Nebenwirkungs-Screening mit „QT-Life“

Neue Dienstleistung aus Apotheken in Schleswig-Holstein

Süsel - 22.01.2021, 17:50 Uhr

Wenn ein DAK-Versicherter künftig ein Rezept über ein Arzneimittel einlöst, bei dem eine Verlängerung der QT-Zeit als mögliche Nebenwirkung bekannt ist, soll die Apotheke die kostenfreie Teilnahme am Projekt QT-Life anbieten. Willigt der Patient ein, bringt ihm das Apothekenpersonal einen EKG-Sensor an. (Foto: PMDesign / stock.adobe.com)

Wenn ein DAK-Versicherter künftig ein Rezept über ein Arzneimittel einlöst, bei dem eine Verlängerung der QT-Zeit als mögliche Nebenwirkung bekannt ist, soll die Apotheke die kostenfreie Teilnahme am Projekt QT-Life anbieten. Willigt der Patient ein, bringt ihm das Apothekenpersonal einen EKG-Sensor an. (Foto: PMDesign / stock.adobe.com)


Pharmazeutische Dienstleistungen werden endlich konkret. Apotheken in Schleswig-Holstein können ab dem 1. April 2021 eine neue Leistung anbieten und sind dabei in ein interdisziplinäres Konzept eingebunden. Im Projekt „QT-Life“ sollen DAK-Versicherte mit bestimmten Arzneimittelverordnungen mithilfe von EKG-Sensoren auf Verlängerungen der QT-Zeit untersucht werden. Das Gemeinschaftsprojekt wird vom Innovationsfonds der GKV finanziert und verbindet Apotheker, Ärzte, die DAK-Gesundheit und weitere Partner.

Der Hintergrund des Projekts „QT-Life“ ist die seltene, aber bedrohliche Nebenwirkung der Verlängerung der QT-Zeit im EKG, die bei einigen Arzneimitteln auftreten kann. Beispiele sind Amiodaron, Procainamid, Sotalol und einige Antibiotika. Besonders problematisch sind Kombinationen solcher Arzneimittel. Dabei drohen Herzrhythmusstörungen vom Typ der Torsade-de-Pointes-Tachykardie mit Krampfanfällen, Schwindel und Synkopen. Schlimmstenfalls können sie zum plötzlichen Herztod führen. Solche Fälle anhand eines EKG rechtzeitig zu erkennen und damit die gefährlichen Folgen zu verhindern, ist das gemeinsame Ziel der Projektpartner.

Gemeinschaftsprojekt mit Finanzierung vom Innovationsfonds

Dafür haben der Apothekerverband Schleswig-Holstein, die Ärztegenossenschaft Nord, die DAK-Gesundheit, drei kardiologische Zentren, die Nambaya GmbH als Technologiepartner, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und das SmartStep Data Institute als Konsortialführer ein Konzept entwickelt und damit den beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angesiedelten Innovationsfonds der Gesetzlichen Krankenversicherung überzeugt. Das Projekt wird vom Innovationsfonds mit 3,1 Millionen Euro im Bereich „Neue Versorgungsformen“ gefördert. Das Angebot an die Patienten soll am 1. April 2021 beginnen und ein Jahr lang bestehen. Danach wird das Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen der Uniklinik Hamburg-Eppendorf unter Leitung von Professor Matthias Augustin die Ergebnisse evaluieren. Die Ergebnisse des Projekts soll dabei mit Regionen verglichen werden, in denen dieses Screening nicht durchgeführt wird.

Das Gemeinschaftsprojekt wird also nicht nach den neuen Regeln des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes finanziert. Das Geld kommt aus einem anderen Topf. Außerdem steht die Zusammenarbeit mit anderen Projektpartnern im Mittelpunkt. Dennoch ist zu erwarten, dass die neue Dienstleistung aus Apotheken in Schleswig-Holstein die bundesweite Diskussion über pharmazeutische Dienstleistungen beeinflussen wird. Während die ABDA die Kandidaten für solche Dienstleistungen noch immer geheim hält, bereiten sich Apotheken in Schleswig-Holstein bereits auf eine konkrete neue Aufgabe vor.

Apotheken bilden Ausgangspunkt des Ablaufs

In den teilnehmenden Apotheken ist folgender Ablauf geplant: Wenn ein Versicherter der DAK-Gesundheit eine Verordnung über ein Arzneimittel einlöst, bei dem eine Verlängerung der QT-Zeit als mögliche Nebenwirkung bekannt ist, soll das Apothekenpersonal die kostenfreie Teilnahme an dem Projekt anbieten. Wenn der Patient nach dem Beratungsgespräch einwilligt und eine entsprechende Erklärung unterschreibt, bringt das Apothekenteam einen EKG-Sensor am Patienten an. Damit wird ein Langzeit-EKG erstellt. Nach 24 Stunden kommt der Patient in die Apotheke zurück, und der Sensor wird entfernt.

Die Apotheke lädt die Daten auf einen speziellen Server und erhält eine erste Auswertung nach einem Ampelsystem. Stellt die Software ein besonders problematisches Ergebnis fest, kann die Apotheke den Patienten sofort informieren und zum Arztbesuch auffordern. An dieser Stelle endet die Arbeit der Apotheke. Die Daten werden in jedem Fall von der zentralen Leitstelle der Ärztegenossenschaft Nord weiter bearbeitet und zur Befundung an einen teilnehmenden Kardiologen geschickt. Wenn sich dabei eine Auffälligkeit ergibt, organisiert die Leitstelle die weiteren Maßnahmen und leitet alle relevanten Informationen an den behandelnden Arzt weiter.

Keine Anlaufkosten für Apotheken

Für ihren Aufwand sollen die Apotheken ein Honorar von 50 Euro pro Patient erhalten. Die Nutzung der Apotheken-IT wird vorausgesetzt, aber die weitere nötige technische Ausstattung wird von den Projektpartnern geliefert und vom Innovationsfonds finanziert. Dies sind insbesondere die EKG-Sensoren und der Zugang zur Software für die Datenanalyse. Außerdem müssen die Apotheker eine Schulung absolvieren. Für die Teilnahme daran werden die Apotheker honoriert. Nach Angaben des Apothekerverbands Schleswig-Holstein haben bereits viele Apothekenleiter im Land Interesse an dem Projekt gezeigt, der Verband wirbt aber weiter um Teilnehmer.

Zusammenarbeit im Mittelpunkt

Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, sieht das Projekt als „riesige Chance zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit“. Froese erklärt dazu: „Erstmals startet die Langzeit-EKG-Messung in der Apotheke. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass das System der Früherkennung von Beginn an dort unterstützt, wo die Medikamente dem Versicherten ausgehändigt und erklärt werden.“ Es solle durch gezielte Beratung, Betreuung und Versorgung aufgezeigt werden, welche zusätzlichen Chancen der Einsatz digitaler Gesundheitslösungen für die Versicherten in den Apotheken vor Ort ergibt, erklärt Froese.

Das SmartStep Data Institute in Hamburg bildet die Schnittstelle zwischen allen Beteiligten. Die Projektpartner betonen die große Bedeutung ihrer Zusammenarbeit bei QT-Life. Dr. Svante Gehring, Internist und Vorstandsmitglied der Ärztegenossenschaft Nord, freut sich, weil das Projekt „die interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Schleswig-Holstein weiterentwickeln wird“. Cord-Eric Lubinski, Leiter der Landesvertretung Schleswig-Holstein der DAK-Gesundheit, erklärt: „Wir möchten die Früherkennung von Risiken nachhaltig fördern, damit unsere Versicherten die bestmögliche Betreuung erhalten.“



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Wird noch interessant ...

von Reinhard Herzog am 23.01.2021 um 12:56 Uhr

Ärztliches Honorar für Langzeit-EKG + computergestützte Auswertung = 48 + 86 Punkte (= zusammen knapp 15 €) nach EBM / GKV.
Könnte also noch für Diskussionen sorgen, wenn man das in der Breite ausrollen will ...

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Wird noch interessant.....in eine andere Richtung

von Reinhard Rodiger am 23.01.2021 um 23:43 Uhr

Die Konsortialführung liegt bei einem Datenanalysten: SMARTSTEP DATA INSTITUTE
transforming healthcare data into strategic advantage.
Was geschieht mit den Daten? Da ist das Honorar möglicherweise ganz anders zu sehen.

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