich für weitreichende Änderungen stark. Bereits im letzten Sommer hat er seine Blaupause für Reformen vorgelegt. Seine Vorschläge hat er in der "Frankfurter Rundschau" vom vergangenen Wochenende nochmals konkretisiert.

Das Heil der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sieht Gerster nicht darin, mehr Geld ins System zu pumpen. Angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage müsse über Veränderungen auf der Einnahmenseite nachgedacht werden – die grundsätzlichen Probleme ließen sich hierdurch jedoch nicht lösen. Die Einbeziehung von Kapitaleinkünften in die Beitragsbemessungsgrundlage sei zwar konsequent, da die GKV auf dem Prinzip der Leistungsfähigkeit beruhe.

Aber damit müsse auch das Prinzip der hälftigen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgegeben werden. Reformbedarf sieht Gerster jedoch bei der Finanzierung der GKV durch Rentner: Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber in einem Urteil aus dem März vergangenen Jahres aufgefordert, die verfassungswidrige Ungleichbehandlung von freiwillig versicherten und pflichtversicherten Rentnern zu beseitigen. Diese Ungleichbehandlung sieht das Gericht darin begründet, dass nur bei freiwillig versicherten Rentnern auch Kapitaleinkünfte in der GKV berücksichtigt werden. Gerster schlägt daher vor, dass mit Blick auf die Generationengerechtigkeit alle Einkünfte von Rentnern bis zur Beitragsbemessungsgrenze in die Krankenversicherung einbezogen werden.

Das vorrangige Ziel aller Reformen muss es sein, hochwertige Gesundheitsleistungen effizient bereitzustellen und so Beitragssatzerhöhungen zu vermeiden, erläutert Gerster. Dabei legt er seinen Überlegungen ein "magisches Viereck" mit den Eckpunkten Qualität, Wirtschaftlichkeit, Solidarität und Subsidiarität zugrunde. Am Prinzip der solidarisch finanzieren GKV hält der SPD-Politiker fest. Allerdings bedeute dies nicht, dass auf mehr Eigenverantwortung verzichtet werden müsse.

Einsparpotenziale im Arzneimittelbereich

Wirtschaftlichkeitsreserven sieht Gerster im Arzneimittelsektor. Hier sind die GKV-Ausgaben besonders in die Höhe geschnellt. Einsparpotenziale lägen etwa in der konsequenteren Verschreibung von Generika sowie im Verzicht auf umstrittene Medikamente und Scheininnovationen. Der vom Bundestag beschlossenen Aut-idem-Regelung muss Gerster zufolge ein veränderter Rahmen für die Preisbildung in der Apotheke folgen. Als bedauerlich bezeichnet es der Mainzer Minister, dass die Einführung der Positivliste verschoben wurde. Er verspricht sich hiervon eine erhöhte Qualität und Transparenz der Arzneimitteltherapie sowie eine verbesserte Kostensteuerung. Zudem müsse mittelfristig auch im Arzneimittelsektor der Wettbewerb erhöht werden. Einen Anfang könnte in der Zulassung des Versandhandels für den planbaren Medikamentenverbrauch chronisch Kranker liegen.

Der ärztlichen Selbstverwaltung soll grundsätzlich die Chance eingeräumt werden, eigene Instrumente zur Kostendämpfung einzusetzen, so Gerster. Dabei erwartet er von der im Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz vorge- sehenen Pflichtberatung der Ärzte durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) eine Verbesserung des Verordnungsverhaltens. Greifen die Maßnahmen der Selbstverwaltung jedoch nicht, so sollte jedenfalls vorübergehend wieder auf das Instrument der Budgetierung zurückgegriffen werden.

Aufbrechen kartellähnlicher Strukturen

Gerster spricht sich auch für eine stärker marktwirtschaftliche Orientierung im Gesundheitswesen aus. Dem stünden jedoch die kartellähnlichen Strukturen der Selbstverwaltung im Wege: die KVen und Plankrankenhäuser auf der einen Seite, die gesetzlichen Krankenkassen und ihr "Kontrahierungszwang" auf der anderen. Zwar wurde der Wettbewerb zwischen den Kassen mit der seit 1996 bestehenden weitgehend freien Kassenwahl für die Versicherten eröffnet und mit dem Risikostrukturausgleich die Basis für faire Bedingungen geschaffen. Doch dieser Einstieg in den Wettbewerb sei halbherzig, solange er sich auf das Merkmal "Höhe des Beitragssatzes" beschränke, so Gerster.

Der an verschiedenen Stellen des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) verankerte Grundsatz, wonach alle Kassen "einheitlich und gemeinsam" zu handeln haben, schränke den Gestaltungsspielraum zu stark ein. An diesem Prinzip dürfe nicht festgehalten werden, wenn der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen auch die Leistungserbringung umfassen soll. So könnten Krankenkassen eigene Vertragsbedingungen mit Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern aushandeln und gegebenenfalls eine große Mitgliederzahl als Wettbewerbsvorteil nutzen. Auf dieser Basis könnten neue Versorgungsformen (Hausarztmodell, integrierte Netze) eingeführt werden. Für Versicherte, die an solchen optimierten Strukturen teilnehmen, seien Beitragssatzsenkungen denkbar. Ein solches Vorgehen würde auch den Anreiz für Leistungserbringer erhöhen, qualitativ hochwertige und ökonomische Leistungen anzubieten.

Neue Aufgaben für die ärztliche Selbstverwaltung

Auch die Rolle der KVen will Gerster auf den Prüfstand stellen. Gemeinsam mit den Krankenkassen haben diese den gesetzlichen Auftrag, die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Dies bedeute einerseits Stabilität, andererseits Inflexibilität des Systems, so der SPD-Politiker. Neue Strukturen seien nur schwer durchsetzbar. In Zeiten der Überversorgung und der gestiegenen Mobilität der Menschen, sei es jedoch fragwürdig, ob dieser Sicherstellungsauftrag noch notwendig ist oder aber durch andere Institutionen übernommen werden könnte. Schon jetzt sieht das SGB V vor, dass die Krankenkassen in besonderen Fällen allein den Sicherstellungsauftrag innehaben, wenn die Versorgung durch die KVen nicht sichergestellt ist. Dem können die Kassen durch den Abschluss von Verträgen mit einzelnen Leistungsanbietern oder durch die Errichtung eigener Einrichtungen nachkommen.

Für Gerster ist es daher nur konsequent, den Kassen den Sicherstellungsauftrag wieder gänzlich einzuräumen. Durch die Einführung von Einkaufsmodellen verliere der Auftrag der KVen, alleiniger Träger der Beziehungen zwischen Kassenärzten und Krankenkassen zu sein, an Bedeutung. Statt dessen sollte die ärztliche Selbstverwaltung nach Auffassung Gersters ihren Tätigkeitsschwerpunkt auf die Qualitätssicherung einschließlich Zertifizierung und Beratung legen.

Mehr Kompetenz und Eigenverantwortung der Patienten

Auch die Rolle des Patienten befindet sich im Wandel. Der Mainzer Minister will die Kompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt wissen. Basis hierfür sei die freie Arzt- und Kassenwahl.

Das Angebot unterschiedlicher Versorgungsformen bedeute für den Patienten keine Einschränkung, sie können freiwillig an den Netzstrukturen teilnehmen und auch wieder aussteigen. Allerdings bedürfe es einer besseren Information des Patienten und einer höheren Transparenz als es jetzt der Fall ist. Insbesondere müsse das Arzt-Patienten-Verhältnis durchschaubarer werden. Ein offeneres und nachvollziehbares Abrechnungsverfahren würde das Kostenbewusstsein der Patienten schärfen und Abrechnungsbetrügereien erschweren, so Gerster. Darüber hinaus sollen Versicherte durch gezielte Kampagnen zu mehr Gesundheitsbewusstsein und Eigenverantwortung angehalten werden. Bislang sei das deutsche Gesundheitswesen zu sehr auf die kurative Medizin ausgerichtet.

Mehr Eigenverantwortung bedeute darüber hinaus, dass im Rahmen der GKV kein Anspruch auf das medizinisch Machbare sondern nur auf das notwendige und wirksame besteht. Der Leistungskatalog müsse demzufolge um medizinisch nicht notwendige Leistungen bereinigt werden. Da hier Abgrenzungsschwierigkeiten vorhersehbar sind, müsse dies im Einvernehmen aller Beteiligten gelöst werden.

Die Gesundheitsreform 2003

Der gemeinsame Nenner der zahlreichen Reformvorschläge sei die Forderung nach einer wettbewerbsorientierten Weiterentwicklung des Systems, insbesondere nach einer größeren Vertragsfreiheit für die Krankenkassen, erläutert Gerster. Es zeichne sich zunehmend ab, dass der Kontrahierungszwang der Kassen mit niedergelassenen Ärzten und Plankrankenhäusern aufgehoben wird. Auch die Notwendigkeit einer stärkeren Konzentration auf integrierte Versorgungsformen, Qualitätssicherung, Prävention, Transparenz und Patientensouveränität sei unumstritten. Nur so könne ein hochwertiges und bezahlbares Gesundheitssystem geschaffen werden. Daher seien sämtliche Akteure des Gesundheitswesens aufgefordert, aktiv an der Gesundheitsreform 2003 mitzuwirken. Ein Konsens aller Beteiligten sei erstrebenswert.

Die Bemühungen darum dürften aber nicht zu einer Lähmung der Gesundheitspolitik führen. Die Politik müsse in dem komplizierten Interessengeflecht als ehrlicher Makler auftreten, so Gerster. Sie müsse aber auch den Mut aufbringen, sich über Einzelinteressen hinwegzusetzen. Klar sei, dass es bei Reformen nicht nur Gewinner geben könne, eine Systemveränderung könne nicht alle Besitzstände wahren. Letztlich können nach Auffassung des Gesundheitspolitikers aber alle leistungsfähiger Anbieter von einer wettbewerbsorientierten Weiterentwicklung profitieren. Gerster ist überzeugt: die eigentlichen Gewinner werden die Versicherten und Patienten sein.

Das deutsche Gesundheitssystem krankt. Es herrscht Einigkeit, dass rasche und umfassende Reformen dringend notwendig sind. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat bereits erste Eckpunkte für Reformen vorgestellt. Doch auch der rheinland-pfälzische Sozialminister Florian Gerster (SPD) macht sich für weitreichende Änderungen stark. Bereits im letzten Sommer hat er seine Blaupause für Reformen vorgelegt. Seine Vorschläge hat er in der "Frankfurter Rundschau" vom vergangenen Wochenende nochmals konkretisiert.

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