Arzneimittel und Therapie

Vermehrte Knochenfrakturen genetisch bedingt

Osteoporose und die damit einhergehenden Knochenbrüche haben gravierende Auswirkungen auf die Mobilität und Morbidität insbesondere älterer Menschen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung gewinnt die Erkennung und Behandlung dieser Erkrankung zunehmend an Bedeutung. Eine internationale Forschergruppe konnte nun nachweisen, dass Osteoporose nicht nur durch die Ernährungs- und Lebensweise beeinflusst wird, sondern auch genetisch bedingt ist und daher zu einem gewissen Maße von Generation zu Generation vererbt werden kann.

Viele Krankheiten beruhen auch auf Risikofaktoren, denen eine bisher noch kaum untersuchte genetische Prädisposition zugrunde liegt. Weltweit wird versucht durch statistische Verfahren Zusammenhänge zwischen speziellen Genmustern und dem Auftreten bestimmter Krankheiten aufzuklären. In einer solchen internationalen genom-weiten Assoziationsstudie konnte nun gezeigt werden, dass die Ursachen für osteoporotische Erkrankungen zumindest teilweise genetisch bedingt sind. Die Forscher fanden dabei sogenannte Single Nucleotide Polymorphismen (SNPs), also auf dem Austausch einzelner Nukleotide beruhende genetische Variationen, die bei den betreffenden Patientinnen zu einer erhöhten Anzahl von Knochenfrakturen sowie zu einer Abnahme der Knochendichte führten. Die SNPs wurden in oder unmittelbar bei jenen Genen gefunden, die für das Low-density-lipoprotein-receptor-related protein 5 (LRP5-Gen) oder das Osteoprotegerin (TNFRSF11B-Gen) kodieren. Diese beiden Proteine spielen eine wichtige Rolle im Knochenstoffwechsel. LRP5 ist beispielsweise Teil eines membranständigen Osteoblasten-Rezeptors und dort an der Signaltransduktion beteiligt, die die Knochenbildung stimuliert. Ein Aminosäureaustausch an Position 1330 des LRP5-Gens geht mit einer reduzierten Knochendichte und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Knochenbrüche einher.

Genanalyse ermöglicht zielgerichtete Therapie

Auch das TNFRSF11B-Genprodukt Osteoprotegerin besitzt direkte Auswirkungen auf die Knochendichte. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Decoy-Rezeptor (engl. Lockvogel-Rezeptor), der die Knochenresorption durch die Osteoklasten reguliert, indem er eigentlich aktivierende Liganden bindet ohne jedoch ein Signal in die Zelle weiterzuleiten. Ein Nukleotid-Austausch im TNFRSF11B-Gen verringert die Osteoprotegerin-Expression, wodurch weniger Liganden "abgefangen" werden und sich die Osteoklastenaktivität erhöht. Dies führt dazu, dass Menschen mit diesem Gen-Polymorphismus eine erhöhte Osteoporose-Prädisposition aufweisen. Der zugrundeliegende Mechanismus erscheint auch für eine pharmakologische Intervention interessant, beispielsweise mithilfe des monoklonalen Antikörpers Denosumab, der die Wirkung von Osteoprotegerin imitiert und so den postmenopausalen Knochenschwund verringert. Entsprechende klinische Studien laufen bereits. Ein therapeutischer Erfolg könnte bedeuten, dass Patienten die einen TNFRSF11B-Polymorphismus aufweisen ganz zielgerichtet mit Arzneistoffen behandelt werden können, die Osteoprotegerin entweder ersetzen oder dessen Plasmaspiegel über andere Mechanismen erhöhen.

Single-Nucleotide-Polymorphismen

Unter einem SNP (Single-Nucleotid-Polymorphismus) versteht man Variationen einzelner Basenpaare in einem DNA-Strang. Über das gesamte menschliche Genom gemittelt tritt ca. alle 500 Basenpaare ein SNP auf, insgesamt also mehrere Millionen. SNPs sind damit eine der häufigsten genetischen Varianten. Im Allgemeinen werden SNPs auch als "erfolgreiche" Punktmutationen bezeichnet, d. h. als genetische Veränderungen, die sich zu einem gewissen Grad im Genpool einer Population manifestiert haben. Da SNPs relativ gut bestimmt werden können, werden sie beispielsweise auch bei der Suche nach Chromosomenabschnitten mit Einfluss auf die Ausprägung eines bestimmten Merkmals genutzt.

Weitere genetische Einflussfaktoren möglich

Insgesamt sind die Veränderungen der Knochendichte, die sich durch den LRP5- sowie den TNFRSF11B-Polymorphismus erklären lassen jedoch relativ gering (< 1% der Gesamtabweichung). Dieser an sich geringe Unterschied liegt aber durchaus in dem Bereich, der auch bei der Untersuchung von Polymorphismen zu anderen genetisch-determinierten Eigenschaften gefunden wurde. Das bedeutet allerdings zugleich, dass vermutlich noch zahlreiche weitere bisher unentdeckte Single Nucleotide Polymorphismen existieren, die die Knochendichte beeinflussen. Es ist indes bemerkenswert, dass das Risiko osteoporotischer Frakturen bei Patienten, die beide Risiko-Allele in sich tragen, unabhängig von der vergleichsweise geringen Veränderung der Knochendichte, um etwa 30% erhöht war. Insgesamt besaßen 22% der 8557 untersuchten Patientinnen homo- oder heterozygote Erbanlagen für beide Risikoallele.

Einfluss weiterer genetischer Faktoren noch unklar

Wenngleich genom-weite Assoziationsstudien viele Informationen liefern, stoßen sie immer wieder an ihre Grenzen. So ist die Wissenschaft gerade erst dabei, effiziente Methoden zur Untersuchung von Gen-Gen- sowie Gen-Umwelt-Interaktionen zu etablieren. Solche Interaktionen führen zur gegenseitigen Beeinflussung und können sowohl einen additiven als auch einen hemmenden Effekt haben. Dies könnte kontroverse Ergebnisse in genetischen Studien erklären, da meist nur einzelne Kandidatengene untersucht werden, ohne die Varianten anderer funktionell eng verknüpfter Gene zu berücksichtigen. Auch werden seltene Genvariationen mit teilweise signifikanten Auswirkungen im Rahmen solcher Assoziationsstudien häufig nicht erkannt. Ein erhöhtes Osteoporoserisiko bzw. die Vererbung der Knochendichte wird jedoch vermutlich auch von diesen Interaktionen und Variationen beeinflusst.

Genomweite Assoziationsstudien

Bei genomweiten Assoziationsstudien werden derzeit etwa 500.000 bis 1.000.000 genetische Marker bei Personen mit und ohne eine bestimmte Erkrankung typisiert. Das Ziel ist es dabei, genetische Varianten (z. B. SNPs) zu entdecken, die mit der betreffenden Erkrankung assoziiert sind. Bei genomweiten Assoziationsstudien werden über das Genom verteilte SNPs in einem Patienten- und Kontrollkollektiv ermittelt und ihre Häufigkeit (Allelfrequenz) durch statistische Verfahren verglichen. Eine unterschiedliche Allelfrequenz in beiden Populationen weist auf eine Assoziation der genetischen Variante mit der entsprechenden Erkrankung hin. Um falsch-positive Assoziationen, z. B. durch systematische Fehler bei der Auswahl der Probanden, durch zufällige Besonderheiten in der Zusammensetzung der untersuchten Populationen oder durch Genotypisierungsfehler zu vermeiden, ist es notwendig, die Ergebnisse solcher Assoziationsstudien in verschiedenen unabhängigen Populationen zu bestätigen.

Erster wichtiger Schritt auf einem langen Weg

Ein weiterer Faktor, der die Aussagekraft der vorliegenden Untersuchungen limitiert, ist die Tatsache, dass die untersuchten Probandinnen allesamt weiße Europäerinnen waren. Die Auswirkungen von Single-Nucleotide-Polymorphismen in den Genen LRP5 und TNFRSF11B auf Männer und Menschen nicht-europäischer Abstammung muss daher erst noch untersucht werden. Ingesamt zeigt die Studie daher auch, dass die Erforschung der genetisch-bedingten Osteoporose noch weitgehend am Anfang steht. Dennoch ist die vorliegende genom-weite Assoziationsstudie ein erster wichtiger Schritt auf dem langen Weg zu einem profunden Verständnis der genetischen Grundlagen der Osteoporose.

 

Quelle

Richards, J.B.; et al.: Bone mineral desitiy, osteoporosis, and osteoporotic fractures: a genome-wide association study. Lancet 2008; 371: 1505 – 12.

 


Apotheker Dr. Andreas Ziegler

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