Vorsicht Muskelschwäche

Statine und Myasthenia gravis – was Apotheker wissen sollten

Stuttgart - 23.10.2023, 15:30 Uhr

Eine Myasthenia gravis ist unter anderem durch fluktuierende Muskelschwäche der Augen-Muskulatur gekennzeichnet. (Foto: LIGHTFIELD STUDIOS / AdobeStock)

Eine Myasthenia gravis ist unter anderem durch fluktuierende Muskelschwäche der Augen-Muskulatur gekennzeichnet. (Foto: LIGHTFIELD STUDIOS / AdobeStock)


Statine werden von vielen Patient:innen aufgrund von muskelschädigenden Nebenwirkungen gefürchtet. Immer wieder wird deshalb deutlich gemacht, dass die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen in diesem Zusammenhang relativ gering ist. Allerdings sollte bei Statin-Therapie offenbar nicht nur an die allgemein bekannten Myopathien gedacht werden, sondern speziell auch an die – ebenfalls seltene – Myasthenia gravis.

Die Myasthenia gravis und andere myasthene Syndrome beruhen auf einer Störung der neuromuskulären Erregungsübertragung. „Mit Ausnahme der CMS sind hierfür Autoimmunprozesse verantwortlich, in deren Rahmen es durch Bildung von Auto-Antikörpern (Auto-Ak) gegen prä- oder postsynaptische Strukturen der neuromuskulären Endplatte zum Leitsymptom der belastungsabhängigen Muskelschwäche kommt“, heißt es in der aktuell gültigen Leitlinie zu diesen Erkrankungen. CMS steht dabei für das kongenitale myasthene Syndrom [1].

Aktuell macht die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) auf die seltene Erkrankung der Myasthenia gravis aufmerksam, „die durch fluktuierende Muskelschwäche (z. B. der Augen-, Gesichts- oder Extremitäten-Muskulatur), Doppelbilder, Sprechstörungen und Kurzatmigkeit charakterisiert ist“. Anlass ist, dass die britische Arzneimittelbehörde (MHRA) darüber informiert, „dass Statine eine Myasthenia gravis (MG) auslösen oder eine bestehende MG oder okuläre Myasthenie verschlechtern können“ [2, 3].

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Auch in der aktuellen deutschen Leitlinie heißt es, dass einige Arzneimittel die „Symptome der Myasthenie verschlechtern (exazerbieren) oder eine Myasthenie zum Ausbruch bringen (triggern)“ können. Für den überwiegenden Teil der Arzneimittel handele es sich jedoch um einen wissenschaftlich nicht gesicherten Verdacht. Zu Statinen heißt es dort entsprechend: „vorsichtige Anwendung, wenn indiziert, und in möglichst niedriger Dosierung“.

Empfehlungen und Informationen für Patient:innen

In der aktuellen AkdÄ-Meldung ist nun zu lesen, dass derzeit nicht bekannt ist, „ob unterschiedliche Statine, eine unterschiedliche Anwendungsdauer oder unterschiedliche Dosierungen Einfluss auf das Risiko haben“. In Fallberichten aus Großbritannien sei bei den meisten Betroffenen über eine Genesung nach Absetzen des Statins berichtet worden. Bei einem kleinen Teil sollen jedoch weiterhin Symptome bestehen. Es wird jetzt geraten, bei einer Verschlimmerung der MG-Symptome Statine abzusetzen. Patient:innen mit MG sollten, wenn sie ein Statin verordnet bekommen, auf eine Symptomverschlechterung achten. Die Symptome sollen „zwischen wenigen Tagen bis zu drei Monate nach Beginn der Statinbehandlung“ beginnen [2, 3].

Wenn Patient:innen über entsprechende Nebenwirkungen berichten, sollten sie in jedem Fall ernst genommen werden. Das wird auch dadurch deutlich, dass der Pharmakovigilanz-Ausschuss (PRAC) der EMA bereits im Januar die Aufnahme des Risikos in die Fachinformationen Statin-haltiger Arzneimittel empfohlen hat [2, 4]. So heißt es nun beispielsweise in der Fachinformation des Kombinationspräparats Inegy® aus Ezetimib und Simvastatin: 

„In wenigen Fällen wurde berichtet, dass Statine eine Myasthenia gravis oder eine Verschlechterung einer bereits bestehenden Myasthenia gravis oder okulärer Myasthenie auslösen (siehe Abschnitt 4.8). INEGY sollte bei einer Verschlimmerung der Symptome abgesetzt werden. Es wurde über Rezidive berichtet, wenn dasselbe oder ein anderes Statin (erneut) gegeben wurde.“ 

Die Häufigkeit solcher Nebenwirkungen wird mit „nicht bekannt“ angegeben [5]. Die britische Arzneimittelbehörde (MHRA) berichtet, zwischen Juni 1995 und Juni 2023 zehn entsprechende Berichte aus Großbritannien erhalten zu haben, gibt dabei aber zu bedenken, wie umfassend Statine verordnet werden [3]. 

Statine sind mit dem Verdacht auf myasthene Nebenwirkungen jedenfalls keineswegs allein. Bei einigen Antibiotika gilt das Risiko für myasthenieverstärkende Effekte laut deutscher Leitlinie sogar als „relativ gut belegt“ [1].

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Literatur 

[1] S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. Stand: 10.11.2022, Gültig bis:

9.11.2025, dgn.org/leitlinie/diagnostik-und-therapie-der-myasthenia-gravis-und-des-lambert-eaton-syndroms

[2] Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Drug Safety Mail 2023-51. Information zu Statinen: Auslösung oder Verschlimmerung von Myasthenia gravis. 19.10.2023, www.akdae.de/arzneimittelsicherheit/drug-safety-mail/newsdetail/drug-safety-mail-2023-51

[3] Medicines and Healthcare products Regulatory Agency. Statins: very infrequent reports of myasthenia gravis; 26.9.2023. Verfügbar unter: www.gov.uk/drug-safety-update/statins-very-infrequent-reports-of-myasthenia-gravis

[4] European Medicines Agency. New product information wording – Extracts from PRAC recommendations on signals: Adopted at the 9-12 January 2023 PRAC. Amsterdam; 6.2.2023. Verfügbar unter: www.ema.europa.eu/en/documents/prac-recommendation/new-product-information-wording-extracts-prac-recommendations-signals-adopted-9-12-january-2023-prac_en.pdf

[5] Fachinformation Inegy®, Stand Juli 2023, www.fachinfo.de/


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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