Arzneimittel und Therapie

Genomforschung: Krankheiten besser erkennen und behandeln

Mit Hilfe der Genomforschung sollen die genetischen Ursachen von Krankheiten identifiziert und die individuelle Ansprechbarkeit auf eine Pharmakotherapie verbessert werden. Ergebnisse der Genomforschung wie DNA-Mikrochips werden bereits heute in der Diagnostik eingesetzt.

In Bälde wird die vollständige Sequenz des menschlichen Genoms bekannt sein. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms und der Aufklärung der einzelnen Genfunktionen erhofft man sich neue Erkenntnisse über die genetischen Grundlagen von Krankheiten und dadurch auch eine Verbesserung von Diagnose und Therapie. Im Idealfall kann für den Patienten eine individuelle Medikation zusammengestellt werden, die seine genetischen Eigenschaften im Hinblick auf die Ansprechbarkeit und Metabolisierung berücksichtigt. Diese "personalisierte" Medizin ist allerdings noch eine Zukunftsvision, zu deren Verwirklichung interdisziplinäre Forschungen und Kooperationen erforderlich sind.

Das Human Genome Project

Ein Grundstein für dieses Vorhaben wurde 1988 mit der Gründung des Human Genome Project (HGP, menschliches Genomprojekt) gelegt. Dieses Forschungsvorhaben, an dem Genforscher aus 50 Ländern beteiligt sind, befasst sich mit der Identifizierung der menschlichen Gene und untersucht die Entschlüsselung ihrer Funktion. Dazu wird das Genom in kleine Stücke zerlegt und deren Position auf den Chromosomen bestimmt. Nach der Zusammensetzung der erhaltenen Fragmente wird die exakte Reihenfolge der Nukleotide ermittelt. Als Ergebnis liegt inzwischen ein fast vollständiger, durchlaufender genetischer Text aus DNA-Nukleotidbasen vor.

Genetische Variationen beeinflussen die Wirksamkeit

Es ist bekannt, dass nicht alle Patienten gleich gut auf eine Pharmakotherapie ansprechen. Dies zeigt sich insbesondere bei CSE-Hemmern und Beta-2-Agonisten, die nur in 30 bis 70% aller Fälle zum Erfolg führen. Diese unterschiedliche Ansprechbarkeit ist möglicherweise auf genetische Veränderungen zurückzuführen. Gleichfalls ist bekannt, dass in der Pathogenese bestimmter Erkrankungen, beispielsweise Krebs, Diabetes oder Alzheimer-Demenz, Wechselwirkungen verschiedener Gene mit Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Daher erscheint es sinnvoll, im Hinblick auf die Prävention und Therapie bestimmter Erkrankungen die genetische Disposition eines Patienten näher zu betrachten. Eine bereits heute praktizierte Möglichkeit, die genetisch festgelegten Informationen zu nutzen, ist die Durchmusterung des Erbmaterials auf bestimmte Punktmutationen, die möglicherweise die Ansprechbarkeit auf bestimmte Pharmaka beeinflussen.

SNPs werden vererbt

Im Rahmen dieser Durchmusterung wurden bestimmte Punktmutationen identifiziert, von denen man vermutet, dass sie die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen. Diese Punktmutationen werden als Einzel-Nukleotid-Polymorphismen oder Single Nucleotide Polymorphism (SNPs) bezeichnet. SNPs entstehen durch den Austausch eines DNA-Bausteins gegen einen andern. Sie lassen sich in der entsprechenden Gensequenz bei mindestens einem Prozent der Bevölkerung nachweisen und treten ungefähr alle 700 Basenpaare auf. SNPs werden von einer Generation zur nächsten vererbt und gehen nicht verloren. Im äußeren Erscheinungsbild machen sich die Genvarianten beispielsweise in der Augenfarbe, der Körpergröße oder der Blutgruppe bemerkbar.

SNPs beeinflussen die Wirksamkeit von Medikamenten

Ferner wird vermutet, dass SNPs für die individuelle Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten und die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten verantwortlich sind. So weiß man, dass bestimmte SNPs die Arzneistoffaufnahme, Verteilung, Metabolisierung und Elimination sowie Morphologie und Anzahl der Zielrezeptoren beeinflussen. Ein Beispiel hierfür ist die Metabolisierung von Omeprazol, die je nach Genotyp schnell oder langsam erfolgen kann. Dafür verantwortlich ist das zum Cytochrom-P450-System gehörende CYP2C19-Gen. In der Praxis bedeutet diese genetisch bedingte schnellere Metabolisierung von Omeprazol eine verminderte Ansprechbarkeit auf den Protonenblocker, die eine Dosiserhöhung erforderlich macht. Ein weiteres Beispiel für eine genetisch bedingte Ansprechbarkeit ist der Therapieerfolg mit Albuterol bei Asthmakranken, der von einem bestimmten Genotyp abhängt. Gegenwärtige Untersuchungen befassen sich mit dem Entgiftungssystem der UDP-Glucuronosyltransferase, das für die Wasserlöslichkeit und letztendlich für die Ausscheidung von Pharmaka verantwortlich ist. Bei dieser Genfamilie konnten bislang 22 die Aminosäuren ändernde SNPs entdeckt werden. Mit Hilfe von Zellkultur-Assays soll nun geprüft werden, ob sich aufgrund der ausgetauschten Aminosäuren im Protein die Abbaurate der hinzugefügten Medikamente ändert und es so eventuell zu Leberschädigungen kommen kann.

SNPs als molekulare Sonden

Um nun nicht bei jedem Patienten die gesamte Gensequenz bestimmen zu müssen, entstand die Idee, zu einer orientierenden Untersuchung von Genomen SNPs als "molekulare Sonden" zu verwenden und aussagekräftige, diagnostische Tests für SNPs zu entwickeln. Mit Hilfe solcher diagnostischer Tests könnten dann beispielsweise für den Patienten Art und Dosierung eines bestimmten Medikaments individuell ausgesucht werden. Des Weiteren könnte die Anfälligkeit für eine bestimmte Krankheit rechtzeitig erkannt und eventuell deren Ausbruch durch präventive Maßnahmen verhindert werden.

Suche nach SNPs im menschlichen Erbgut

Die für diesen Zweck zu untersuchenden Gene stammen von 47Individuen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Bevor jedoch eine Genvariante in Form eines SNPs entdeckt werden kann, muss das gelieferte DNA-Fragment entschlüsselt werden. Um genügende Mengen für die Analyse herzustellen, wird es mit Hilfe einer PCR-Methode millionenfach vervielfältigt. Die Kopien werden in Lösungen mit Substanzen gebracht, die durch die Reaktion mit passenden komplementären DNA-Basen (Thymin paart sich mit Adenin, Cytosin mit Guanin) einen weiteren Reproduktionsprozess beenden. Auf diese Weise reichern sich unterschiedlich lange Bruchstücke an, die alle jeweils mit den vier Basenbestandteilen Guanin, Cytosin, Adenin oder Thymin enden. An die den Abbruch bewirkenden Basen sind verschiedene fluoreszierende Farbstoffe gekoppelt, die dafür sorgen, dass jede der gleichartigen Basen entsprechend eine von den vier Farben aufweist. Nach der Aufbereitung werden die gekennzeichneten Nukleotidfragmente auf mit Polymergel gefüllte, hauchdünne Kapillaren einer Sequenziermaschine aufgetragen. Die angelegte Spannung sorgt dafür, dass sich die Bruchstücke ihrer Größe nach trennen. Die kleineren Moleküle erreichen das Ende des Röhrchens am schnellsten, die größeren benötigen dafür mehr Zeit. Zum Schluss setzt ein Laser die verschiedenen Fluoreszenzfarben in Signale um, die dann mit Hilfe einer Datenverarbeitung in die Basensequenzen der vervielfältigten DNA übersetzt werden. Die Abschnitte aller 47 Individuen werden jetzt verglichen und auf SNP-Varianten geprüft.

Speicherung in einer SNP-Datenbank

Ein SNP wird durchschnittlich alle 700 Basenpaare gefunden. Die Anzahl der SNPs in den Genen kann stark variieren. Ferner sind SNPs nicht gleichmäßig über das Genom verteilt. Viele der identifizierten SNPs liegen in nicht kodierenden Abschnitten der DNA und verursachen somit keine nachweisbaren Veränderungen im Organismus. Allerdings konnten auch SNPs identifiziert werden, die sich auf die koronare Herzkrankheit, Diabetes Typ 2, Schizophrenie und Bluthochdruck auswirken. Von medizinischer Bedeutung sind ferner die schon erwähnten genotypisch bedingten Unterschiede bei der Verstoffwechselung von Medikamenten. Das in der Datenbank gespeicherte Material ermöglicht ferner eine Verbesserung der Forschung, da leicht überprüft werden kann, ob bei bestimmten Genen, die mit einer Krankheit oder Arzneimittelwirkungen in Verbindung stehen, SNPs vorliegen.

Testsysteme für SNPs

Zur breiten Anwendung von SNPs braucht man kostengünstige, schnell und einfach durchzuführende Testsysteme. Dazu gehören die MALDI-TOF-Methodik, DNA-Strips und DNA-SNP-Chips.

  • MALDI-TOF-(Matrix-Assisted-Laser Desorption Ionisation-Time Of Flight)-Methodik. Dieses Verfahren beruht auf der Massenspektroskopie. Da die verschiedenen DNA-Basen Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin ein unterschiedliches Molekulargewicht aufweisen, unterscheiden sich auch zwei Spielarten im DNA-Molekül und können so identifiziert werden.
  • DNA-Strips. Mit Hilfe der PCR-Vervielfältigungsmethode können Allele bestimmter Gene nachgewiesen werden. Solche Strips werden auch in der Gerichtsmedizin verwendet, weil sich mit ihnen innerhalb weniger Stunden ausgewählte SNPs in bis zu 30 DNA-Proben aus Blut, Sperma, Haar, Gewebe, Knochen oder Hautzellen analysieren lassen.
  • DNA-SNP-Chips. Sie funktionieren ähnlich wie ein DNA-Strip. Die zu untersuchenden SNPs sind auf einer Glasoberfläche fixiert. Nun wird die DNA des zu testenden Individuums auf diesen Chip aufgebracht. Nur zueinander passende DNA-Fragmente finden zueinander und geben ein Signal, das automatisch vom Computer erkannt wird.

DNA-Mikrochip - Genomanalyse auf kleinstem Raum

Eine weitere praktische Anwendung der Genomforschung ist die Entwicklung und Anwendung von DNA-Mikrochips. Dank Fortschritten in der Chip-Technologie können bereits bis zu 12000 Gene pro Chip getestet werden. Es wird angestrebt, in den nächsten Jahren Chips zu entwickeln, mit deren Hilfe es möglich ist, rund 100 000 Gene eines kompletten menschlichen Genoms gleichzeitig auf Gesundheits- oder Krankheitsfaktoren hin zu analysieren.

Genchips machen HIV-Mutanten und Krebsfaktoren ausfindig

Einige Genchips sind heute bereits im Handel. Dazu zählt der HIV-Genchip, mit dem sich einzelne Veränderungen im Erbgut des HI-Virus nachweisen lassen, die seine Gene für die HIV-1-Protease und die HIV-Reverse-Transkriptase betreffen. Ist das für diese viralen Enzyme verantwortliche Erbmaterial mutiert, resultiert daraus eine Resistenz gegenüber HIV-1-Protease-Hemmern bzw. HIV-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren. Wird eine solche Mutation rechtzeitig detektiert, muss die medikamentöse Therapie umgestellt werden. Ebenfalls auf dem Markt ist ein Cytochrom-P450-Chip, welcher in einer Gruppe von Genen nach Abwandlungen sucht, die an der Metabolisierung von Betablockern und verschiedenen Antidepressiva beteiligt sind. Genchips spielen auch bereits in der Onkologie eine Rolle. Im Handel befindet sich ein Test zur Bestimmung des p53-Tumor-Suppressorgens. Das Tumorsuppressorgen p53 unterbricht bei einem Gendefekt in einer Zelle deren Zellteilung so lange, bis der Defekt repariert ist. Gelingt dies nicht, löst p53 eine Apoptose aus. Geht nun dem Tumorsuppressorgen zum Beispiel als Folge einer Mutation diese Fähigkeit verloren, teilt sich die Zelle immer weiter, sodass ein Tumor entstehen kann. Die Testfelder des Genchips enthalten sowohl DNA-Sequenzen des normalen als auch des mutierten p53-Gens. Weist die DNA aus der Gewebeprobe eines Patienten Sequenzen des mutierten p53-Gens auf, so wird sie an die Testfelder mit der passenden DNA binden und kann somit detektiert werden. Ein weiterer diagnostisch eingesetzter Genchip spürt Mutationen in der Gruppe der Brustkrebs-Gene BRCA1 auf, deren Trägerinnen ein erhöhtes Mammakarzinom-Risiko aufweisen.

Genchips in Zukunft

In der Entwicklung befindet sich ein Genchip, mit dessen Hilfe genetische Veränderungen bei einer zystischen Fibrose erkannt werden können. Im Tierversuch wird bereits ein Genchip zur Untersuchung von Hirnschlagmodellen eingesetzt. Ebenfalls mit einem Genchip soll die Ansprechbarkeit von Melanomzellen auf eine Interferonbehandlung getestet werden. Ferner werden Genchips zur Erforschung von Tumorerkrankungen, Alzheimer-Demenz, Schlaganfall und Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis eingesetzt.

Mit Hilfe der Genomforschung sollen die genetischen Ursachen von Krankheiten identifiziert und die individuelle Ansprechbarkeit auf eine Pharmakotherapie verbessert werden. Ergebnisse der Genomforschung wie DNA-Mikrochips werden bereits heute in der Diagnostik eingesetzt. Unser Artikel vermittelt einen Einblick in die Genomforschung und zeigt Auswirkungen der Genetik auf die Medizin.

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