Genomanalyse

Neue genetische Ursache für Glasknochen-Krankheit entdeckt

Köln - 08.03.2011, 06:50 Uhr


Bei der Osteogenesis imperfecta führen genetische Veränderungen zu einer erhöhten Knochenbrüchigkeit. Die Mehrzahl der Fälle sind auf Mutationen in bekannten Genen zurückzuführen. Bei einem kleinen Teil der Patienten war die Ursache bislang unbekannt.

Hierfür wurde eine Methode zur umfassenden Analyse des menschlichen Genoms verwendet, die derzeit weltweit die Humangenetik revolutioniert: das sogenannte Next-Generation-Sequencing. Es ermöglicht die Analyse eines Großteils aller rund 25.000 Gene in einem einzigen Experiment. Bisher mussten bei Forschungsprojekten und in der Routine-Diagnostik die in Frage kommenden Gene einzeln und nacheinander analysiert werden – ein sehr mühseliges und zeitaufwendiges Vorgehen, so dass in der Regel nur eine kleine Zahl von Genen untersucht werden konnte.

Mit der neuen Methode werden gleichzeitig zehntausende Abweichungen von der Referenzsequenz des humanen Genoms identifiziert. Die weitaus meisten hiervon haben keinen Krankheitswert, sondern sind Teil der jeweiligen genetischen Individualität eines Menschen. Die krankheitsauslösende Mutation in diesem gewaltigen Datensatz zu finden, gleicht daher zurzeit noch der sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Die Forscher machten sich bei dieser Suche zu Nutze, dass die Eltern der Patienten eine Ehe mit einem Verwandten eingegangen waren. Die ursächliche Mutation vermuteten sie daher in den Abschnitten des Genoms, die von einem gemeinsamen Vorfahren über beide Elternteile in identischer Form an das betroffene Kind vererbt wurden. Mit einem bioinformatischen Algorithmus kartierten die Wissenschaftler die in Frage kommenden Bereiche und suchten nur hier nach der Mutation.

Schon nach der Analyse des ersten Patienten-Genoms wurden sie fündig: Das Gen SERPINF1 zeigte in beiden Kopien eine schwerwiegende Veränderung. Anschließend fanden sie bei zwei weiteren Patienten mit Osteogenesis imperfecta andere gravierende Mutationen und konnten somit belegen, dass Veränderungen in diesem Gen mit stark erhöhter Knochenbrüchigkeit einhergehen. Damit wurde ein Gen als ursächlich identifiziert, dass man bislang vor allem mit der Hemmung von Gefäßneubildungen in Verbindung gebracht hat: SERPINF1 kodiert für das Protein PEDF, das wegen dieser Eigenschaft schon in klinischen Studien auf seine Eignung als Arzneimittel untersucht wird.

Der Ablauf der Erkrankung könnte daher bei dieser Form der Glasknochen-Krankheit ein gänzlich anderer sein als bei den bisher bekannten Fällen. Auf dem Boden dieser Erkenntnis könnte langfristig eine individualisierte – das heißt an die molekulare Ursache angepasste – Therapie dieser Form der Glasknochen-Krankheit entwickelt werden.

Alle Patienten, bei denen der Nachweis von SERPINF1-Mutationen gelang, haben eine schwere Form der Erkrankung. Jetzt kann eine Aussage darüber getroffen, wie wahrscheinlich es ist, dass die Eltern weitere erkrankte Kinder bekommen

Literatur: Becker, J., et al.: Am. J.Hum. Gen. 2011; Online-Vorabpublikation: doi:10.1016/j.ajhg.2011.01.015


Dr. Bettina Hellwig