Duftforschung

Capsaicin gegen Tumore

06.01.2017, 13:00 Uhr

Hanns Hatt fand mit seinem Team bereits viele wichtige Riechrezeptoren. (Foto: RUB, Marquard)

Hanns Hatt fand mit seinem Team bereits viele wichtige Riechrezeptoren. (Foto: RUB, Marquard)


Ein Team um den Bochumer Duftforscher Hanns Hatt hat jetzt gezeigt, dass eine schwer zu behandelnde Brustkrebsart den Rezeptor für das Schärfemolekül Capsaicin exprimiert und sich das Zellwachstum durch Gabe des Wirkstoffs hemmen lässt. Damit könnte der Paprikainhaltsstoff und sein Rezeptor ein neuer Therapieansatz werden.

Rund 350 verschiedene menschliche Rezeptoren für Duftstoffe gibt es, von denen jeder recht spezifisch auf bestimmte Duftmoleküle reagiert. In den Riechzellen der Nase setzen diese eine Signalverstärkungskaskade in Gang, an deren Ende unser Gehirn einen Duft registriert.

Die Forscher um Deutschlands wohl bekanntesten Duftforscher, den promovierten Biologen und Mediziner Hanns Hatt, Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Uni Bochum, beschrieben vor rund zehn Jahren als erste, dass Duftrezeptoren aber außerdem an vielen Stellen im Körper – eben nicht nur in der Nase – zu finden sind und dort wichtige Funktionen ausüben.

In Prostata-Krebszellen konnte das Team so zum Beispiel spezifische Riechrezeptoren bereits ebenso nachweisen wie, dass Spermien auf Maiglöckchen-Duft reagieren. Dass in Hautzellen Duftrezeptoren etwa für Sandalore, synthetischen Sandelholz-Duft, zu finden sind, die nach Aktivierung bei der Wundheilung helfen, fand das Team im Jahr 2014 heraus. Pharmazeutisch wird dies wohl in naher Zukunft durch den Zusatz von Sandalore in entsprechenden Wundsalben genutzt.

TRPV1 reagiert auf Scharfes und Hitze

Nun hat sich das Team auf den Rezeptor TRPV1 konzentriert. Er kommt vor allem im fünften Hirnnerv, dem Nervus trigeminus vor, der das Gesicht versorgt. Hohe Konzentrationen von Duftstoffen aber auch verschiedene andere chemische Substanzen, vor allem aus Gewürzen, können diesen TRPV1-Kanal öffnen. Er gehört zur Familie der TRP-Rezeptoren. TRP steht dabei für „Transient-Receptor-Potential-Channel“, also für eine Klasse sich auf einen spezifischen chemischen Reiz hin öffnender Ionenkanäle in der Zellmembran. Das V im Akronym besagt, dass es sich um ein Protein der Klasse der Vanilloid-Rezeptoren handelt. 

Ansatzpunkt Paprika und Chili

Capsaicin, der Inhaltsstoff aus Paprika und Chili, der uns Schärfe vermittelt, gehört zu diesen Vanilloiden, also einer Stoffgruppe, die über eine Vanillylgruppe (4-Hydroxy-3-methoxybenzylgruppe) verfügen. Auf eben diesen reagiert TRPV1, aber auch der Duftstoff Helional, eine zyklische Kohlenwasserstoffverbindung, die den Duft einer frischen Meeresbrise vermittelt, bindet an den Rezeptor. Außerdem reagiert er auf erhöhte Temperatur (was die ähnliche Empfindung von „scharf“ und „heiß“ erklärt) sowie auf endogene Cannabinoide – und er findet sich im menschlichen an vielen Stellen. 

TRPV1 bislang als Ansatzpunkt für Analgetika diskutiert

Pharmazeutisch ist der vor allem Calcium aber auch Natrium, Kalium und Protonen-durchlässige Kanal TRPV1 schon länger als möglicher Ansatzpunkt für Analgetika in der Diskussion, denn er findet sich verstärkt exprimiert in den Zellen freier Nervenendungen und spielt als Schmerzrezeptor eine große Rolle, aber auch als Waffe gegen Hirntumore. Zusätzlich könnte der Transmembranproteinkomplex in Zukunft auch eine Rolle bei der Therapie einer besonders aggressiven Form des Brustkrebses spielen.

Die Forscher  konnten jetzt nachweisen, dass TRPV1 in den Tumorzellen aus Proben von Brustkrebspatienten regelmäßig zu finden ist. Und mehr noch, das Team um Hatt und seine Mitarbeiterin, die promovierten Biologin Lea Weber, konnte zeigen, dass die Aktivierung des Rezeptors mit Capsaicin oder Helional zu einem reduzierten Wachstum und vermehrten Absterben der Brustkrebszellen führte. Zudem waren die überlebenden Zellen nicht mehr in der Lage, sich so schnell zu bewegen wie zuvor.

Die Forscher schließen daraus, dass die so behandelten Zellen im Körper dann schlechter Metastasen bilden könnten. Ihre Ergebnisse veröffentlichte Hatt und Weber jetzt im Fachmagazin „Breast Cancer – Targets an Therapy“

In Zellkultur vielversprechende Ergebnisse

Für ihre Laborversuche verwendeten die Naturwissenschaftler die Zelllinie SUM149PT, die ein Modellsystem für die besonders aggressive Brustkrebsvariante des sogenannten triple-negativen Typs ist. Den Zellen dieser Tumorvariante fehlen Rezeptoren für die Hormone Östrogen, Progesteron und den epidermalen Wachstumsfaktor EGF (Epidermal Growth Factor). In 85 Prozent aller Brustkrebsfälle bieten diese Rezeptoren Ansatzpunkte für die Therapie der Krankheit. In den 15 Prozent dreifach-negativer Tumore hilft dagegen bislang nur eine wesentlich unspezifischere Chemotherapie als einzig mögliche Behandlung.

„Die Duft- und Geschmacksstoff-Rezeptoren sind dabei eine völlig neue Gruppe von Targets für die Therapie“, erklärt Hatt. Im Versuch inkubierten die Forscher die Zellen in Kultur für mehrere Stunden oder Tage mit Zugabe von Capsaicin oder Helional und erhielten die entsprechenden vielversprechenden Ergebnisse. „Wenn wir den TRPV1-Rezeptor gezielt durch Medikamente anschalten könnten, könnte sich ein neuer Ansatz für die Behandlung dieser Krebsform ergeben“, sagt Hatt. Dass der Rezeptor in vivo in triple-negativen Brustkrebszellen exprimiert wird, konnte in Kooperation mit der Privatdozentin Gabriele Bonatz vom Brustzentrum der Augusta-Kliniken Bochum gezeigt werden. In Proben von neun Brustkrebspatienten wurde die Existenz des Rezeptors bestätigt, schreiben die Forscher.

Verabreichungsform noch unklar

Wie aber in vivo der TRPV-1-Rezeptor in den Zellen der Brusttumore aktiviert werden könnte, das sei ein noch zu lösendes Problem. „Der Wirkstoff müsste direkt zu den Zellen gelangen“, sagt Hatt. Eine große Aufnahme etwa von Capsaicin mit der Nahrung oder durch Einatmen des Duftes Helional reiche dazu nicht aus.

„Wir machen hier allerdings nur Grundlagenforschung“, sagt Hatt. „Wir wollen der Welt zeigen, dass es mit den Duftrezeptoren ganz neue Ansatzpunkte für Diagnose, Therapie von Krankheiten, aber auch für die Verbesserung von normalen Zellfunktionen im Körper gibt.“ Eine Kooperation mit Pharmazeuten sei bislang nicht geplant. Entsprechend werde man in seinem Institut auch beim TRPV1 und dem Capsaicin nicht weiter in Richtung Anwendung forschen. „Wir zeigen nur auf, wie es gehen könnte“, sagt Hatt und ist überzeugt, dass der TRPV1-Rezeptor ein vielversprechender neuer Therapie-Ansatz sein kann.

Quelle: 

Lea Weber, Hans Hatt et al.: Expression and functionality of TRPV1 in breast cancer cells, in: Breast Cancer – Targets and Therapy, 2016, DOI: 10.2147/BCTT.S121610) (https://www.dovepress.com/expression-and-functionality-of-trpv1-in-breast-cancer-cells-peer-reviewed-article-BCTT ).



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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