Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch…

11.11.2012, 08:00 Uhr


…nu isse weg, die Praxisgebühr. Ach ja, Politiker, Politiker! Was sie nicht alles machen, um wiedergewählt zu werden. Liebes Tagebuch, erinnerst du dich noch daran, wie diese „Gebühr mit notwendiger Steuerungsfunktion“ gegen zahlreiche Widerstände von Ärzten und Patienten eingeführt wurde? Wenn man jetzt erlebt, wie sie im politischen Schweinsgalopp gestrichen wird, kann man ins Zweifeln kommen. Und vom Zweifel bis zum Verzweifeln ist manchmal nur ein kleiner Schritt.

Montag, 5. November

Kein Schweinsgalopp, schon eher ein Schweinedeal lief da bei rund 600 Frauenärzten ab. Sie wollten Apotheker spielen und haben ihren Patientinnen eine in Deutschland nicht zugelassene Drei-Monatsspritze als Verhütungsmittel angedreht. Der illegale Handel flog auf, die Zusatzeinnahmequelle ist weg. Die Staatsanwaltschaft ist gnädig: Wenn die Gynäkologen zwei Drittel des verkauften Warenwerts bezahlen, dann kommen sie um ein Strafverfahren herum. Ja, Geld kann eben jeder brauchen.

Auch „wir“ sind Papst – zumindest der ägyptische Kollege Tawadros. Er wurde zum neuen Papst der Kopten bestimmt. In seinem früheren Leben hatte er Pharmazie an der Uni in Alexandria studiert und in der pharmazeutischen Industrie gearbeitet. Dann muss er wohl eine Erleuchtung gehabt haben: er ging in ein Wüstenkloster und wurde Weihbischof. Was meinst du, mein Tagebuch, ob eine solche Erleuchtung auch dem einen oder anderen deutschen Apotheker zu wünschen wäre? Statt Apotheke lieber ab ins Wüstenkloster und dann Karrieresprung zum, ja, was dann? Wann sind die ABDA-Wahlen?

Dienstag, 6. November

Nachdem wir auch ohne Wahl wissen (Ähnlichkeiten mit dem Prozedere in China sind rein zufällig!), dass die ABDA-Spitze Schmidt-Kiefer-Becker heißt, gibt es zumindest auf der Vize-Ebene der ABDA-Führung ein bisschen Gerangel. Gottseidank. Der Chef des sachsen-anhaltinischen Apothekerverbands Arnold tritt gegen den Chef des nordrheinischen Verbands Preis an. „Isch kandidiere“ haben sie beide gesagt. Beide sollten es eigentlich können, liebes Tagebuch. Am Nikolaustag wissen wir, wer kompatibler ist.

Die Zukunft ist da, liebes Tagebuch. Das erste Gentherapie-Medikament der westlichen Welt  wurde zugelassen: Glybera gegen die seltene Feststoffwechsel-Krankheit Lipoprotein-Lipase-Defizienz (LPLD). Kosten für die „Genfähre“ pro Patient rund 1,2 Millionen Euro. Man darf gespannt sein, ob das Präparat hält, was es verspricht. Was man ahnt: Es wird kaum in der Schublade der Apotheke liegen, die Genfähre wird andere Wege nehmen (müssen). Eine Retaxation auf Null würde keine Apotheke aushalten.

Mittwoch, 7. November

Liebes Tagebuch, es gibt noch Wunder. Die AOK lernt dazu. Statt einen Rabattvertrag für eine Substanz nur mit einem Partner abzuschließen, können nun bis zu drei Bieter mit ins Boot geholt werden. „Mehrpartner-Modell“ heißt die längst überfällige Regelung, Exklusivverträge sind out. Na, endlich, geht doch! Patienten und Apotheken sagen Danke, auch wenn’s lang gedauert hat.

Niederländische Versandapos wie postpills können’s nicht lassen. Nachdem sie keine Boni mehr auf Rx geben dürfen, versuchen sie’s mit einem Trick, genannt  „Anwendungsbeobachtung“. Die Mühe von Kunden, die einen Fragenbogen zur Erfassung der Lebensqualität ausfüllen, vergütet postpills mit „Aufwandsentschädigungen“ bis zu 15 Euro – „als Dankeschön für die Mithilfe bei unserer Qualitätssicherung“. Na, liebes Tagebuch, siehst du auch schon die ersten innovativen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, die das abkupfern werden?

Gegen die starre Haltung des GKV-Spitzenverbandes bei den Kassenabschlagsverhandlungen will der Saarländische Apothekerverein mit einer Massen-Fax-Aktion protestieren. Die saarländischen Apotheken sollen am kommenden Montag vorbereitete Faxe, gerne auch mehrfach, über drei Tage lang und auch an Telefonnummern, schicken. „Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt“, heißt es beim Apothekerverband. Ob sich die große GKV davon beeindrucken lässt und lieber gleich die Stecker zieht? Wenn sich David gegen Goliath wehrt: statt Fax vielleicht ein kleiner Cyberangriff im Netz?

Downgrading im Alpenstaat. Einige rezeptpflichtige Arzneimittel soll der Apotheker ohne Rezept abgeben dürfen und Drogerien dürfen alle nicht-rezeptpflichtigen Arzneimittel abgeben – das plant der Bundesrat der Schweiz. Begründung nach Schweizer Art: Der Zugang der Bevölkerung zu Arzneimitteln soll verbessert werden; übersetzt: der Zugang für Apotheken und Drogerien zum Geld der Patienten soll erleichtert werden. Aecht  schwyzerisch, oder? Isch guet gsi.

Donnerstag, 8. November

Liebes Tagebuch, weißt du wie viel Sternlein stehen? Nein. Und weißt du, wie oft und seit wann wir schon den Satz „Die elektronische Gesundheitskarte kommt“ gelesen haben? Nein, aber fast so viele Mal wie es Sternlein gibt. Seit über einem Jahrzehnt! Vor sechs Jahren wollte sogar eine Bundesgesundheitsministerin, Ulla aus Aachen, Ernst machen: „Wenn die Gesundheitskarte bis Weihnachten nicht ausgeliefert ist, trete ich zurück“, drohte sie damals. Die Karte lag nicht unterm Baum, Ulla trat trotzdem nicht zurück. Sechs Jahre später bastelt das Gesundheitswesen immer noch an der Karte. Obwohl sie elektronisch heißt, soll der Roll-out, so heißt das In-Umlauf-Bringen heute, erstmal offline, ohne elektronischen Einsatz, erfolgen. Aber nicht bis Weihnachten, nein. Auch nicht bis Ostern nächstes Jahr. Vielleicht bis Weihnachten nächstes Jahr? Was meinst du, liebes Tagebuch, stellt mal jemand eine Kostenrechnung über das letzte Jahrzehnts dafür auf? Keine Sorge, an Milliarden haben wir uns ja mittlerweile gewöhnt…

Hast du auch das laute Ploppen gehört, liebes Tagebuch? Das waren die Sektkorken in den Vorstandsetagen der Krankenkassen, als sie die Meldung auf den Tisch bekamen: In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden so viele Rabattarzneimittel abgegeben wie nie zuvor. Laut Berechnungen von IMS Health hat im patentfreien Markt der Anteil der Rabattverträge mit 63 Prozent im bisherigen Dreivierteljahr einen neuen Höchststand erreicht. Prost, liebe Kassen. Vielleicht schickt ihr uns Apothekerinnen und Apotheker eine Flasche Selters als kleines Dankeschön dafür, dass wir schwitzend die Arbeit machen durften und fürs Rumrennen, Organisieren, Patienten-Beschwichtigen und und und. Merci vielmals.

Freitag, 9. November 2012

Die Praxisgebühr ist tot. Der Bundestag hat’s beschlossen, keine Enthaltung, keine Gegenstimme. Ab 1. Januar freier Eintritt beim Arzt. Sie ist dem berühmten Kuhhandel zwischen Schwarz-Gelb zum Opfer gefallen. Gibst du mir das Betreuungsgeld, geb ich dir die Praxisgebühr. Die Begründung, warum der Wegfall der Gebühr nun sinnvoll ist, wird dazu gestrickt. So funktioniert Politik. Punkt. Wenn sich in den Kassen der Kassen in ein paar Jahren ein Minus von zwei Milliarden auftut, sollten wir uns an den 9. November erinnern. Aber vielleicht stehen dann wieder Honorarverhandlungen für Apotheker an.

Liebes Tagebuch, wenn das keine Schlagzeile der Woche war: Die Kanadier dürfen sich auf billige Potenzpillen freuen, meldete dpa. Der oberste Gerichtshof des Landes hat das Pfizer-Patent auf Viagra für ungültig erklärt. Teva hatte geklagt. Und Recht bekommen. Die Patentschrift habe nicht eindeutig offengelegt, was die Erfindung war, so die Richter. Pech für Pfizer. Aus der Patentschrift gehe nicht klar hervor, warum Viagra eigentlich wirke. Aber wer fragt denn so was, Hauptsache es wirkt, oder? Jetzt kündigt Teva bereits ein Novo-Sildenafil für den kanadischen Markt an. Andere Märkte werden da leider noch ein wenig warten müssen, bis das Patent abläuft und Tevas Tochter in Ulm produzieren darf. Dann werden auch Viagra-Kunden doppelt sehen und sagen können: Gute Preise, gute Besserung, Da gibt’s doch was von…


Peter Ditzel


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