Neues Estrogen zur Zulassung empfohlen

Können orale hormonelle Kontrazeptiva sicherer werden?

Stuttgart - 12.04.2021, 07:00 Uhr

Ab der neunten Schwangerschaftswoche ist Estetrol im Blut der Mutter nachweisbar und steigt kontinuierlich bis zum Ende der Schwangerschaft auf ca. 1 ng/ml. Jetzt kann das Hormon auch zur Verhütung zum Einsatz kommen. (Foto: nenetus / stock.adobe.com)

Ab der neunten Schwangerschaftswoche ist Estetrol im Blut der Mutter nachweisbar und steigt kontinuierlich bis zum Ende der Schwangerschaft auf ca. 1 ng/ml. Jetzt kann das Hormon auch zur Verhütung zum Einsatz kommen. (Foto: nenetus / stock.adobe.com)


Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat eine positive Stellungnahme für ein neues, kombiniertes orales Kontrazeptivum mit 15 mg Estetrol (E4) und 3 mg Drospirenon (DRSP) abgegeben. Das gaben Gedeon Richter Plc. und Mithra Pharmaceuticals S.A. am 6. April bekannt. Was steckt hinter dem neuen Estrogen Estetrol? Könnte es die Verhütung in Zukunft wirklich sicherer machen?

Die EMA hat ein neues orales Kontrazeptivum mit der Estrogen-Komponente Estetrol zur Zulassung empfohlen. In Europa werde das Produkt in Zukunft von Gedeon Richter unter dem Markennamen Drovelis® vermarktet, heißt es in einer Pressemitteilung der Firma gemeinsam mit Mithra. 

Mithra ist nach eigenen Angaben ein belgisches Biotech-Unternehmen, das sich der Transformation der Frauengesundheit verschrieben hat – mit besonderem Fokus auf Verhütung und Menopause. Man erforsche das Potenzial des „natürlichen Estrogens Estetrol“ in einer Vielzahl von Anwendungen im Bereich der Frauengesundheit und darüber hinaus.

Professor Dr. Jean-Michel Foidart, Mitbegründer von Mithra, wird in der Mitteilung zitiert: Man habe seit mehr als zehn Jahren an Estetrol, „einem natürlichen Hormon, das vom menschlichen Körper während der Schwangerschaft produziert wird, gearbeitet“ und eine neue Generation von Pillen mit einem klaren Nutzen-Risiko-Verhältnis entwickeln wollen. Die Firma verspricht sich einen Durchbruch in einem Bereich, in dem es seit Jahrzehnten keine Innovation mehr gegeben habe.   

Drovelis® werde von Mithra an andere kommerzielle Partner lizenziert und wurde bereits Anfang März in Kanada zugelassen. Man erwarte eine weitere Marktzulassung in den USA bis Ende des ersten Halbjahres 2021. Die Sicherheit und Wirksamkeit soll bei über 1.550 Teilnehmerinnen in Europa/Russland und ca. 2.150 Teilnehmerinnen in den USA/Kanada über einen Zeitraum von 13 Zyklen untersucht worden sein.

Drospirenon, Estetrol und das Thromboserisiko

Wie die europäische Arzneimittelbehörde EMA bereits am 26. März berichtete, hat neben Drovelis® (Gedeon Richter Plc.) auch sein Duplikat Lydisilka (Estetra SPRL) vom CHMP eine positive Stellungnahme für den Einsatz als orales Kontrazeptivum erhalten. Beide Präparate enthalten Estetrol und Drospirenon. Laut EMA allerdings in einer Konzentration von 14,2 mg und 3 mg.

Die EMA beschreibt Estetrol als ein neues chemisch synthetisiertes Estrogen. Es werde beim Menschen nur von der Leber des menschlichen Fötus während der Schwangerschaft produziert. Über die Plazenta soll es in den mütterlichen Kreislauf gelangen. Estetrol unterdrücke die Aktivität des follikelstimulierenden Hormons und stabilisiere das Blutungsmuster. Drospirenon unterdrückt die Aktivität des luteinisierenden Hormons und ist schon länger bekannt. 

Im Mai 2011 informierte das BfArM, dass die Produktinformationen drospirenonhaltiger oraler Kontrazeptiva (z.B. Yasmin®) bezüglich des Risikos venöser Thromboembolien (VTE) aktualisiert wurden. In einem Rote-Hand-Brief von 2018 zu kombinierten hormonalen Kontrazeptiva (KHK) wird das VTE‐Risiko kombinierter hormoneller Kontrazeptiva gegenübergestellt. Das jeweilige Risiko gilt allerdings nur für die Kombination mit Ethinylestradiol. DAZ.online berichtete bereits 2019, dass beispielsweise auch für 17β-estradiolhaltige kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) aktuell noch keine epidemiologischen Daten zum VTE-Risiko vorliegen. Man ging aber damals davon aus, dass die Gegenanzeigen für ethinylestradiolhaltige KOK auf estradiolhaltige übertragbar seien. 

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Drospirenon steht in dem Rote-Hand-Brief in einer Gruppe mit Gestoden und Desogestrel. Das heißt: Geschätzt erleiden pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr 9-12 eine VTE. Damit ist das Risiko gegenüber Pillen mit Levonorgestrel um das 1,5- bis 2-Fache erhöht. Und so heißt es auch in der EMA-Empfehlung: „Bei der Entscheidung, Drovelis zu verschreiben, sollten die aktuellen Risikofaktoren der einzelnen Frau berücksichtigt werden, insbesondere die für venöse Thromboembolien (VTE), und wie hoch das VTE-Risiko mit Drovelis® im Vergleich zu anderen kombinierten hormonellen Kontrazeptiva ist.“

Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Drovelis® zählen Zwischenblutungen, Kopfschmerzen, Akne, vaginale Blutungen und Dysmenorrhö.

Was man sich von Estetrol verspricht

Auf der Mithra-Homepage wird Estetrol als „E4: an answer from nature“ beworben. Es wird dort auch als erstes „NEST“ bezeichnet: „Native estrogen with selective action in tissues“. Unter dem Namen „PeriNesta“ sei gerade auch eine klinische Studie zu einem Präparat für die Perimenopause gestartet worden; während unter dem Namen „Donesta“ bereits seit 2019 eine Phase-III-Studie laufe, darin sei das Präparat für die Menopause bestimmt.

Auch die Seite „Hormonspezialisten“ von der Dr. Kade / Besins Pharma GmbH geht auf Estetrol ein. Demnach unterscheidet sich Estetrol in seiner Struktur von den anderen natürlichen Estrogenen wie Estron, Estradiol und Estriol durch das Vorhandensein einer zusätzlichen α-Hydroxylgruppe an Position 15 des Moleküls. Wie von der EMA wird auch dort erklärt, dass Estetrol nur während der Schwangerschaft gebildet wird, und zwar weil das Enzym, „welches für die Bildung von Estetrol aus 15-OH-DHEAS verantwortlich ist“, nur in der neonatalen Leber des Feten exprimiert werde – die 15-Hydroxylase. Ab der neunten Schwangerschaftswoche sei Estetrol im Blut der Mutter nachweisbar und steige kontinuierlich bis zum Ende der Schwangerschaft auf ca. 1 ng/ml. Welche Funktionen Estetrol während der Schwangerschaft ausübt, gilt allerdings als unbekannt. Es verfüge nur über eine geringe Affinität zu Estrogenrezeptoren.

Allerdings habe Estetrol im Vergleich zu anderen Estrogenen in klinischen Studien eine auffallend geringe Wirkung auf die Produktion von Gerinnungs- und Fibrinolysefaktoren durch die Leber gezeigt. Dazu, ob eine Estetrol-Therapie das Risiko venöser Thromboembolien nicht beeinflussen könnte, fehlten jedoch epidemiologische oder klinische Daten. Estetrol könne außerdem auch Nachteile haben, weil es, zwar schwächer als Estradiol, auch eine vermehrte Proliferation des Endometriums induziere. In höheren Dosierungen könne dies zu einem gesteigerten Risiko für die Entstehung von Endometriumkarzinomen bei einer Estetrol-Therapie führen. 

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Auch die Frage, ob Estetrol in der Hormontherapie ein geringeres Brustkrebsrisiko mit sich bringt, wird untersucht. Die niederländische Firma Pantarhei Oncology BV schreibt auf ihrer Website sogar, dass hoch dosiertes Estetrol (HDE4) zur Behandlung von fortgeschrittenem Brustkrebs erfolgreich den Proof-of-Concept am Menschen erreicht habe. Die Phase IB/IIA ABCE4-Studie habe eine vielversprechende Anti-Tumor-Aktivität und eine Verbesserung des Wohlbefindens der Patientinnen gezeigt. 

All das klingt „vielversprechend“, lässt aber noch viele Fragen offen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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