Europäischer Arzneimittelhandel

Wie die Mafia Italiens Klinikapotheken ausräumt und illegale Händler versorgt

Berlin - 29.08.2018, 13:45 Uhr

Seit Jahren werden aus italienischen Klinikapotheken Arzneimittel im Wert von mehreren Millionen Euro gestohlen, die dann später in einem europäischen Arzneimittel-Netzwerk landen. ( j / Foto: Imago)

Seit Jahren werden aus italienischen Klinikapotheken Arzneimittel im Wert von mehreren Millionen Euro gestohlen, die dann später in einem europäischen Arzneimittel-Netzwerk landen. ( j / Foto: Imago)


Mit dem Lunapharm-Skandal wird derzeit immer mehr der innereuropäische Arzneimittelhandel hinterfragt. Die Lunapharm-Taskforce fordert in ihrem Bericht sogar, dass der Parallelvertrieb gänzlich verboten und die Importquote abgeschafft wird. Bislang ging es in der Affäre zumeist um Arzneimittel aus Griechenland. Eine italienische Studie, die DAZ.online vorliegt, zeigt aber: Schon seit Jahren werden aus Italiens Klinikapotheken Arzneimittel im Wert mehrerer Millionen Euro gestohlen. Die italienische Arzneimittelbehörde fordert nun die deutsche Politik zum Handeln auf.

Mit dem Bericht der Lunapharm-Taskforce ist seit dem gestrigen Dienstag noch mehr Licht in den Brandenburger Arzneimittelskandal gekommen: Nun ist klar, dass der Händler Lunapharm jahrelang mit einer Apotheke in Griechenland Geschäfte betrieb. Regelmäßig wurden kleine Mengen hochpreisiger Arzneimittel nach Deutschland importiert. Weil die Brandenburger Aufsichtsbehörde schlecht und falsch besetzt ist und Kompetenzen über Jahre hinweg hin- und hergeschoben wurden, gab es kein resolutes Durchgreifen, sodass Lunapharm bis Mitte 2018 weiter Arzneimittel verteilen konnte – obwohl es bereits 2016 erste konkrete Hinweise auf ein illegales Handeln gab.

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Eher wenig wurde bislang über das Geschäft des Brandenburger Händlers mit italienischen Arzneimittelhändlern geschrieben. Im Taskforce-Bericht kommt Italien – und übrigens auch Frankreich – als Herkunftsland der Arzneimittel immer wieder mal vor, die Hauptquelle von Lunapharm war aber wohl Griechenland. Doch selbst wenn es im Lunapharm-Skandal nicht vornehmlich um Medikamente aus Italien ging, gibt es mehrere Hinweise darauf, dass Italien in Europa eine der Hauptquellen für gefälschte und gestohlene Arzneimittel ist.

DAZ.online liegt eine Studie der Universitäten von Mailand und Trento vor, die sich mit Arzneimitteldiebstählen aus italienischen Krankenhäusern befasst. Die Zahlen zeigen, wie gravierend das Problem einerseits für italienische Krebspatienten ist und andererseits illegale Arzneimittel-Netzwerke belebt. Die Daten beziehen sich auf die Jahre 2006 bis 2014 – insbesondere in den Jahren 2013 und 2014 sind die Diebstähle aus Klinikapotheken stark angestiegen. Hatte es Ende 2012 noch knapp 20 Diebstähle gegeben, stieg die Zahl bis Mitte 2014 auf 110 an. Im Schnitt wurde also jedes zehnte italienische Krankenhaus ausgeraubt.

Gesamte Anzahl an Medikamenten-Diebstählen aus italienischen Klinikapotheken. (Grafik: Universitäten von Milano und Trento)

2006 bis 2014: Arzneimittel im Wert von 22 Millionen Euro gestohlen

Der Studie zufolge hatten die gestohlenen Arzneimittel einen Gesamtwert von mehr als 22 Millionen Euro, pro Diebstahl ging es im Schnitt um 250.000 Euro. In 52 Fällen waren demnach Onkologika betroffen. Immunsuppressiva lagen, was die Anzahl der gestohlenen Medikamente betrifft, zwar nur an dritter Stelle. Durch ihre hohen Preise liegen sie beim Diebstahl-Wert aber nur knapp hinter den Onkologika. Fast die Hälfte der Diebstähle fand in Süditalien statt, rund um die Stadt Napoli oder in der Region Apulien. Aber auch einige Kliniken in Nord- und Mittelitalien sind betroffen. Der Studie zufolge gab es nur selten Einbruchspuren – die Einbrecher hatten demnach wohl Insider beim Klinikpersonal.

Am Beispiel Herceptin, das aufgrund des zunehmenden Schwarzmarktes in Italien nur noch an Klinikapotheken abgegeben werden darf, zeichnen die Studienautoren nach, wie die Wege der gestohlenen Ware verlaufen können: In vielen Fällen landet die Ware über illegale Händler in Osteuropa oder in Griechenland. Hier wird sie neu beklebt und an Apotheken oder legal agierende Großhändler weiterverkauft, die die Präparate dann wiederum in Länder verkaufen, wo es höhere Preise gibt als in Italien – als Beispiele werden hier Deutschland, die Niederlande, Finnland, Großbritannien, Spanien und Portugal genannt. Ein zweiter möglicher Weg ist demnach, dass es direkt in Italien Großhändler und Apotheken gibt, die die Ware abnehmen und dann in andere Länder zu hohen Preisen weiterverkaufen.

Das illegale europäische Arzneimittel-Netzwerk. (Grafik: Universitäten von Milano und Trento)

Ein aktueller Artikel des Nachrichtenmagazins „L’Espresso“ zeigt, dass der Handel auch in den vergangenen Jahren keineswegs abgenommen hat. Erst am 9. Juli wurden aus einer Klinik in der Nähe der Stadt Bari Arzneimittel im Wert von 470.000 Euro entwendet. Davor hatte es erst Mitte Mai einen anderen Fall gegeben. Dem Magazin zufolge soll insbesondere die kalabrische Mafia „‘Ndrangheta“ in den Arzneimittelhandel involviert sein. Der Grund: Die kalabrische Mafia habe viele Ableger in Deutschland.

Die italienischen Behörden sind schon seit Jahren alarmiert. Schon 2014, als massenweise Herceptin-Diebstähle bekannt wurden, schaltete sich die Arzneimittelbehörde AIFA ein. Damals wurde in Großbritannien eine Lieferung mit aus Italien stammenden Arzneimitteln entdeckt, Zielrichtung: Deutschland. Auch damals wurden bereits das Paul-Ehrlich-Institut und die EMA eingeschaltet. Die Italiener starteten damals eine europaweite Ermittlungsaktion. Heute weiß man: Auch Lunapharm bezog noch in den vergangenen Jahren Herceptin aus Italien, erneut hatten das Paul-Ehrlich-Institut und die AIFA deswegen Kontakt und erneut wies die AIFA darauf hin, dass Großhändler im ambulanten Bereich Herceptin gar nicht einkaufen können, weil die Ware ausschließlich an Klinikapotheken abgegeben wird. Sehr wahrscheinlich ist also, dass das Lunapharm-Herceptin mutmaßlich gestohlene Ware aus einer italienischen Klinikapotheke war.

AIFA-Abteilungsleiter: Verzerrungen in Deutschland

Im „L’Espresso“ fordert die italienische Behörde nun mehrere Änderungen im System – auch in Deutschland. In Italien würden die wenigen Festgenommenen zu milde bestraft, sagt Domenico Di Giorgio, der bei der AIFA die Abteilung für Inspektionen und Zertifizierungen leitet. Ein großes Problem sieht Di Giorgio dem Artikel zufolge aber auch durch regulatorische „Verzerrungen“ in Deutschland. Ohne die Importquote direkt zu nennen, wird der AIFA-Abteilungsleiter so zitiert: „Die hohen Preise und die gesetzlichen Vorschriften zum Parallelhandel tragen dazu bei, dass viele Händler im Markt agieren, darunter auch einige, die Arzneimittel kaufen, ohne die Bezugsquellen zu kontrollieren. Es sollte Schluss damit sein, dass diese Händler ihr Land zu einem Magnet für illegale Produkte machen. Sie setzen sowohl deutsche als auch italienische Patienten einem Risiko aus und werden zu einem Sponsor illegaler krimineller Netze (…).“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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