Arzneimittel und Therapie

Neuere Pille, geringere Thrombosegefahr?

Wie das Risiko für venöse Thromboembolien unter Estradiolvalerat/Dienogest einzuschätzen ist

cel/cst | Hormonelle Kontrazeptiva mit Ethinylestradiol und Dienogest bergen ein „leicht erhöhtes“ Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) im Vergleich zu kombinierten oralen Kontrazeptiva, die auf Ethinylestradiol und Levonorgestrel setzen. Doch wie sieht es bei neueren Pillen aus, die als Estrogen-Komponente Estradiolvalerat enthalten wie Qlaira®? Eine abschließende Bewertung ist derzeit zwar nicht möglich, doch lassen Daten der großen prospektiven INAS-SCORE-Studie zumindest eine grobe Einordnung zu.

Orale hormonelle Kontrazeptiva bergen im Vergleich zur Nichtanwendung ein erhöhtes Risiko für venöse und arterielle Thromboembolien. Das größte Risiko besteht in den ersten drei Monaten nach Einnahmebeginn – und zwar auch dann, wenn kombinierte orale Kontrazeptiva nach einer mehr als vierwöchigen Pillenpause erneut eingenommen werden. Das erhöhte Thromboembolierisiko basiert in erster Linie auf dem enthaltenen Estrogen, wobei die Gefahr in Abhängigkeit von Dosis und Wirkstärke steigt. Das Risiko kann jedoch durch verschiedene Gestagenkomponenten unterschiedlich beeinflusst werden. Pillen mit Levonorgestrel (LNG) werden mit dem geringsten VTE-Risiko assoziiert – ebenso Pillen, die Ethinylestradiol (EE) mit Norgestimat oder Norethisteron kombinieren (s. Kasten).

VTE-Risiko

Die geschätzte Inzidenzrate einer venösen Thromboembolie (VTE) liegt bei nicht schwangeren Frauen, die keine kombinierten oralen Kontrazeptiva einnehmen, bei zwei VTE pro 10.000 Frauen und Jahr. Bei Frauen, die mit Ethinylestradiol (EE) plus Levonorgestrel (LNG) oder Norgestimat oder Norethisteron verhüten, liegt die Inzidenz bei fünf bis sieben VTE pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr. Bislang eingestuft hinsichtlich ihres Thromboembolierisikos sind die Kombinationen Ethinylestradiol plus Gestoden, Desogestrel, Drospirenon: 1,5- bis zweifach erhöhtes Risiko (mit neun bis zwölf VTE pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr) für eine VTE im Vergleich zur Referenz EE/LNG. Etonorgestrel und Norelgestromin jeweils kombiniert mit Ethinylestradiol bergen mit sechs bis zwölf VTE pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr ein bis zu zweifach erhöhtes VTE-Risiko im Vergleich zur Referenz EE/LNG.Dienogest liegt bei einem 1,6-fach größeren Risiko einer VTE (mit acht bis elf VTE pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr).

Qlaira® ist eine relativ neue Pille, die Estradiolvalerat (EV) und Dienogest (DNG) enthält. In Deutschland wurde das Präparat im Januar 2009 zugelassen. In den ersten Jahren nach der Markteinführung reichten die verfügbaren Daten für eine finale Aussage zum Thromboembolierisiko dieser Kombination nicht aus. Von den Behörden wurde daher eine Phase-IV-Studie unter Praxisbedingungen gefordert. In der INternational Active Surveillance study – Safety of COntraceptives: Role of Estrogens (INAS-SCORE) wurden 50.2013 Neuanwenderinnnen (Erstanwendung, Wechsel, Wiederaufnahme) von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK) betrachtet, davon nahmen 20,3% Qlaira®, 79,7% andere Präparate ein.

Die Studie ist mittlerweile beendet, die fina­len Ergebnisse wurden den Behörden 2018 mitgeteilt. Die schweizerische Arzneimittelbehörde Swissmedic hat sich dazu nun wie folgt ­geäußert: „Begrenzte Daten einer prospek­tiven Studie legen nahe, dass unter DNG/EV das VTE-­Risiko in der gleichen Größenordnung sein könnte wie jenes ­anderer KHK, einschließlich LNG-haltiger KHK“. Es sei jedoch nicht bekannt, ob Qlaira® zu den KHK mit dem geringsten VTE-­Risiko gehöre, so Swissmedic.

Die adjustierte Hazard Ratio (aHR) für das VTE-Risiko unter DNG/EV ­verglichen mit der Gesamtheit aller anderen KHK gibt die schweizerische Behörde mit 0,4 an (95%‑Konfidenzintervall [KI] 0,2 bis 0,9) und für den Vergleich von EV/DNG mit der Subgruppe LNG/EE ebenfalls mit 0,4 (95%‑KI 0,2 bis 1,1).

Bedeutet ein aHR von 0,4 aber dann nicht, dass Qlaira® sogar weniger Thrombosen verursacht als die Referenz Ethinylestradiol und Levonor­gestrel? Ganz so einfach ist es nach Ansicht von Swissmedic wohl nicht. Denn die geschätzten Werte des absoluten und relativen Risikos venöser Thromboembolien unter den verschiedenen kombinierten hormonellen Kontrazeptiva, wie sie in den schweizerischen und europäischen Arzneimittelinformationen der KHK wiedergegeben sind, basierten auf Schätzungen aus mehreren Studien. „Das Risiko von 0,4 für Dienogest (DNG)/Estradiolvalerat (EV) entspricht hingegen nur dem Ergebnis einer einzelnen Studie“, erklärt Swissmedic. Und weiter: „Wie valide die Daten dieser Studie sind, ist nicht abschließend beurteilbar.“

Foto: SENTELLO – stock.adobe.com

In den Packungsbeilagen oraler Kontrazeptiva werden Anwenderinnen darauf hingewiesen, unverzüglich ärztliche Hilfe zu suchen, wenn sie Anzeichen eines Blutgerinnsels bemerken.

In einem Kongressbeitrag von 2018 zu den finalen Ergebnissen wurden unter Qlaira® 7,1 VTE auf 10.000 Frauen­jahre berichtet. Unter anderen KHK – inklusive LNG-haltiger Pillen – traten 8,1 VTE pro 10.000 Frauenjahre auf. In der Subgruppe, in der die Anwen­derinnen nur EE- und LNG-haltige Kontrazeptiva einnahmen, kam es zu 8,8 VTE auf 10.000 Frauenjahre. Was nachdenklich macht: Denn das jährliche Risiko einer VTE unter EE/LNG wird von der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) unter Berücksichtigung aller weltweit verfügbarer Daten auf fünf bis sieben Fälle pro 10.000 Frauen geschätzt. Was sagt Hersteller Bayer hierzu? „In neueren Studien kommt es regelmäßig vor, dass die Zahlen für LNG-haltige KHK über den 2014 festgelegten Angaben liegen. Als mögliche Gründe werden verbesserte diagnostische Möglichkeiten zur Feststellung einer VTE sowie eine höhere Sensibilisierung für VTE im Allge­meinen, aber auch eine Zunahme an Risiko­faktoren (Adipositas) diskutiert“, erklärt das Unternehmen. Ob und inwieweit dies zu einer Aktualisierung der 2014 festgelegten Zahlen führen werde, hänge von weiteren Studienergebnissen ab und sei letztendlich die Entscheidung der EMA.

Swissmedic kommt zu dem Schluss, dass mit den Resultaten der INAS-SCORE-Studie das absolute und relative VTE-Risiko kombinierter hormoneller Kontrazeptiva mit DNG/EV auch weiterhin nicht abschließend geschätzt werden kann, da die Datenlage mit einer einzelnen Studie – zudem ohne ausreichende Power für die Analyse möglicher Unterschiede gegenüber einzelnen KHK wie insbesondere LNG-haltigen Präparaten – nicht ausreiche. Auch wenn keine finale Einordnung möglich ist, liefern die Zahlen zu VTE unter Qlaira® nun zumindest einen groben Sicherheitsrahmen. |

Literatur

Rabe T et al. Kontrazeption & Thrombophilie* – Eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e. V. und des Berufsverbands für Frauenärzte (BVF) e. V.. J Reproduktionsmed Endokrinol 2012;9(1):20-63

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Venöse Thromboembolien und kombinierte hormonale Kontrazeptiva (Stand 19. Dezember 2018). www.bfarm.de

Swissmedic. DHPC – Kombinierte hormonale Kontrazeptiva (CHC) mit Dienogest: Erhöhtes Risiko venöser Thromboembolien unter CHC mit Dienogest/Ethinylestradiol (Valette, Jeanine) im Vergleich zu Levonorgestrel-haltigen CHC – begrenzte Daten zu CHC mit Dienogest/Estradiolvalerat (Qlaira). Mitteilung vom 23. Oktober 2019. www.swissmedic.ch

Korrespondenz mit Swissmedic und Bayer Schweiz

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