Schweiz

Verwirrung über Festsetzung der Erstattungspreise

Zürich - 03.03.2016, 08:15 Uhr

Arzneimittelpreise in der Schweiz: Ein einziges Gin und Her. (Foto: Schlierner / Fotolia)

Arzneimittelpreise in der Schweiz: Ein einziges Gin und Her. (Foto: Schlierner / Fotolia)


Ein herber Schlag ins Kontor für den schweizerischen Gesundheitsminister Alain Berset. Sein neues System zur Überprüfung der Arzneimittelpreise wurde vom Bundesgericht des Alpenlandes gekippt. Dabei war es erst seit Juni 2015 in Kraft. 

Zum Hintergrund:  Damit ein Arzneimittel in der Schweiz von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP, Grundversicherung) vergütet wird, muss es nach der Marktzulassung durch die Arzneimittelbehörde Swissmedic des Bundesamts für Gesundheit (BAG) in die Spezialitätenliste (SL) aufgenommen werden. Vor der Aufnahme in die SL prüft das BAG, ob die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllt sind. Die Preisfestsetzung eines Arzneimittels stützt sich zum einen auf den Auslandpreisvergleich (APV) und zum anderen auf den therapeutischen Quervergleich (TQV).

Dabei vergleicht das BAG die Schweizer Fabrikabgabepreise mit denen in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Grossbritannien, Frankreich, Österreich, Belgien, Schweden und Finnland. Die Regelungen gelten nicht nur bei der Neuaufnahme eines Arzneimittels in die Liste der kassenpflichtigen Mittel, sondern auch bei späteren Preisüberprüfungen, die alle drei Jahre anstehen. 

Preissenkungen nur durch Preisvergleiche

Zwischen 2012 und 2014 hatte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) jedes Jahr die Preise von rund einem Drittel der Arzneimittel überprüft, die sich auf der Spezialitätenliste befinden. Diese Überprüfung erfolgte vor allem anhand eines Auslandpreisvergleichs. Der  therapeutische Quervergleich zu einem Konkurrenzprodukt  wurde nur dann gezogen, wenn das Präparat in den ausgewählten Vergleichsländern nicht im Handel war. Nach Angaben des BAG wurde infolgedessen für rund 1500 Arzneimittel eine Preissenkung verfügt.  

Ohne Nutzenvergleich geht es nicht

Einzelne Pharmaunternehmen erhoben gegen die vom BAG verfügten Preissenkungen Beschwerde, darunter die schweizerische Niederlassung des US-Pharmaherstellers Eli Lilly wegen einer im Jahr 2013 angeordneten Preissenkung für ein Antidepressivum. Im Dezember 2015 stellte das Bundesgericht schließlich als letzte Instanz fest, dass eine Überprüfung des Arzneimittelpreises allein mittels Auslandpreisvergleich nicht zulässig sei. Vielmehr müsse, genau wie bei der Neuaufnahme eines Arzneimittels in die Liste, jeweils auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Verhältnis zu anderen Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise berücksichtigt werden. Außerdem pochte das Gericht auf die Anwendung der Kriterien der „Wirksamkeit“ und der „Zweckmässigkeit“.  

Seit Juni 2015 neue Regeln

So weit, so gut. Das Ganze ist aber noch komplizierter. Wohl im Vorgriff auf das herannahende „Gewitter“, hatten der Bundesrat und das Eidgenössische Department des Innern (EDI) bereits teilweise zurück gerudert.

Seit dem 1. Juni 2015 sind in der Schweiz neue Bestimmungen in Kraft, nach denen der therapeutische Quervergleich bei der Überprüfung der Preise stärker berücksichtigt werden muss als zuvor. Wie die Neue Züricher Zeitung (NZZ) berichtet, soll der schweizerische Gesundheitsminister Alain Berset sich kurz nach dem Urteil noch recht „locker gegeben haben“. Die überarbeiteten Bestimmungen und das neue Urteil würden schon „passen“, so seine Hoffnung.

„Alles auf Null“

Der Bundesrat entschied jedoch anders. Er ist der Auffassung, dass die neuen Regeln mit der Rechtsprechung des Gerichtes ebenfalls nicht im Einklang stehen, weil der therapeutische Quervergleich auch hierbei nicht systematisch berücksichtigt wird. Das heißt de facto: „Alles auf Null“. Die neuen Verordnungsbestimmungen müssen noch einmal angepasst werden.

In diesem Jahr sollen deshalb keine Preisüberprüfungen bei den Medikamenten stattfinden, sondern erst wieder ab dem Jahr 2017, und zwar unter neuen Vorgaben, die bis dahin auf die Beine gestellt werden sollen. 

Pharmaverband zufrieden

Der Verband der forschenden Pharmafirmen  Interpharma äußerte seine Zufriedenheit mit der Entscheidung. „Wir begrüssen den Entscheid des Bundesrats, mit der stärkeren Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens Rechtssicherheit zu schaffen“, sagt Thomas Cueni, Generalsekretär von Interpharma. „Die Pharmabranche hat mit der Einigung von 2013 mitgeholfen, dass mit den allein auf den Auslandpreisvergleich abstellenden Preisüberprüfungen Einsparungen von über 600 Millionen Franken erzielt wurden, obwohl die gesetzliche Basis dafür gemäss Bundesgerichtsentscheid vom Dezember nicht gegeben war,“ führt er weiter aus. Diese Einsparungen sind aus der Sicht von Interpharma durch den Entscheid nicht in Frage gestellt. 

Alle glücklich?

Nach Mutmassungen der NZZ wäre der Übergang zu einem generellen Nutzenvergleich nicht nur bei neuen Medikamenten, sondern auch bei den jährlich rund 800 Preisüberprüfungen  allerdings weder bei den Behörden noch bei der Pharmaindustrie besonders beliebt. Für das BAG brächte dies wohl einen erheblichen Zusatzaufwand und möglicherweise neue Rechtsunsicherheiten, etwa durch Streitigkeiten über die „richtigen“ Vergleichsprodukte, so die Vermutung.   

Urteil: 9C_417/2015 vom 14. 12. 2015 – BGE-Publikation 


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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