Thrombozytenaggregationshemmung

Studie: Niedrigdosis-ASS schützt offenbar nur Leichtgewichte

Berlin - 21.08.2018, 12:45 Uhr

Einer aktuellen Analyse zufolge wirken 100 Milligramm ASS zur Kardioprotektion nur bei Personen, die leichter als 70 Kilogramm sind. (s / Foto: Imago)

Einer aktuellen Analyse zufolge wirken 100 Milligramm ASS zur Kardioprotektion nur bei Personen, die leichter als 70 Kilogramm sind. (s / Foto: Imago)


Seit Jahrzehnten bekommen Herzpatienten in Deutschland ASS in der Standarddosis 100 Milligramm – die Mehrzahl offenbar nur mit geringem Nutzen. Denn einer aktuellen, im Lancet publizierten Studie zufolge verliert niedrigdosiertes ASS ab einem Körpergewicht über 70 Kilogramm die Wirksamkeit zur Vorbeugung von Herzinfarkt und Schlaganfällen.  Nach Ansicht der Fachgesellschaften DSG und DGN könnten die Ergebnisse zu einer Neubewertung von Leitlinien führen.

Für viele kardiologische Patienten gehört eine Tablette mit 100 Milligramm Acetylsalicylsäure (ASS) zum Alltag. Ob das tägliche „Herz-ASS“ tatsächlich dazu beiträgt, Herzinfarkten und Schlaganfällen vorzubeugen, hängt neueren Erkenntnissen zufolge vom Körpergewicht des Patienten ab.  

Und zwar haben Forscher aus Oxford zehn klinische Studien mit ASS zur Primär- und vier zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse inklusive des Auftretens von Schlaganfällen ausgewertet. Die Ergebnisse dieser gepoolten Analyse wurden vor wenigen Tagen im Fachjournal Lancet publiziert. Dabei wurden die Dosierungen des Thrombozytenaggregationshemmers in zwei Gruppen eingeteilt: Das in Deutschland verbreitete „Niedrigdosis-ASS“ (75 bis 100 Milligramm) und das vorwiegend im angloamerikanischen Raum verwendete  „hoch-dosierte ASS“ (300 bis 500 Milligramm).

Niedrigdosis für leichte, höhere Dosen für schwere Patienten

Die Wissenschaftler werteten die Daten von insgesamt  117.279 Patienten aus. Dabei stellte sich heraus, dass Niedrigdosis-ASS bei Menschen, die weniger als 70 Kilogramm wiegen, das Risiko für einen Schlaganfall um 29 Prozent senkte, während bei den schwereren Patienten die Ereignisrate auf Placeboniveau lag. Ähnlich verhielt es sich bei den Herzinfarkten: Auch hier profitierten Patienten mit einem Körpergewicht unterhalb von 70 Kilogramm von einer signifikanten Risikoreduktion von 19 Prozent, während für die schwereren Patienten kein signifikanter Benefit bestand. Bei der Sterblichkeit zeigte sich bei einem Körpergewicht über 70 Kilogramm sogar ein erhöhtes Risiko durch die ASS-Gabe. 

Umgekehrt verhielt es sich beim hochdosierten ASS, das nur für Menschen ab 70 Kilogramm geeignet war, während die leichteren Patienten nicht profitierten.

Auf die Körperzusammensetzung kommt es an

Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass aufgrund der Ergebnisse die „One-size-fits-all“-Strategie in der Kardioprotektion mit ASS überholt ist. Das kardioprotektive Potenzial des Thrombozytenaggregationshemmers ließe sich aus ihrer Sicht steigern, wenn gewichtsspezifische Dosierungen zum Einsatz kommen.  

Allerdings scheint nicht nur das reine Körpergewicht, sondern auch das Verhältnis von Muskeln zu Fett eine Rolle zu spielen. So zeigte eine Subanalyse, dass Niedrigdosis-ASS vor allem bei Patienten mit viel fettfreier Masse (lean-body-mass) die Wirksamkeit verliert, während ein erhöhter Körperfettanteil nicht so schwer ins Gewicht fällt. Da die entsprechenden Daten nicht für die gesamte Population vorlagen, wären hier größere Studien erforderlich, um diesen Effekt zu bestätigen.

Müssen Leitlinien angepasst werden?

Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) sprechen sich für vertiefende Forschung aus, deren Ergebnisse zu einer Neubewertung der Leitlinien herangezogen werden könnten. Denn es handele sich um neue Erkenntnisse zu einem altbekannten Arzneimittel, die eine große Patientengruppe betreffen würden – denn die meisten Erwachsenen in unseren Breiten sind schwerer als 70 Kilogramm.   

„Etwa 80 Prozent aller Männer und die Hälfte aller Frauen wiegen mehr als 70 Kilogramm. Wir müssen davon ausgehen, dass sehr viele Menschen in der Primär- und Sekundärprophylaxe unterversorgt sind“, so Professor Armin Grau, Vorsitzender der DSG und Direktor der Neurologischen Klinik am Klinikum der Stadt Ludwigshafen. „Wünschenswert wäre eine randomisierte Studie, in der Sekundärprävention nach transienter ischämischer Attacke und ischämischem Insult bei Personen mit einem Körpergewicht von über 70 Kilogramm untersucht wird““, sagt Prof. Hans-Christoph Diener, Seniorprofessor für Klinische Neurowissenschaften an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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