Überleben steigt

Kein Antibiotikum vor Checkpoint-Inhibitor-Therapie!

Stuttgart - 10.10.2019, 07:00 Uhr

Das Mikrobiom entscheidet mit, ob eine Tumortherapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren anspricht oder nicht. Eine Antibiotika-Gabe bis 30 Tage vor Checkpoint-Inhibitor-Behandlungsbeginn kann sich negativ auf das Gesamtüberleben auswirken. (s / Foto: freshidea / stock.adobe.com)

Das Mikrobiom entscheidet mit, ob eine Tumortherapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren anspricht oder nicht. Eine Antibiotika-Gabe bis 30 Tage vor Checkpoint-Inhibitor-Behandlungsbeginn kann sich negativ auf das Gesamtüberleben auswirken. (s / Foto: freshidea / stock.adobe.com)


Das Mikrobiom entscheidet mit, ob ein Tumorpatient auf eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren anspricht oder nicht. Worauf kommt es beim Mikrobiom an, wie wirken sich Antibiotika aus? Und wie können Apotheker „ganz einfach“ zum Therapierfolg beitragen? 

„Wir sollten Tumorpatienten mit Checkpoint-Inhibitor-Therapie keine Antibiotika geben“, mahnt Professor Andreas Neubauer, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie vom Universitätsklinikum Gießen-Marburg, beim klinisch-pharmazeutischen Fortbildungskongress KlinPharm Update 2019 im September in Wiesbaden. Die Ratio dahinter: Antibiotika verändern das Mikrobiom der Tumorpatienten, dieses entscheidet jedoch zahlreichen Studien zufolge mit, ob eine Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) erfolgreich den Tumor bekämpft oder nicht.

Breitspektrum-Antibiotika verschlechtern Checkpoint-Inhibitor-Wirkung

Den jüngsten Hinweis für therapeutisch relevante Wechselwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren und dem Mikrobiom lieferte die Arbeit von Onkologen am Imperial College London. Sie stellten sich die Frage: Beeinflusst eine Breitspektrum-Antibiose bei Tumorpatienten das Ansprechen von Immun-Checkpoint-Inhibitoren in der klinischen Praxis? Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler Anfang September im renommierten JAMA – „Association of Prior Antibiotic Treatment With Survival and Response to Immune Checkpoint Inhibitor (ICI) Therapy in Patients With Cancer“.

In der prospektiven, bizentrischen Kohortenstudie nahmen 196 Tumorpatienten (137 Männer, 59 Frauen; medianes Alter: 68 Jahre [27-93]) teil, die im Zeitraum von Januar 2015 bis April 2018 mit einem ICI behandelt wurden. Die meisten Patienten litten an einem NSCLC (n=119) oder Melanom (n=38). 20 Prozent der Patienten hatten eine andere Tumorentität (n=39). 26 Patienten erhielten Antibiotika vor ICI-Therapie, 68 Patienten währenddessen. Als primären Endpunkt definierten die Wissenschaftler das Gesamtüberleben (OS, overall survival) und das Therapieansprechen, wenn die onkologischen Patienten entweder bis 30 Tage vor Checkpoint-Inhibitor-Therapie (pATB, prior Antibiotics) oder während des Therapiezyklus (cATP, concurrently Antibiotics) Antibiotika erhielten.

Antibiotika während Checkpoint-Inhibitor-Gabe ohne Effekt

Das Fazit kurzgefasst: Patienten, die bis zu 30 Tage vor ICI-Behandlungsbeginn ein Breitspektrum-Antibiotikum erhalten hatten, starben früher und sprachen schlechter auf die Checkpoint-Inhibitor-Therapie an, als Tumorpatienten ohne vorherige Antibiose. Interessanterweise fanden die Onkologen, dass nur eine Antibiotikatherapie vor Checkpoint-Inhibitor-Behandlung – nicht aber während der ICI-Therapie – das Ansprechen und das Gesamtüberleben verschlechterten. Studienautor Dr. David Pinato (Imperial’s Department of Surgery & Cancer) erklärt: „Die Krebsimmuntherapie kann bei etwa 20 Prozent der Patienten erfolgreich sein, aber es ist äußerst schwierig vorherzusagen, wer darauf ansprechen wird. Diese Arbeit fügt weitere Beweise dafür hinzu, dass Antibiotika einen Einfluss haben. Wir haben gezeigt, dass mit der vorherigen Antibiotika-Exposition das Ansprechen der Patienten auf Immuntherapie und ihr Überlebensvorteil zusammenbrechen“. Laut den Onkologen bergen diese Ergebnisse das Potenzial, Einfluss auf die klinische Praxis von Checkpoint-Therapien zu nehmen – einschließlich einer höheren Schwelle für Antibiotikagaben vor geplanten ICI-Behandlungen.

Welche Bakterien sind gut, welche schlecht bei Checkpoint-Therapie?

Dass das Mikrobiom Einfluss auf die Effektivität von Checkpoint-Therapien hat, zeigten bereits andere Arbeiten. Im Januar 2018 räumte Science dem Thema um die Wirksamkeit von Checkpoint-Inhibitoren in Bezug auf das Mikrobiom reichlich Raum ein, gleich mehrere Wissenschaftler publizierten ihre Ergebnisse. So untersuchten Gopalakrishnan et al. – Gut microbiome modulates response to anti–PD-1 immunotherapy in melanoma patients – metastasierte Melanompatienten, die eine PD-1-Blockade erhielten. Die Wissenschaftler charakterisierten das orale und fäkale Mikrobiom der Patienten jeweils vor und nach Checkpoint-Inhibitor-Therapie. Sie fanden signifikante Unterschiede in der Diversität und Zusammensetzung des Mikrobioms bei Therapie-Respondern und Nicht-Respondern. Patienten die auf eine Checkpoint-Inhibition ansprachen, zeigten eine höhere Diversität und Häufigkeit von Ruminococcaceae und Faecalibacterium, während bei Patienten mit einem ungünstigen Darmmikrobiom (zum Beispiel geringe Diversität und hohe relative Häufigkeit von Bacteroidales) die systemischen und antitumoralen Immunantworten beeinträchtigt waren.

Überleben sinkt durch Antibiose

Routy et al. untersuchten den Einfluss von PD1-Immuntherapien bei NSCLC, Nierenzell- und Urothelkarzinomen – Gut microbiome influences efficacy of PD-1–based immunotherapy against epithelial tumors. Sie fanden heraus, dass eine „primäre Resistenz gegen Immun-Checkpoint-Inhibitoren einer abnormen Mikrobiomzusammensetzung zugeschrieben werden kann“ und dass Antibiotika bei Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom den klinischen Nutzen von Checkpoint-Inhibitoren hemmen. Sie machten als guten Prädiktorkeim die relative Häufung von Akkermanasia muciniohila aus. Zur Studie: Von 249 Patienten erhielten 69 (28 Prozent) Antibiotika – entweder zwei Monate vor ICI-Therapie oder einen Monat nach Beginn der ICI-Therapie. Das progressionsfreie Überleben (PFS) und das Gesamtüberleben (OS) waren in der mit Antibiotika behandelten Gruppe signifikant kürzer, wenn alle Patienten (Tumorentitäten) kombiniert wurden. Ebenso waren PFS und/oder OS in der mit Antibiotika behandelten Gruppen kürzer, wenn man einzelne Tumortypen separat auswertete.

Auch unter Ipilimumab wurden solche Beobachtungen gemacht. So fand sich bei Patienten mit Malignem Melanom, die eine CTLA4-Hemmung mit Ipilimumab erhielten, dass sie vor allem dann von der Checkpoint-Inhibition profitierten – besseres Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben – wenn Firmicutes überwog.

Welche Bakterien sind nun förderlich, welche nicht?

Probiotika und Stuhltransplantationen bei Checkpoint-Inhibition?

Die Frage nach den „guten“ und „schlechten“ Bakterien lässt sich nicht leicht beantworten. Interessant ist, dass der Schluss – das Mikrobiom spiele bei Checkpointgabe eine Rolle – der jeweiligen Wissenschaftler in den unterschiedlichsten Studien, zwar der gleiche ist, jedoch die identifizierten Bakterien unterschiedlich sind. Diese Beobachtung war wohl auch bereits in früheren Arbeiten zu diesem Thema der Fall, wie aus dem 2015 bereits veröffentlichten Cell-Artikel Immuntherapy Meets Microbiota hervorgeht.

Diversität ist wichtig

Wichtig scheint vor allem auch die Diversität des Mikrobioms zu sein. Das betonte auch Professor Dr. Andreas Neubauer beim KlinPharm Update. „Je vielfältiger das Darmmikrobiom, desto besser ist das Ansprechen der Checkpoint-Inhibitoren!“, ist seine Beobachtung. Gerade die jüngsten „dramatisch besseren Ergebnisse“ aus der Antibiotika-Checkpoint-Studie verdichteten nochmals „die Hinweise, dass das Mikrobiom eine Rolle spielt, ob ein Patient auf Immun-Checkpoint-Inhibitoren gut anspricht oder nicht“, so Neubauer.

Wenn das Mikrobiom folglich eine Rolle beim Ansprechen von Tumortherapien spielt, ist es dann nicht sinnvoll, das Mikrobiom gezielt mit Probiotika zu beeinflussen? Was hält der Mediziner von Probiotika im Vorfeld einer ICI-Behandlung? Hier positioniert sich Neubauer klar: „Davon rate ich ab“. Gleiches gilt für Stuhltransplantationen: „Ich warne sehr davor, Stuhltransplantationen im Rahmen einer Immuntherapie durchzuführen. Ich rate ab!“ Und weiter: „Das Entscheidende ist: Vier Wochen davor kein Antibiotikum“. Da sollten auch Apotheker ein Auge darauf haben: „Es ist so einfach, da brauchen Sie noch nicht einmal eine Diagnostik“.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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