Zwei Apotheken betroffen

Was passierte am tragischen Abend des Amoklaufs?

München - 25.07.2016, 18:00 Uhr


Zehn Tote, zehn Schwerverletzte: Der Amoklauf am Freitag erschütterte Menschen nicht nur in München. Zwei Apotheken liegen im und am Olympia-Einkaufszentrum. Der Sohn eines Mitarbeiters wurde schwer verletzt, drei Freunde von ihm starben. Ein Rückblick auf einen tragischen Abend.

Es war kein guter Morgen, als am heutigen Montag die Tore des Olympia-Einkaufszentrums wieder geöffnet wurden. Trauernde aus der ganzen Stadt kamen, um der Toten und Verletzten von Freitagabend zu gedenken. Ein Abend, an dem wohl ganz Deutschland erstarrte. Fast alle der zehn Verstorbenen und der zehn Schwerverletzten waren Jugendliche – drei schwebten am Sonntag noch in Lebensgefahr. Der 18-jährige Amokläufer, ein Münchner Schüler, tötete sich selbst.

Viel Leid hat die schreckliche Tat der Familie des 13-jährigen Benets gebracht. Dieser saß zufällig mit drei Freunden in einer Filiale von McDonald’s, die direkt gegenüber des Eingangs des Olympia-Einkaufszentrums in München liegt. Während dort auch ein Kindergeburtstag gefeiert wurde, fielen die ersten Schüsse. Unter den sechs jungen Menschen, die im Schnellimbiss getötet wurden, waren die drei Freunde von Benet. Ihn selber trafen zwei Kugeln, eine im Unterkiefer. Ein Arzt sagte später Benets Eltern, er könne die Arme nicht so weit auseinandernehmen, wie ihr Sohn Glück gehabt hätte. Ihr Junge wurde in der Nacht mehrfach operiert, Ärzte flogen per Hubschrauber zu ihm ins Krankenhaus. Inzwischen ist er im künstlichen Koma – und außer Lebensgefahr.

Benets Vater arbeitet in der Apotheke, die im Olympia-Einkaufszentrum liegt. Die Mitarbeiter sind schockiert. Es herrsche blanke Fassungslosigkeit und Entsetzen, sagt die Inhaberin Birgit Lauterbach. Um die sicherlich monatelange Genesung von Benet zu erleichtern und seine Familie langfristig zu unterstützen, startete sie eine Spendenaktion.

Den meisten Angestellten ist die Erschütterung noch anzusehen, als sie nur gut zwei Tage nach der tragischen Tat um 10 Uhr die Apotheke wieder öffnen. Sie stellten Blumen auf – und eine Spendenbox für den Sohn des Kollegen.

Freitagabend, kurz vor 18 Uhr

Rund 25 Mitarbeiter und zehn bis 15 Kunden befanden sich in der SaniPlus Apotheke im OEZ, als am Freitag um kurz vor sechs die ersten Schüsse zu hören waren. Einige Menschen liefen an der Apotheke vorbei – es brauchte einen Moment, bis die Mitarbeiter drinnen erkannten, dass diese in blanker Panik flohen. Passanten strömten in die Apotheke und fragten nach einem Weg, über den sie fliehen könnten. Bis auf zwei Mitarbeiter und den Sohn von Apothekerin Lauterbach, der Pharmazie studiert und auch in der Apotheke arbeitet, verließen alle fluchtartig das Einkaufszentrum durch einen Hinterausgang. Die drei Verbliebenen verschlossen die Eingangstür, um sicher zu sein. Dann versteckten sie sich in den hinteren Zimmern der Apotheke. „Unser Sohn blieb bis gegen 21 Uhr mit den zwei Mitarbeitern vor Ort“, sagt Lauterbach.

Mit dem Sondereinsatzkommando aus der Offizin

Apothekerin Lauterbach war mit ihrem Mann im Urlaub in Frankreich, wurde aber sofort nach den ersten Schüssen informiert. Per Internet-Übertragung verfolgten sie die Bilder der Überwachungskameras. Die Nachricht von Schüssen im OEZ verbreitete sich sehr schnell. „Wir haben innerhalb kürzester Zeit Nachfragen von Freunden aus aller Welt bekommen, per SMS und Whatsapp – die wussten, dass wir die Apotheke im OEZ haben“, sagt Ehemann Arndt Lauterbach, der mit in der Apotheke arbeitet.

„Um viertel vor neun kam das Sondereinsatzkommando mit Taschenlampen und großen Gewehren“, berichtet er – noch immer war unklar, ob es weitere Täter gab. Sie waren benachrichtigt worden, dass sich noch drei Personen in der Apotheke befanden. Langsam verließen alle die Offizin und wurden von den Einsatzkräften nach draußen begleitet, wo sich Kriseninterventions-Teams um alle Augenzeugen kümmerten.

Die Mitarbeiter wurden in „größter Fürsorge“ in zwei Wohnungen von Anwohnern aufgenommen. Teilweise übernachteten sie dort, da der komplette öffentliche Nahverkehr still stand und Taxen nicht fuhren. „Die Hilfsbereitschaft war unglaublich“, sagt Birgit Lauterbach.

Auf ähnlich dramatische Weise erlebten die Mitarbeiter der Filiale MediPlus Apotheke am OEZ die schrecklichen Stunden. Diese befindet sich in direkter Nähe des Einkaufszentrums, nur gut 200 Meter von McDonald’s entfernt. „Panische Leute standen hier, die wir reingelassen haben“, sagte eine Mitarbeiterin gegenüber DAZ.online. Direkt hinter der Apotheke lag der Absperrring der Polizei. Um kurz vor acht machten sie die Apotheke zu. Manche Mitarbeiter blieben jedoch erstmal, da sie nicht nach Hause kamen.

Die Apotheker wollen nach vorne schauen - und helfen

Apothekerin Lauterbach hat nicht gezögert, die Filialapotheken in anderen Einkaufszentren im Westen und Osten der Stadt am nächsten Morgen wieder aufzumachen. „Wenn im OEZ ein Amoklauf ist, kann ich nicht die anderen Apotheken zumachen“, erklärt sie. Nicht nur in Hinblick auf die Arzneimittelversorgung von Patienten, sondern auch für die Mitarbeiter war die Entscheidung wohl sehr hilfreich – um den Blick nach vorne zu richten.

Ein Ort des Lebens

„Alle sind sehr bewegt – wir haben gesagt, wir reden gerne mit ihnen“, erklärt die Apothekerin. Aber man müsse zusehen, dass es weitergeht. „Wir wollen helfen, aus der Erstarrung rauszukommen“, sagt Lauterbach, deren Mutter die Apotheke im Olympia-Jahr 1972 gründete. „Und man muss den Opfern helfen, die überlebt haben – sie werden ganz schnell vergessen“, ergänzt ihr Mann.

Am Montag war zu spüren, wie sehr sich die Beschäftigen im Einkaufszentrum nun gegenseitig brauchen – vielen standen Tränen in den Augen. Zum Reden, oder um sich spontan zu umarmen und zu trösten. Es sei ein Ort des Lebens, des Handelns, der Kollegialität und Freundschaft, sagte der Geschäftsführer des OEZ bei einer Andacht am Morgen. Sicherlich wird der vergangene Freitag nun für immer zum OEZ gehören – aber auch eine neue Verbundenheit der Mitarbeiter und Kunden.

Spendenaktion für Benet

SaniPlus Apotheken Lauterbach

  • IBAN DE70 7015 0000 0000 2727 40
  • BIC SSKMDEMMXXX (Stadtsparkasse München)

Verwendungszweck: „Spende B. A.“

Die Apothekenleiterin Birgit Lauterbach wird alle Spenden, die mit dem Verwendungszweck „Spende B.A.“ auf dem Konto der Apotheke eingehen, direkt an die betroffene Familie weitergeleiten. 

Derzeit wird auch die Gründung eines gemeinnützigen Vereins geprüft, über den gegebenenfalls Spendenquittungen ausgestellt werden können.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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