Interpharm 2011

Wie Düfte unser Leben bestimmen

Bis vor etwa zehn bis 15 Jahren beschäftigten sich Wissenschaftler kaum mit dem Geruchssinn des Menschen, da sie ihn als "niederen Sinn", der hauptsächlich für die Kommunikation in der Tierwelt eine Rolle spielt, betrachteten. Erst in jüngster Zeit werden die molekularen und zellulären Grundlagen der Geruchswahrnehmung intensiver erforscht – mit interessanten, zukunftsweisenden Ergebnissen, die Prof. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt vorstellte.
Foto: DAZ/Reimo Schaaf
Was Düfte bewirken – dies stellte Prof. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt vor. Interessant: Düfte werden von jedem individuell bewertet.

Prof. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt, Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum, ist einer der renommiertesten Geruchsforscher Deutschlands. Er präsentierte in seinem Festvortrag faszinierende Forschungsergebnisse die zeigen, wie stark Düfte unser Leben bestimmen – wie sie beispielsweise unsere Stimmung verändern oder unser Kaufverhalten beeinflussen. Eines Tages könnten Erkenntnisse aus der Geruchsforschung vielleicht sogar zur Entwicklung neuer Medikamente führen.

Einer der erstaunlichsten Befunde ist sicherlich, dass beim Menschen nicht nur die Nase für das Riechen zuständig ist. Duftrezeptoren finden sich in zahlreichen anderen Organen und Geweben des menschlichen Körpers. Bisher wurden sie beispielsweise im Herzen, in der Haut, im Gehirn, auf Sperma- und Prostatakarzinomzellen gefunden.

Trigeminus-Nerv mit Warnfunktion

Auch der paarig angelegte, die gesamte Gesichtsregion innervierende Trigeminusnerv
(5. Hirnnerv) ist mit seinen in der Haut liegenden freien Nervenendigungen an der Duftwahrnehmung beteiligt. Er reagiert insbesondere auf scharfe, beißende, brennende und stechende Gerüche, allerdings erst bei 500- bis 1000-fach höheren Konzentrationen, als für die Aktivierung der Geruchssensoren in der Nasenschleimhaut notwendig wäre. Die biologische Funktion besteht wahrscheinlich darin, den Menschen vor höheren, möglicherweise schädlichen, Dosen von Duftstoffen zu warnen.

Die Duftsensoren des Trigeminusnervs sind gleichzeitig Temperaturfühler für bestimmte Temperaturbereiche: So spricht beispielsweise der Duftrezeptor für Menthol gleichzeitig auf den Temperaturbereich 10 bis 15 Grad an. Da das Gehirn nicht unterscheiden kann, ob der Rezeptor, ein TRP-Kanal (engl.: transient receptor potential channel) durch Menthol oder einen Kältereiz aktiviert wurde, ist das Riechen von Menthol mit einer Kälteempfindung verbunden, erläuterte Hatt.

Ein weiterer Rezeptor aus dieser Familie (TRPv1) kann durch Capsaicin aktiviert werden. Dies ist gleichzeitig der Hitzefühler für den Temperaturbereich 40 bis 50 °C. Beim Biss in eine Peperoni wird der Rezeptor aktiviert, das Gehirn erhält die Information, kann aber nicht unterscheiden, ob die Aktivierung durch den Duftstoff oder einen Wärmereiz hervorgerufen wurde – uns kann beim Essen scharfer Speisen der Schweiß ausbrechen.

Wenn durch das Kauen auf einer Nelkenwurzel – einem Hausmittel gegen Zahnschmerzen – größere Mengen Eugenol freigesetzt werden, aktiviert dies den Rezeptor TRPa1, der gleichzeitig ein Schmerzrezeptor ist. Die Daueraktivierung durch Eugenol führt dazu, dass er langsam abgeschaltet wird, die Schmerzempfindung lässt nach.

"Gehen Sie mit offener Nase durch die Welt, und Sie werden sich eine völlig neue Welt erschließen!"

Prof. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt

Riechen beginnt im Mutterleib

Embryonen können bereits ab der 26. Schwangerschaftswoche riechen, das heißt sie nehmen Düfte wahr, denen ihre Mütter während der Schwangerschaft ausgesetzt sind. Forschungen konnten zeigen, dass sich ein Mensch oder ein Tier noch zwei Jahre nach der Geburt an diese Düfte erinnert.

Ob jemand einen Geruch mag oder nicht, ist nicht genetisch bedingt; vielmehr wird jeder Duft von jedem Menschen individuell bewertet. Diese Wertung ist jedoch stark vom Kulturkreis und der Erziehung abhängig. Wenn ein Duft erst einmal positiv abgespeichert wurde, wird er immer positiv bewertet. Dies hat interessante Folgen. So haben beispielsweise Untersuchungen ergeben, dass dicke Frauen auf Männer etwa sechs Kilogramm leichter wirken, wenn sie ein Parfüm mit einem floralen Duft tragen. Hatt bezeichnete dieses Phänomen als "olfaktorische Längsstreifen". Tragen Frauen ein Parfüm mit Duft nach rosa Pampelmusen, werden sie bis zu sechs Jahre jünger geschätzt. Der Grund dafür ist, dass diese beiden Düfte sehr oft in Parfümen, die von jungen, schlanken Frauen bevorzugt werden, enthalten sind.

Schweiß – eine interessante Flüssigkeit

Schweißgeruch ist landläufig mit negativen Assoziationen verbunden, obwohl er, so Hatt, eine interessante Flüssigkeit darstellt. Seine unangenehm riechende Buttersäure-Komponente wird von Mikroorganismen, die die Haut besiedeln, gebildet. Darüber hinaus besitzt Schweiß eine Individualkomponente, das heißt, jeder Mensch produziert praktisch sein eigenes Parfüm, an dem man ihn wie bei einem Fingerabdruck erkennen könnte. Vermutlich sind im Schweiß auch Pheromone enthalten, doch steht die Forschung auf diesem Gebiet beim Menschen noch ganz am Anfang, so Hatt. Von Hunden und Katzen weiß man dagegen, dass sie über 300 Rezeptoren für Pheromone besitzen. Wenn Hunde markieren, schreiben sie damit "Botschaften", die von ihren Artgenossen noch nach Stunden "gelesen" werden können.

"Jeden Monat bekommt der Mensch eine neue Nase, denn alle vier Wochen werden ihre etwa 30 Millionen Sinneszellen komplett erneuert."

Prof. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt

Liebe geht durch die Nase

Bei Experimenten mit Mäusen fand man heraus, dass sich die Weibchen ihre Partner ausschließlich nach dem Geruch auswählen. Dabei zeigte sich: je deutlicher sich der Geruch des Mäuserichs von dem der weiblichen Maus unterschied, umso interessanter war er für sie als Partner. Bei Mäusen stellt dieses Phänomen eine Inzuchtschranke dar. Die Natur will damit offenbar eine hohe genetische Variabilität sichern, denn der Körpergeruch basiert auf den Genen: je ähnlicher die genetische Ausstattung, umso ähnlicher der Geruch.

Auch beim Menschen geht Liebe offenbar nicht nur durch den Magen, sondern auch durch die Nase. Ein Forscherteam untersuchte 30 Ehepaare, die sich nach ein bis zwei Jahren Ehe scheiden ließen, hinsichtlich ihres Körpergeruchs. Zusätzlich untersuchten sie Paare, die schon jahrelang glücklich verheiratet waren. Paare mit kurzer Ehedauer hatten untereinander einen hochsignifikant ähnlichen Körpergeruch während bei den glücklich Verheirateten Langzeit-Ehepaaren Mann und Frau sehr unterschiedlich rochen.

Nach Absetzen der Pille droht Scheidung

Wenn Mäuse trächtig sind, bevorzugen sie die Gesellschaft von ähnlich riechenden männlichen Artgenossen, also Verwandten, da diese offenbar "verlässlicher" sind. Ein Schweizer Forscher hat dieses Phänomen beim Menschen untersucht und fand, dass Frauen in der Schwangerschaft ebenfalls Männer mit ähnlichem Körpergeruch wie sie selbst bevorzugen. Das Problem dabei ist, so Hatt, dass Frauen durch die Pille in eine Scheinschwangerschaft versetzt werden und in dieser Zeit Gefahr laufen, sich die "falschen" Männer auszusuchen. Dazu Hatt: "In der Packungsbeilage von Kontrazeptiva müsste daher stehen: nach Absetzen der Pille gefährden Sie Ihre Ehe."

Männerschweiß wird von den meisten Frauen als unangenehm bewertet, doch zeigen Untersuchungen, dass diese Wahrnehmung im Verlaufe des weiblichen Zyklus schwankt. Zu Zeiten ihres Eisprunges finden Frauen diesen Geruch hochsignifikant weniger unangenehm als während der anderen Zyklustage.

"Solange Sie atmen, riechen Sie – Sie können es nicht abstellen, bis zum letzten Atemzug."

Prof. Dr. Dr. med. habil. Hanns Hatt

In der Forschung lernen Nierenzellen riechen

Der Mensch verfügt über 350 verschiedene Geruchsrezeptoren. Dieses "Duftalphabet" mit 350 Buchstaben stellt praktisch seine gesamte "Riechbreite" dar. Leider sind erst fünf dieser Buchstaben bekannt, bedauerte Hatt, und zwar: Bananenduft, frische Meeresbrise, Zitronen-, Veilchen- und Maiglöckchen-Duft. Um erforschen zu können, auf welchen Duft ein Rezeptor anspricht, wird er in Nierenzellen exprimiert. Im Falle einer Aktivierung kommt es zu einem Anstieg der Calcium-Konzentration, der sich durch eine Fluoreszenz Calcium-sensitiver Farbstoffe erkennen lässt.

Spermien riechen den Duft der Maiglöckchen

Mithilfe derartiger Experimente konnten Hatt und seine Mitarbeiter zeigen, dass der auf menschlichen Spermien existierende Geruchsrezeptor hOR17-4 durch Bourgeonal, einen Hauptbestandteil des Maiglöckchen-Dufts, aktivierbar ist. Bietet man in einem Experiment Spermien, die normalerweise ungeordnete, kreisförmige Bewegungen ausführen, Maiglöckchen-Duft an, so bewegen sie sich mit doppelter Geschwindigkeit in Richtung Duftquelle. Die Forscher fanden auch, dass menschliche Eizellen genau diesen Duft abgeben. Diese Erkenntnisse bieten interessante Ansatzpunkte für weitere Forschungen, beispielsweise zur Entwicklung neuer Verhütungsmethoden. Wenn es beispielsweise gelänge, so Hatt, den Maiglöckchen-Duftrezeptor der Spermien zu blockieren, könnten sie die Eizelle nicht mehr erreichen.

Krebszellen-Teilung durch Veilchenduft hemmbar

Humane Prostata-Karzinomzellen exprimieren dagegen auf ihrer Oberfläche in großen Mengen den Rezeptor OR51E2, der durch Veilchenduft aktiviert werden kann. Zunächst konnten sich Hatt und seine Mitarbeiter nicht erklären, weshalb es für ein Duftmolekül, das in der Prostata natürlicherweise nicht vorkommt, eine derartig hohe Rezeptordichte geben sollte. Doch dann fanden sie die Lösung: das Veilchenduft-Molekül Beta-Ionon besitzt eine strukturelle Ähnlichkeit mit Steroidhormonen und deren Abkömmlingen wie beispielsweise Dihydrotestosteron. Bei weiteren Untersuchungen mit Zellkulturen zeigte sich, dass nach Aktivierung dieses Rezeptors, der auch als PSGR-Rezeptor (prostate-specific G-protein-coupled receptor) bekannt ist, die Teilungsrate der Prostatakarzinom-Zellen rapide abnahm. Durch gleichzeitige Applikation des Rezeptorblockers Alpha-Ionon konnte der antiproliferative Effekt des Beta-Ionons aufgehoben werden. Hatt und seine Mitarbeiter hoffen nun, dass diese Erkenntnisse einmal zur Entwicklung neuer Krebsmedikamente genutzt werden können.

Orangenduft versus Frauenduft

Bekannt ist, dass Düfte bestimmte Stimmungen erzeugen, ja sogar die Herz- und Atemfrequenz verändern können. Hatt stellte Studien vor, bei denen untersucht worden war, inwieweit Gerüche Trauminhalte beeinflussen können. In einem Test wurden Männern während des Schlafes Fäkalienduft, Orangenduft und weiblicher Körpergeruch angeboten. Fäkalienduft führte erwartungsgemäß zu negativen Träumen. Frauenduft verursachte positive Träume, die jedoch nicht signifikant von denen durch Orangenduft begleiteten zu unterscheiden waren. Nach diesen Erkenntnissen scheint es für einen Mann, der angenehm träumen möchte, relativ unerheblich zu sein, ob sich Orangen oder eine Frau in seinem Schlafzimmer befinden.


cb



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DAZ 2011, Nr. 14, S. 46

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