Spinale Muskelatrophie

Zolgensma: Novartis weist Vorwürfe einer „Medienkampagne“ zurück

Berlin - 26.11.2019, 16:19 Uhr

Zuerst berichteten US-Medien über Familien mit Kindern mit spinaler Muskelatrophie – und der Behandlung mit Zolgensma. Mittlerweile finden sich solche Berichte auch in deutschen Medien. Nur ist das Arzneimittel für die hiesigen Patienten noch nicht so einfach zu haben, es fehlt die Zulassung. ( r / Foto: picture alliance / newscom)

Zuerst berichteten US-Medien über Familien mit Kindern mit spinaler Muskelatrophie – und der Behandlung mit Zolgensma. Mittlerweile finden sich solche Berichte auch in deutschen Medien. Nur ist das Arzneimittel für die hiesigen Patienten noch nicht so einfach zu haben, es fehlt die Zulassung. ( r / Foto: picture alliance / newscom)


Das rund zwei Millionen Euro teure und in der EU noch nicht zugelassene Gentherapeutikum Zolgensma® sorgt weiterhin für Schlagzeilen. Hersteller Novartis weist die von Krankenkassen und Gemeinsamem Bundesausschuss erhobenen Vorwürfe zurück, eine „beispiellose Medienkampagne“ initiiert zu haben. Einige der Forderungen aus dem Kassenlager kann das Unternehmen hingegen mittragen – so geht es auch dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen.

Kürzlich hat eine Allianz aus Kassen, Gemeinsamem Bundesausschuss (G-BA) und Universitätsklinika an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geschrieben. Anlass gaben Medienberichte über kleine Kinder mit spinaler Muskelatrophie (SMA), deren Eltern eine Behandlung mit dem neuen Gentherapeutikum Zolgensma® (Onasemnogene abeparvovec-xioi - AVXS-101) einfordern. Nur eine Spritze soll von der Erkrankung heilen. Das Problem: Während Zolgensma® in den USA bereits seit Mai 2019 für die Therapie von Kindern mit SMA im Alter von bis zu zwei Jahren zugelassen ist, erwartet Hersteller Novartis die europäische Zulassung erst im ersten Halbjahr 2020. Bis dahin kann das Arzneimittel nur als Einzelimport bezogen werden – und grundsätzlich nicht auf Kassenkosten. Dennoch haben bereits erste Krankenkassen die Kostenübernahme zugesagt.

Kassen und G-BA fürchten, dass das Beispiel Schule macht. In ihrem Brief an Spahn verweisen sie zunächst darauf, dass seit 2017 mit Nusinersen (Spinraza®) ein in Deutschland zugelassenes Medikament gegen SMA zur Verfügung steht. Es muss allerdings regelmäßig verabreicht werden. Das Bündnis scheint überdies der Meinung zu sein, dass Hersteller Novartis selbst die Medienberichte ins Rollen gebracht hat. Und angesichts der „erheblichen Renditen“, die mit Arzneimitteln für neuartige Therapien wie Zolgensma® erzielt werden könnten, will es „nicht ohne Widerspruch“ hinnehmen, „wenn bereits ohne eine Zulassung anstelle eines Härtefallprogramms (Compassionate Use) über eine beispiellose Medienkampagne ein erheblicher Druck auf Krankenkassen und Ärzte entfaltet wird, das nicht zugelassene Medikament zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorab einzusetzen“.

Und so fordern Kassen, Kliniken und G-BA ein verbindliches Verfahren für den Einsatz von Zolgensma® und zeigen dafür auch gleich Grundzüge auf. Beispielsweise müsse die Indikationsstellung sehr kritisch durch Experten m konkreten Einzelfall erfolgen – zudem im Benehmen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Ferner dürften die Arzneimittelabgabe und die weitere Therapie ausschließlich in hochspezialisierten Zentren stattfinden, die Behandlungsverläufe seien zu dokumentieren. Überdies fordern die Unterzeichner des Briefes, den Hersteller Novartis zu einem Härtefallprogramm zu verpflichten. Denn die Kostentragung für eine Anwendung nicht zugelassener Arzneimittel liege im Verantwortungsbereich des Herstellers.

Auf der Suche nach einer Lösung

Von Spahn forderte die Allianz, er möge kurzfristig seine Erwartung an den Einsatz von Zolgensma® im Sinne der genannten Grundsätze äußern – und entsprechend auf das anbietende Pharmaunternehmen einwirken. Das Bundesgesundheitsministerium lässt hierzu auf Nachfrage lediglich wissen: „Das angesprochene Probleme nehmen wir sehr ernst und wollen eine Lösung im Sinne der Patientinnen und Patienten finden.“

Novartis: Einzelfallentscheidung und Behandlung in spezialisierten Zentren notwendig

Aber was sagt man bei Novartis zu der Debatte? Zum einen erklärt das Unternehmen, dass es in Deutschland durchaus anerkannte Gesetze und Regularien für den Einsatz und die Kostenübernahme neuer Behandlungsmethoden bei seltenen, lebensbedrohlichen Erkrankungen gebe, wenn es kein in Deutschland zugelassenes Arzneimittel gibt, mit dem Patienten zufriedenstellend behandelt werden können. Dazu verweist es auf § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz, der die Bedingungen des Einzelimports regelt. Diese Ausnahmereglungen bauten auf den bestehenden Zulassungen auf. Eine wirkliche Lösung für das Problem ist allein diese Regelung allerdings nicht. Und Novartis kann sogar einige der Kassen-Forderungen verstehen: „Wir unterstützen ausdrücklich, dass die Indikationsstellung in strenger Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall gestellt werden muss, die Anwendung von AVXS-101 ausschließlich in dafür spezialisierten Zentren erfolgen sollte, und die Entscheidung für eine Leistungsgewährung durch die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen im Einklang mit diesen Standards getroffen werden sollte“. Allerdings macht das Unternehmen auch deutlich, wo die Unterzeichner des Briefes aus seiner Sicht zu weit gegangen sind: „Den Vorwurf zum Thema Medienartikel weisen wir zurück. Wir haben einschlägige Medienberichte weder initiiert noch gefördert“.

vfa für Härtefallprogramme und verlässliche Regeln

Beim Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) stimmt man mit Kassen und G-BA ebenfalls überein, dass es verbindliche Regelungen für Fälle wie diesen geben sollte. „Wenn besondere Eile geboten ist, müssen aber die Verfahren für alle Beteiligten klar sein“, erklärt vfa-Präsident Han Steutel. Härtefallprogramme könnten genau dafür sorgen. Dazu müssten sie von einem Fachgremium getragen sein, in dem Patienten, Zulassungsbehörden, medizinische Fachgesellschaften, forschende Pharma-Unternehmen und die Krankenkassen vertreten sind. „Die Bedingungen für besonders schnellen Zugang zu neuen Therapien können dann gemeinsam festgelegt werden.“



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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