AMVSG

Barmer droht Zyto-Apotheken mit Last-Minute-Retax

Berlin - 19.04.2017, 17:15 Uhr

Die Zyto-Verträge zwischen Krankenkassen und Apotheken werden in Kürze nicht mehr exklusiv sein. (Foto: VZA)

Die Zyto-Verträge zwischen Krankenkassen und Apotheken werden in Kürze nicht mehr exklusiv sein. (Foto: VZA)


Mit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes werden die bestehenden Zyto-Verträge zwischen Krankenkassen und Apotheken nicht nur in ihrer Laufzeit beschnitten – sie verlieren auch sofort ihre Exklusivität. Das hat die Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz, klargestellt. Die Barmer vertritt allerdings eine andere Auffassung.

Schon morgen könnte es soweit sein: Die Veröffentlichung des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes im Bundesanzeiger wird derzeit täglich erwartet. Am Tag nach seiner Veröffentlichung wird das Gesetz mit seinen vielen Neuerungen im Pharma- und Apothekenbereich in Kraft treten. Unter anderem können dann Rezepturen mit einem zusätzlichen Festzuschlag abgerechnet werden. Doch es werden auch zwei unter Apotheken nicht sehr beliebte Ausschreibungsvarianten abgeschafft: die für Zytostatika auf Apothekenebene und jene für Impfstoffe. 

Hinsichtlich der Impfstoffe hatte das Bundesgesundheitsministerium kürzlich bereits klargestellt, dass bestehende Verträge zwischen Kassen und Impfstoffherstellern ihre Exklusivität verlieren, sobald das AMVSG in Kraft getreten ist. Nötig wurde die Klarstellung, weil sich dies nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt.

Interpretationsspielraum im AMVSG?

Doch wie sieht es bei den Zyto-Verträgen aus? Für die Apotheken ist dies eine sehr relevante Frage – schließlich geht es um ihr Geld. Bisher müssen sie mit einer Vollabsetzung rechnen, wenn sie ohne Vertrag eine Zyto-Verordnung beliefern. Doch das AMVSG lässt sich hier offensichtlich ebenfalls unterschiedlich interpretieren. Nachdem der Gesetzentwurf zunächst ausdrücklich vorsah, dass die Exklusivität der Verträge mit Inkrafttreten des AMVSG entfällt, die Verträge aber regulär auslaufen können, besserten die Fraktionen hier im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nach. Nun ist vorgesehen, dass die bestehenden Verträge am letzten Tag des dritten auf das Inkrafttreten des AMVSG folgenden Monats unwirksam werden. Eine spezielle Bestimmung, wie es um die Exklusivität in dieser Übergangsfrist bestellt ist, enthält das AMVSG nicht. Vielmehr wurde die zunächst vorgesehene Aufhebung der Exklusivität, die über eine Ergänzung des § 31 Abs. 1 Satz 5 SGB V erfolgen sollte, bewusst gestrichen. Das kann man so verstehen, dass die bereits geschlossenen Verträge in der dreimonatigen Übergangszeit die Apothekenwahlfreiheit noch einschränken sollen.  

Kassen wollen auch auf letzten Drücker sparen

Nicht zuletzt die Kassen haben das Gesetz nach dieser Lesart interpretiert. Allen voran die Barmer/TK/KKH. Diese drei Ersatzkassen (damals noch mit der Deutschen BKK, die mittlerweile in der Barmer aufgegangen ist) setzten nämlich noch immer auf ihre exklusive Ausschreibung, als längst klar war, dass die Verträge nur von begrenzter Haltbarkeit sein werden. Selbstbewusst ließen sie wissen, sie würden ihre neuen Verträge auch im Mai noch starten lassen – selbst wenn das AMVSG dann schon geltendes Recht ist. Selbst in nur zwei Monaten Laufzeit könnten die Kassen mit den Verträgen 10 Millionen Euro sparen, hieß es.

Auch die AOK Plus, die zwar die Spielart eines Open-House-Modells wählte, startete noch im März Zyto-Verträge mit Apotheken. Hier sahen die Vertragsunterlagen schon vor, dass die eigentlich für zwei Jahre geplanten Verträge ein vorzeitiges Ende nehmen können, wenn der Gesetzgeber entsprechendes beschließt.

Klare Ansage an die Krankenkassen

Nun dürfte Annette Widmann-Mauz (CDU), Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, für einen Dämpfer bei den Kassen gesorgt haben. Anlass für ihre Ausführungen zu den AMVSG-Regelungen zur Versorgung mit Zytostatika gab ihr ein Schreiben des Bundestagsabgeordneten Tino Sorge (CDU), der zu diesen Bestimmungen noch Nachfragen hatte. In ihrer Antwort erklärt Widmann-Mauz ausdrücklich, dass der Wegfall der Exklusivität ab Inkrafttreten des AMVSG gilt. Dies habe „zur Folge, dass die Apothekenwahlfreiheit der Versicherten, die bereits in § 31 Absatz 1 Satz 5 SGB V vorgegeben ist und die ggf. in enger Abstimmung mit der behandelnden Onkologin oder dem behandelnden Onkologen wahrgenommen wird, bei der Versorgung mit Zytostatika gewährleistet bleibt“. Ärzte könnten also weiterhin im Sinne einer guten Versorgung der betroffenen Patienten mit Apotheken kooperieren. Sodann stellt auch Widmann-Mauz nochmals fest, dass die laufenden Verträge drei Monate nach Inkrafttreten des AMVSG unwirksam werden. 

Weiter schreibt die Staatssekretärin: „Das freie Apothekenwahlrecht der Versicherten und der Wegfall der Versorgungsexklusivität einzelner Vertragsapotheken gilt auch für solche Verträge, die in Kenntnis der bereits im Gesetzentwurf vorgesehenen Streichung von § 129 Absatz 5 Satz 3 SGB V kurzfristig noch vor Inkrafttreten des AMVSG geschlossen wurden und wegen der o. g. Regelung zur Unwirksamkeit nur für eine kurze Übergangszeit gelten sollen. Insoweit ist auch keine Umgehung der kommenden gesetzlichen Regelungen durch kurzfristige Vertragsabschlüsse realisierbar“.

Ersatzkassen drohen mit Nullretax

Das ist eine klare Ansage. Doch die Barmer zeigt sich hiervon unbeeindruckt: Die Verträge für die drei Ersatzkassen seien vor Inkrafttreten der Änderungen durch das AMVSG rechtswirksam geschlossen worden und könnten somit innerhalb der Zeitspanne der gesetzlich geregelten Übergangsfrist umgesetzt werden – und zwar exklusiv, erklärte sie auf Nachfrage gegenüber DAZ.online. Die Kasse verweist dazu auf die bereits erwähnte zunächst im AMVSG vorgesehene Änderung des § 31 Abs. 1 SGB V, wonach das Apothekenwahlrecht der Versicherten auch in der Zytostatikaversorgung Anwendung finden sollte. Darauf habe der Gesetzgeber verzichtet. Es gelte daher weiterhin die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25.11.2015, Az. B 3 KR 16/15 R), nach der der Vergütungsanspruch eines Apothekers für Zytostatikazubereitungen bei Exklusivliefervertrag der Krankenkasse mit einer anderen Apotheke entfällt. Hierbei habe das Bundessozialgericht auch das oben Apothekenwahlrecht gemäß § 31 Abs. 1 SGB V entsprechend gewürdigt. Das heißt im Klartext: Apotheken, die ab Inkrafttreten der Barmer/TK/KKH-Verträge zum 1. Mai 2017 in exklusiv vergebenen Losgebieten ohne exklusiven Versorgungsvertrag onkologische Zubereitungen beliefern, müssen damit rechnen, dass ihre abgerechneten Rezepte im Wege der Vollabsetzung beanstandet werden. Jedenfalls so lange die Verträge innerhalb der Übergangsfrist bestandskräftig sind. 

AOK Plus: Jede Zyto-Apotheke darf versorgen

Die AOK Plus antwortete auf Nachfrage, wie sie nun weiter mit ihren Verträgen umgehe, dass sie die Auswirkungen der Regelungen des AMVSG derzeit noch prüfe. Die Ergebnisse dieser Prüfung stünden noch aus, sagte eine Sprecherin. Ebenso wenig konnte sie sagen, wie viele Apotheken schon jetzt an den Open-House-Verträgen beteiligt sind. Die Sprecherin betonte jedoch, die AOK Plus habe „schon ausweislich ihrer Open-House-Ausschreibung akzeptiert, dass keine Exklusivität besteht”. Insofern habe schon bislang und auch künftig jede Zyto-Apotheke Versicherte der AOK Plus versorgen können.  

Wirtschaftlichkeit und Korruptionsschutz gesichert

Widmann-Mauz‘ Schreiben an den Abgeordneten Sorge stellt überdies noch mehr klar: Zum einen, dass die Kassen trotz der gestrichenen Ausschreibungen auf Apothekenebene sparen können. Zum anderen, dass für mehr Transparenz gesorgt wird und dies Fehlentwicklungen verhindern soll. So werde den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen einheitlich und gemeinsam der Abschluss von Rabattverträgen mit pharmazeutischen Herstellern zu den Fertigarzneimitteln ermöglicht, die in Apotheken bei der Herstellung von parenteralen Zubereitungen verwendet werden. Auch die Hilfstaxe werde gestärkt – sie muss nun neu verhandelt werden. Geht das nicht schnell genug und nicht einvernehmlich, wird die Schiedsstelle zur Konfliktlösung eingeschaltet.

Zudem weist Widmann-Mauz darauf hin, dass die bisherige Regelung zur Transparenz über die Einkaufspreise der abgerechneten Arzneimittel deutlich erweitert wird. Der bereits gesetzlich verankerte Auskunftsanspruch der Krankenkassen zum tatsächlichen Einkaufspreis und diesbezüglichen Rabatten umfasse künftig nicht nur die Apotheke, sondern auch die für eine Apotheke tätig werdenden Herstellbetriebe oder die Krankenhausapotheken sowie erweiterte Angaben der pharmazeutischen Unternehmer. „Die erweiterte Transparenz trägt so auch zur Verhinderung etwaiger betrügerischer oder korruptiver Praktiken im Rahmen der Leistungserbringung und ­abrechnung bei“, schreibt die Staatssekretärin. Gebe es doch einmal Verdachtsmomente für ein möglicherweise strafbares Verhalten von Leistungserbringern, könnten die Strafverfolgungsbehörden ermitteln – zum Beispiel wegen Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen (§§ 299a, 299b Strafgesetzbuch).



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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