Gendermarketing

„Extra für Frauen“ – medizinisch sinnvoll oder reines Marketing?

Stuttgart - 08.03.2019, 09:00 Uhr

Dulcolax für Frauen in Kanada: rosa und teurer. (m / Foto: jb / DAZ.online)

Dulcolax für Frauen in Kanada: rosa und teurer. (m / Foto: jb / DAZ.online)


Vor einigen Jahren machte die „pink Tax“ Schlagzeilen. Produkte für Frauen – in entsprechender, meist rosa oder lila Aufmachung – sind häufig teurer als entsprechende gleichwertige Artikel für Männer, die oft in blau oder schwarz daherkommen. Das hatte eine Untersuchung in New York ergeben. Doch wie ist das eigentlich bei Arzneimitteln? Da gibt es ja auch genderspezifische Produkte. Ist das immer medizinisch sinnvoll oder manchmal auch nur Marketing?

Frauen und Männer unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht – keine Frage. Und für manche Dinge, wie Wechseljahrsbeschwerden oder auch hormonelle Kontrazeptiva, stellen Männer nun mal naturgemäß einfach keine Zielgruppe dar, ebenso wenig, wie Frauen an einer benignen Prostatahyperplasie oder erektiler Dysfunktion erkranken können. Da ist es nachvollziehbar, dass hier die jeweilige Zielgruppe explizit angesprochen wird. 

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Von Klischees lassen sich die Marketingleute der Firmen dabei offensichtlich nicht abschrecken. So wählte beispielweise Hexal bei der Einführung seiner Sildenafil-Generika einen schwarz blauen Gockel als Motiv. Umverpackungen von Kontrazeptiva sind gerne in Rosa- oder Lilatönen gehalten. Inwiefern sich das auf den Absatz auswirkt, ist fraglich. Schließ handelt es sich um verschreibungspflichtige Arzneimittel. Zwar tragen die Patienten die Kosten in der Regel selbst, bei Sildenafil sogar immer, aber die Entscheidung für das eine oder andere liegt in der Regel beim Arzt. Doch vielleicht wirkt das Marketing ja auch bei den Verordnern. 
Im OTC-Bereich und bei NEM ist das Gendemarketing natürlich auch üblich: Remifemin gegen Wechseljahrsbeschwerden, Femibion bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft bzw. Stillzeit oder Euviril bei erektiler Dysfunktion tragen die Zielgruppe im Namen.

„Für Frauen“ auch bei Rückenschmerzen?

Im OTC-Bereich und bei Nahrungsergänzungsmitteln werden aber auch Wirkstoffe, deren Anwendung nicht aufgrund ihrer Wirkweise grundsätzlich auf ein Geschlecht beschränkt ist, „für Frauen“ oder „für Männer“ beworben. Zum Teil hat das seine Berechtigung. So sind beispielsweise Minoxidil-Lösungen gegen Haarausfall bei Frauen niedriger dosiert als bei Männern. Orthomol vital f unterscheidet sich tatsächlich von Orthomol vital m – es enthält weniger Omega-Fettsäuren und mit Calcium einen weiteren Mineralstoff. Ob dieser Unterscheid sinnvoll ist oder nicht, ist eine andere Frage, immerhin gibt es einen.

Anders im Bereich der Mittel gegen Regelschmerzen: Mensoton, Dolormin für Frauen, Dismenol, Naproxen 1a bei Regelschmerzen – die Zielgruppe wird sofort klar. Wer hier etwas ganz spezielles gegen Menstruationsbeschwerden erwartet, wird enttäuscht. Es sind einfach nur Schmerzmittel mit Naproxen oder Ibuprofen, die auch genauso gut gegen Rücken- oder Kopfschmerzen wirken – was den Patienten manchmal gar nicht so leicht zu vermitteln ist. Immerhin erhebt Johnson&Johnson keine „pink tax“ auf Dolormin für Frauen, das übrigens violett beschriftet ist. Der Listenpreis ist derselbe wie der beim wirkstoffgleichen Dolormin GS gegen Gelenkschmerzen mit der orangen Aufschrift.

Kanada: Rosa Abführmittel für Frauen

Auch in den USA und Großbritnnien versuchen die Hersteller, die Analgetika mit dem Claims „period oder menstrual pain“ an die Frau zu bringen: Nurofen Period Pain und Advil Menstrual Pain enthalten Ibuprofen, Paracetamol ist in Panadol Period Pain enthalten. Bayer verkauft Ibuprofen und Naproxen unter dem Label Feminax gegen Regelschmerzen. Und auch die großen Drogerieketten wie CVS haben entsprechende Präparate unter ihren Eigenmarken.

In Australien ist es Reckitt Benckiser übrigens vor einigen Jahren untersagt worden, wirkstoffgleiche Nurofen-Präparate für verschiedene Indikationen zu bewerben. Das erwecke beim Kunden den Eindruck, dass die Präparate unterschiedlich wirkten, obwohl es sich nur um denselben Wirkstoff in anderer Verpackung handelt, hieß es. Das Unternehmen war zu einer Strafe zu 1,7 Millionen australischen Dollar verurteilt worden, das entspricht knapp 900.000 Euro. Der australischen Verbraucherschutz- und Wettbewerbsbehörde ACCC (Australian Competition and Consumer Commission) war das allerdings zu wenig. Sie hatte die Höchststrafe von 6 Millionen australischen Dollar gefordert. Das Sortiment ist auf jeden Fall übersichtlicher geworden. Zuvor hatte die Firma mehrere Varianten Nurofen® angeboten: gegen Rückenschmerzen, gegen Regelschmerzen, gegen Migräne und gegen Spannungskopfschmerz. Heute gibt es nur noch „Cold and Flu“ und beim Rest wird nur noch hinsichtlich der Darreichungsform unterschieden.

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Was es in Deutschland tatsächlich bislang nicht gibt, sind speziell für Frauen beworbene Abführmittel. Anders ist das beispielsweise in Kanada. Dulcolax for Women ist hier zu haben: In pinker Packung soll es im Gegensatz zur herkömmlichen wirkstoffgleichen Variante, deren Wirkung „predictable“ (planbar) ist, „dependable“, also zuverlässig wirken. Die „pink tax“ schlägt hier voll zu – allerdings nicht auf den ersten Blick. Denn der Endpreis ist gleich, man bekommt dafür aber fünf Tabletten weniger.

Bei Arzneimitteln wären Unterschiede manchmal sogar wünschenswert

Im Konsumgüterbereich ist zu beobachten, dass das Gendermarketing eher zunimmt. So gibt es heute kaum mehr Spielzeug, das nicht entweder blau oder rosa ist und auch bei Überraschungseiern gibt es zwei Varianten. Die Drogeriekette dm präsentiert ihre Männerkosmetik seit neuestem in schwarzen Regeln. Ein Autor der Süddeutschen Zeitung kommentierte dazu: „Wollte man die Geschlechtertrennung nicht mal abschaffen? Bei dm wird sie jetzt wieder eingeführt.“ Im Arzneimittelbereich wären mehr Unterschiede, zwischen Männer- und Frauenmedizin in gewissen Punkten sicher wünschenswert – allerdings solche, die über Verpackung und Claim hinausgehen. So weiß man heute, dass es tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede zum Beispiel beim Metabolismus oder bei den Nebenwirkungen gibt. Das umzusetzen, ist dann allerdings keine Aufgabe fürs Marketing.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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