Arzneimittel-Festbeträge in der Schweiz

Pläne für Referenzpreissystem werden konkretisiert

Remagen - 28.05.2018, 12:00 Uhr

In der Schweiz sind die Medikamentenpreise auch für Generika und patentabgelaufene Originalpräparate hoch, und der Anteil der Nachahmer am Markt im europäischen Vergleich sehr niedrig. (Foto: anoli / stock.adobe.com)

In der Schweiz sind die Medikamentenpreise auch für Generika und patentabgelaufene Originalpräparate hoch, und der Anteil der Nachahmer am Markt im europäischen Vergleich sehr niedrig. (Foto: anoli / stock.adobe.com)


Der „Preisüberwacher“ im Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) hat eine neue Analyse mit Empfehlungen für die Ausgestaltung eines Referenzpreissystems für die Schweiz vorgelegt. Dabei haben entsprechende Systeme in mehr als zwanzig europäischen Ländern Modell gestanden.  

In der Schweiz wird seit geraumer Zeit über die Einführung eines Referenzpreissystems diskutiert. Die Politik erhofft sich hiervon Einsparungen bei Arzneimitteln im dreistelligen Millionenbereich. Am 29. März 2018 hatte der Bundesrat angekündigt, im Herbst 2018 einen Vorschlag dazu in die Vernehmlassung zu schicken.

Der „Preisüberwacher“ im Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) hat jetzt eine neue Analyse vorgelegt, um das Vorhaben zu konkretisieren und argumentativ weiter zu stützen. In der Schweiz sind die Medikamentenpreise auch für Generika und patentabgelaufene Originalpräparate hoch, und der Anteil der Nachahmer am Markt im europäischen Vergleich sehr niedrig (2015:  27 Prozent der verkauften Packungen im kassenpflichtigen Markt). Für diese Situation macht der Preisüberwacher besonders die Regeln für die Preisfestsetzung bei Generika (Abstandsregel) und die Vergütungspraxis verantwortlich.

Abstandsregel und umfassende Vergütung

Im Moment werden die Preise der patentabgelaufenen wie auch der patentgeschützten Originalpräparate über einen Auslandpreisvergleich (APV) und einen therapeutischen Quervergleich (TQV, Vergleich mit ähnlichen bereits zugelassenen Medikamenten in der Schweiz) bestimmt. Für Generika gilt die sogenannte Abstandsregel. Hiernach muss bei der Preisbildung ein bestimmter Mindestabstand zum Preis des zugehörigen wirkstoffgleichen Originalpräparats eingehalten werden. Je nach Umsatz des Originals beträgt dieser bei Neuaufnahme 20-70 Prozent und bei der Überprüfung alle drei Jahre 10-35 Prozent. Auf dieser Basis finde unter den Nachahmern kein wirksamer Preiswettbewerb statt, moniert die neue Analyse. 
Außerdem muss die Grundversicherung alle auf der Spezialitätenliste (SL) stehenden Medikamente bezahlen, auch wenn günstigere Alternativen vorhanden sind. Allenfalls werden die Patienten bei teuren patentfreien Medikamenten (Original und Generika), für die es eine günstigere Alternative gibt, mit zwanzig statt zehn Prozent Eigenanteil zur Kasse gebeten (differenzierter Selbstbehalt).

Die Schweiz braucht mit dem Referenzpreissystems keineswegs „das Rad neu zu erfinden“. In mehr als zwanzig europäischen Ländern gibt es bereits entsprechende Systeme, die in der Analyse kurz skizziert werden. Welche Merkmale aus diesen Ländern haben sich die Schweizer nun für ihr Land herausgepickt?

Gruppenbildung auf ATC-Level 5

Der Preisüberwacher erachtet zunächst eine Gruppenbildung auf ATC-Level 5 (identischer Wirkstoff bzw. Wirkstoffkombination) als sinnvoll. Später sollen die Gruppen auf ähnliche Wirkstoffe (ATC-Level 4) und analog zu Deutschland auch auf patentgeschützte Medikamente ohne Verbesserung (Scheininnovationen) erweitert werden. Nur Arzneimittel mit derselben Dosierung sollen in dieselbe Gruppe kommen, während es bei den Packungsgrössen und den Darreichungsformen eine gewisse Spannbreite in der Gruppe geben könnte.  

Günstigste Generika als Maßstab

Um das Niveau der Generikapreise möglichst rasch auf das europäische Niveau zu senken, soll nach Meinung des Preisüberwachers ein Vergleich des durchschnittlichen Preises pro Wirkstoff in neun Vergleichsländern die maximale Referenzpreishöhe bestimmen. Auch für die patentabgelaufenen Originale soll zur Ermittlung eines Höchstpreises weiterhin ein Auslandpreisvergleich durchgeführt werden. Auf jeden Fall sollen die günstigsten Generika preislich den Kurs vorgeben. Die Abstandsregel soll abgeschafft werden. Damit würden die Preise der Generika und der Referenzpreis vom Preis des Originals abgekoppelt. Weiterhin empfiehlt der Preisüberwacher, den Referenzpreis zweimal jährlich zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. 

Flankierende Maßnahmen 

  • Als eine von diversen Begleitmaßnahmen sollen die Wirkstoff (INN)-Verschreibung und die Generikasubstitution gefördert werden, allerdings mit medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen, falls ein Patient unbedingt ein bestimmtes Medikament erhalten soll.
  • Damit in der Schweiz mehr günstige Generika erhältlich sind, soll der Parallelimport erleichtert werden.
  • Außerdem soll das Territorialitätsprinzip abgeschafft werden, damit die Schweizer Patienten ihre erstattungsfähigen Medikamente mit einem Arztrezept auch direkt im Ausland einkaufen können. Diese werden ihnen dann von der Grundversicherung vergütet, falls sie dort günstiger sind.
  • Grundsätzlich soll nach Erreichen des gewählten Grund-Selbstbehalts (Franchise) für alle Medikamente unter oder auf dem Niveau des Referenzpreises weiterhin ein Selbstbehalt von 10 Prozent gelten. Wünscht ein Patient ohne medizinischen Grund ein teures Medikament, so soll er die Differenz zum Referenzpreis selber bezahlen müssen. Dieser Betrag soll weder an seine Franchise noch an den jährlich maximal zu bezahlenden Selbstbehalt angerechnet werden. Die deutsche Regelung, wonach Medikamente, deren Preise 30% unter dem Referenzpreisniveau liegen, zuzahlungsbefreit sind, könnte nach Einschätzung des Preisüberwachers „auch für die Schweiz interessant sein“.
  • Bei allen Medikamenten in derselben Referenzpreisgruppe soll der Vertriebsanteil in Franken identisch hoch sein. Damit sollen die Apotheken und die dispensierenden Ärzte keine finanziellen Einbußen haben, wenn sie ein günstiges Medikament abgeben.
  • Sowohl der verschreibende (evtl. auch abgebende) Arzt als auch der Apotheker und die Krankenhäuser sollen dazu verpflichtet werden, den Patienten zu informieren, falls bei einem Medikament eine Zuzahlung geleistet werden muss.

Kritiker werden in die Schranken verwiesen

Ausführlich setzt sich die Analyse weiterhin mit der Kritik auseinander, die in der Schweiz von der Pharmaindustrie inklusive der Generikahersteller in Bezug auf das Referenzpreissystem vorgebracht wird. 
Argumente wie „Billigsystem“, „Einschränkung der Wahlfreiheit“ oder „Gefährdung der Versorgungssicherheit der Patienten“ will der Preisüberwacher nicht gelten gelassen. Es sei allerdings wichtig, dass die Patienten das System verstehen. Dabei komme besonders den Ärzten und Apothekern, die am nächsten am Patienten sind, eine wichtige Rolle zu.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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