Online-Handel

Studie: Amazon könnte Apothekenmarkt nicht umkrempeln

München - 08.12.2017, 14:50 Uhr

US-Wirtschaftsspezialisten kommen in einer Analyse zu dem Schluss, dass der Online-Riese Amazon den Apothekenmarkt in den USA nicht umkrempeln könnte. (Foto: dpa)

US-Wirtschaftsspezialisten kommen in einer Analyse zu dem Schluss, dass der Online-Riese Amazon den Apothekenmarkt in den USA nicht umkrempeln könnte. (Foto: dpa)


Wenngleich sich der Internetriese Amazon mit Äußerungen zu einem möglichen Eintritt in das Apotheken- und Pharmahandelsgeschäft zurückhält, stellt die Fachwelt seit Monaten immer wieder Vermutungen darüber an. Eine aktuelle Analyse des Research-Hauses Cowen kommt nun entgegen bisheriger Annahmen zu dem Ergebnis, dass ein Markteintritt Amazons den US-Markt nicht zwangsläufig auf den Kopf stellen würde.

Bislang ist – fast – nichts geschehen. Und doch beschäftigen sich Fachleute aus der Pharma-, Apotheken-, und Arzneimittel-Versandhandelsbranche seit Monaten intensiv mit der Frage, welchen Einfluss ein möglicher Markteintritt des Logistik- und Internetgiganten Amazon auf die Industrie hätte. Nachdem sich die US-Bank Goldman Sachs bereits vor einigen Wochen in verschiedenen Szenarien diesem Thema genähert hatte und Amazons Erwerb von Großhandelslizenzen in zwölf US-Bundesstaaten sowie die Einstellung von Pharma-Fachleuten entsprechende Spekulationen angeheizt hatte, haben nun auch Analysten des New Yorker Finanz-Dienstleisters Cowen Überlegungen angestellt, wie sich Amazon in dem Metier breit machen könnte.

In ihrer Studie, die DAZ online vorliegt, kommen die Spezialisten für Branchen- und Unternehmensanalysen zu dem Ergebnis, dass ein Markteintritt des Konzerns zwar möglich sei, dieser aber nicht – wie von anderen Experten vermutet – die Spielregeln zwangsläufig komplett neu definieren würde. „Amazons Möglichkeiten im Apothekengeschäft sind nicht so groß, wie wir erwartet haben, und sie sind um ein Vielfaches kleiner als in den Bereichen Kleidung, Haushalts- und Gebrauchswaren sowie Lebensmittel“, schreiben die Autoren John Blackledge und Charles Rhyee.

Einstieg in Spezialarzneien unwahrscheinlich

Zudem gäbe es mehrere Reibungspunkte. So sei es beispielsweise unwahrscheinlich, dass Amazon im Geschäft mit Spezialarzneimitteln tätig werde, da damit üblicherweise auch spezielle zusätzliche Services und Erstattungsfragen verbunden seien, in denen Amazon keine Kompetenz habe. Außerdem sei die Zahl der Patienten in diesem Segment vergleichsweise gering. Auch ein Eindringen von Amazon in das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für Kliniken halten die Cowen-Analysten für unwahrscheinlich.

Übernimmt Amazon eine Apothekenkette?

Zwar könnte Amazon bei einem Einstieg in das US-Apothekengeschäft durchaus Synergien zu anderen Teilen des Konzerns herstellen, insbesondere zu Produkten der Körperpflege und Vitaminen. Andererseits dürfte es den Managern schwerfallen, mit Arzneimitteln ein derart robustes, schnell skalierbares und disruptives Geschäft aufzubauen wie dies im Handel mit anderen Waren gelungen sei. Blackledge und Rhyee rechnen denn auch damit, dass die Bereiche Kleidung, Haushalts- und Gebrauchswaren sowie Lebensmittel und Getränke von Amazon im Jahr 2020 fünf. bis 20-mal größer sein werden als das Apothekengeschäft des Konzerns. „In gewisser Weise sehen wir die Möglichkeit, dass Amazon eine weitere große Apothekenkette aufmacht oder als Wettbewerber im Bereich der Versandapotheken auftritt“, schreiben die Autoren. „Hier halten wir verschiedene Szenarien für möglich, aber in keinem dürfte Amazon große Händler wie CVS oder WBA aus dem Markt verdrängen.“

Keine generelle Entwarnung

Dennoch kann sich die Apotheken- und Arzneimittelhandelsbranche jenseits und auch diesseits des Atlantiks angesichts dieser Annahmen nicht entspannt zurücklehnen. Denn einen generellen Markteintritt Amazons in das Pharmageschäft schließen auch die Cowen-Analysten nicht aus. Wenn der Konzern diesen Schritt gehe, könnte er sich insbesondere seines Prime- und Prime-Now-Dienstes wie auch der erst im August 2017 übernommenen Bio-Lebensmittelkette Whole Foods und der existierenden Kundenbeziehungen bedienen.

Vor diesem Hintergrund stellt Cowen konkrete Überlegungen zum künftigen Gewicht von Amazon im Pharmamarkt an. Demnach könnte der Konzern im Jahr 2019 einen Marktanteil von einem Prozent bei einem Umsatz von drei Milliarden Dollar erreichen. Bis zum Jahr 2023 könnte der Marktanteil auf vier Prozent steigen, der Umsatz dürfte nach dieser Kalkulation bei 10 Milliarden Dollar liegen – Akquisitionen nicht berücksichtigt. Zum Vergleich: Der gesamte Konzernumsatz von Amazon könnte basierend auf Zahlen des Marktforschungsunternehmens IQVIA, ehemals QuintilesIMS, im Jahr 2018 bei 203 Milliarden Dollar liegen.

Übernahme von Rite Aid?

Doch es könnte auch anders kommen: Als strategischen Kick für Amazon sieht Cowen eine mögliche Übernahme der US-Apotheken- und Großhandelskette Rite Aid, was den Marktanteil von Amazon in kurzer Zeit stark steigen lassen dürfte. Amazon würde damit auf einen Schlag im Handelsgeschäft eine starke Stellung gewinnen und staatliche Apothekenlizenzen sowie die dazugehörige Infrastruktur erhalten. Wie dieser Schritt in der Realität aussehen könnte, lassen die Autoren allerdings offen. Denn erst kürzlich hatte die US-Wettbewerbsbehörde FTC dem US-Apotheken- und Großhandelsriesen Walgreens Boots Alliance die Erlaubnis erteilt, im nunmehr vierten Anlauf 1932 Filialen des Wettbewerbers Rite Aid sowie drei Logistikzentren für 4,4 Milliarden Dollar zu übernehmen. Walgreens Alliance Boots verfügt somit über die größte US-Apothekenkette mit mehr als 10.000 Filialen.

Die US-Bank Goldman Sachs hatte kürzlich in einer eigenen und vielbeachteten Studie anhand von fünf verschiedenen Szenarien untersucht, unter welchen Bedingungen Amazon in das US-Pharmageschäft einsteigen könnte. Demnach könnte insbesondere der Vertrieb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, der in den USA ein jährliches Umsatzvolumen von 560 Milliarden Dollar hat, für Amazon ein lukratives Geschäftspotenzial darstellen.

Wettbewerber dürften jedenfalls weiterhin genau beobachten, ob und welche Schritte Amazon in Richtung Pharma- und Apothekengeschäft macht. Nach Zahlen von Cowen würden von den rund 55 Millionen US-Prime-Kunden 67 Prozent bei Amazon auch verschreibungspflichtige Arzneimittel bestellen. Allein das könnte für das Management ein schlagkräftiges Argument sein, den monatelangen Spekulationen Taten folgen zu lassen. 



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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