Folgerezepte, Notfallmedikation, Verschreibungen

Kanadas Apotheker erhalten immer mehr Kompetenzen

Remagen - 06.12.2019, 10:15 Uhr

In Kanada (hier eine Apotheke in Vancouver) erhalten Apotheker immer mehr Kompetenzen. (s / Foto: imago images / All Canada Photos)

In Kanada (hier eine Apotheke in Vancouver) erhalten Apotheker immer mehr Kompetenzen. (s / Foto: imago images / All Canada Photos)


In Kanada spielen Apotheker eine immer wichtigere Rolle im Gesundheitswesen. Sie übernehmen die Behandlung kleinerer Beschwerden und entlasten so das Gesundheitssystem. Die Verschreibungskompetenzen variieren je nach Provinz.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Apothekerpraxis in Kanada enorm weiterentwickelt. Die Canadian Broadcasting Corporation (CBC) hat das Thema aktuell aufgegriffen und lässt Nardine Nakhla, Offizinapothekerin und Professorin an der School of Pharmacy der University of Waterloo in Ontario, zu Wort kommen. „Die Wartezeiten bei den Ärzten und in den Notaufnahmen sind sehr lang“, erläutert Nakhla. „Wir hoffen, dass wir das formale System der Gesundheitsversorgung entlasten können, indem wir einige Patienten in die Apotheken umleiten. Dort können sie direkt auf unsere Dienstleistungen zugreifen.“

Provinzen legen die Befugnisse fest

Der Umfang dessen, was Apotheker in Kanada tun dürfen und was nicht, hängt davon ab, wo sie leben. Denn die Provinzen legen jeweils für ihre Gebiete fest, wie die Befugnisse konkret ausgestaltet werden. Die im Westen des Landes gelegene Provinz Alberta ist führend, wenn es um zusätzliche Verschreibungsbefugnisse geht. Dort wurden erstmals in Kanada Verschreibungsvorschriften für Apotheker umgesetzt und eine detaillierte Beschreibung des dortigen Verschreibungsmodells veröffentlicht.

Das Verschreibungsmodell von Alberta

Nach dem Konzept, das das Alberta College of Pharmacists entwickelt hat, sollte die Verschreibung durch Apotheker nicht auf eine Liste von Medikamenten oder Krankheiten beschränkt werden. Stattdessen sollte die Befugnis von einer Reihe von Fähigkeiten abhängen, die dann für jeden Praxisbereich gelten sollen. Das Verschreibungsmodell umfasst drei Kategorien: die Notfallverschreibung, die Anpassung einer Verordnung und die zusätzliche Verschreibungsberechtigung (APA). Während alle Apotheker, die im klinischen Register der Provinz aufgeführt sind, Notfallverschreibungen durchführen und ein Rezept anpassen dürfen, müssen Apotheker, die auf Basis der APA jedes regulierte Arzneimittel verschreiben wollen, mindestens ein Jahr lang praktiziert haben, bevor sie eine gesonderte Genehmigung dafür erwerben können. 

Alle dürfen im Notfall verordnen und Rezepte verlängern

Ende 2015 hat eine kanadische Wissenschaftler-Gruppe den Status quo hinsichtlich der Kompetenzen der Apotheker in den anderen neun kanadischen Provinzen im Vergleich mit Alberta ermittelt. Es stellte sich heraus, dass Apotheker auch in allen anderen Provinzen im Notfall Arzneimittel rezeptieren und Verordnungen verlängern dürfen. In sechs Provinzen dürfen sie Rezepte abändern. Für die eigenständige Erstverschreibung sind verschiedene Modelle implementiert. Dies kann zum Beispiel nur im Rahmen kollaborativer Praxisvereinbarungen erlaubt sein, nur bei entsprechender Delegierung der Befugnis oder auch nur für bestimmte Krankheiten. In Alberta hatten im Jahr 2015 etwa 1150 Apotheker die allgemeine Genehmigung, jedes Medikament erstmalig zu verschreiben. In allen Provinzen dürfen Apotheker impfen und in fünf Medikamente durch Injektion verabreichen. In drei Provinzen können Apotheker auf die Ergebnisse von Labortests zugreifen und in zwei dürfen sie diese sogar selbst bestellen.

Impfdienste werden überall vergütet

Fünf Provinzen haben staatliche Erstattungsprogramme für ausgewählte Verschreibungsdienste, wie die Notfallverschreibung oder Verlängerung/Anpassung eines Rezepts. Die einzige Provinz, die über ein Finanzierungsmodell für erweiterte Verschreibungsbefugnisse, wie zum Beispiel die Erstverschreibung für eine chronische Krankheit verfügt, ist Alberta. Dagegen werden Impfdienstleistungen den Apotheken in allen Provinzen vergütet.

Grenzen der Diagnostik bei Apothekern

„Die meisten Ärzte sind sich einig, dass die Behandlung von Patienten mit chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck für Apotheker gut geeignet ist“, sagt Apothekerin Carlene Oleksyn aus Stony Plain in Alberta, die schon seit sieben Jahren kleinere Beschwerden beurteilt. Aber einige seien besorgt und meinten, wenn Apotheker mehr diagnostizierten, könne dies zu Fehlern führen.„Einige Dinge eignen sich wirklich nicht für die Arbeit in einer Apotheke“, meint die Medizinerin Lynora Saxinger, Spezialistin für Infektionskrankheiten an der Universität von Alberta in Edmonton. „In der Medizin verbringen wir viel Zeit damit, zu lernen, wie man häufige Krankheiten diagnostiziert und behandelt. Ein großer Teil beschäftigt sich damit, herauszufinden, wann eine häufige Krankheit tatsächlich eine seltene Manifestation von etwas Gefährlichem ist. Diese Tiefe ist etwas, das in einer öffentlichen Apotheke und mit der Ausbildung, die die Apotheker haben, schwer nachzuahmen ist.“

Apothekerin Nakhla setzt auf die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern: „Wir wollen den Ärzten damit keineswegs auf die Füße treten“, sagt sie. „Wir wollen den Outcome für die Patienten verbessern. Darum geht es uns.“



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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