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50 Jahre Apothekerverband Nordrhein: Arzneimittel schreiben die Erfolgsstory d

DÜSSELDORF (bra) "Arzneimittel und nichts anderes werden die Erfolgsstory der Medizin schreiben, gerade auch in der Postgenom-Ära" - so Prof. Dr. Theo Dingermann, der Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, in einem fulminanten Vortrag zum 50-jährigen Jubiläum des Apothekerverbandes Nordrhein. Unter dem Motto "Mit Engagement und Kompetenz in die Zukunft" feierte der AV-Nordrhein sein Jubiläum am 16. Mai in Neuss (siehe auch AZ Nr. 21, S. 1).

Dingermann beleuchtete in seinem gefeierten Vortrag - mit einem besonderen Blick auf die Apotheker - die neuen Herausforderungen an den faszinierenden Fortschritten der Genetik und insbesondere aus daraus ergeben werden, dass seit kurzem das menschliche Genom, sein Erbgut mit ca. 3 Milliarden Buchstaben entschlüsselt ist.

Dingermann: "Nachdem schon seit Jahren die Genome unzähliger Viren mit einer durchschnittlichen Kodierungskapazität von einer Seite à 3000 Buchstaben bekannt waren, nachdem in den letzten Jahren mehr und mehr bakterielle Genome mit einer Kodierungskapazität eines ganzen Buches à 1000 Seiten à 3000 Buchstaben entschlüsselt wurden, liegt nun der Bauplan des Menschen vor, der einer klassischen Bibliothek mit mehr als 1000 Bänden à 1000 Seiten à 3000 Buchstaben (also 3 Milliarden Buchstaben) entspricht." Ganze Heerscharen molekularer Exegeten, so Dingermann, werden sich in den kommenden Jahren darauf stürzen, die versteckten Botschaften in dieser genetischen Bibliothek zu entschlüsseln.

Dabei wird man den Blick zunächst vor allem auf die Teile des Genoms richten, in denen die Baupläne für die Produktion der Proteine enthalten sind. Knapp 40 000 Gene als Instruktoren reichen offensichtlich aus, um das Baumaterial für einen Menschen zu beschreiben - erstaunlich wenig und nur etwa doppelt so viel wie für den Wurm Cenerabditis elegans und kaum mehr als dreimal so viel wie für die Fliege Drosophila melanogaster. "Aber vielleicht überrascht Sie das ja gar nicht" - so Dingermann.

Den Genen als den Instruktoren für das Leben, mit ihren Bauanleitungen für die Proteine, stehen die Proteine als die Exekutoren, die ausführenden Werkzeuge gegenüber. Diese arbeiten "mit großer Präzision und faszinierender" Anmut als molekulare Maschinen - sie spalten und verknüpfen, funken und empfangen, löchern und dichten ab, leiten und isolieren. Wenn man ihre Form und Funktion kenne, könne man gezielte, rationale Strategien entwerfen, um diese Apparate an- oder auszuschalten, zu verlangsamen oder zu beschleunigen oder gar umzufunktionieren. Dingermann: "Die Stoffe, die an den Knöpfen und Hebeln der Proteinmaschinen drehen, sind Arzneimittel."

Entwicklungsschub für neue Arzneimittel

Die Ergebnisse der Genomforschung werden zu einem Schub bei der Entwicklung neuartiger, noch gezielter einsetzbarer Arzneimittel führen - mit verbesserter Wirksamkeit und weniger Risiken. So kann man in Kenntniss der Genome verschiedener Bakterien die Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Wenn man dann noch durch Vergleich mit dem menschlichen Genom darauf achtet, Wirkstoffe zu finden, die auf Gene zielen, die zwar gemeinsam bei den Bakterien, aber so nicht beim Menschen vorkommen - dann hat man ideale Targets für die Suche nach Wirkstoffen, die antibiotisch wirken können, ohne dem Menschen zu schaden. Doch nicht nur bei der Suche nach Antibiotika, sondern ganz generell wird man bei der Suche nach wirksamen und zugleich verträglichen Arzneimitteln genetische Faktoren künftig verstärkt berücksichtigen können, weil jetzt die dafür nötigen Instrumente verfügbar sind.

Auch der Blick auf die genetische Konstitution des einzelnen Menschen wird zukünftig bei der Vorbeugung und Krankheitsbekämpfung eine immer wichtigere Rolle spielen. Wir wissen z. B., dass der Zustand von Onkogenen und Tumorsupressor-Genen das Auftreten eines Tumors erklärt. Auch andere Krankheiten haben - ererbt oder verschuldet oder unverschuldet erworben - ein genetisches Korrelat.

Mutationen und Polymorphismen

Genetische Veränderungen durch Mutation können Krankheiten hervorrufen, die man unmittelbar erkennen kann. Von solchen Mutationen sind Polymorphismen zu unterscheiden, die oft subtiler sind, indem sie nur einen einzigen Buchstaben im Genom betreffen (SNP = single nucleotide polymorphism). Sie können gleichwohl für die Wirkung und Nebenwirkung eines Arzneimittels auf einen bestimmten Menschen außerordentlich wichtig sein. Wenn wir bei einer Vielzahl von Wirkstoffen sehen, dass sie von verschiedenen Menschen unterschiedlich schnell, ganz oder praktisch nicht metabolisiert werden, ist dies genetisch bedingt.

Bei den intermediären Metabolisierern gibt es einen SNP auf einem der beiden Chromosomen, findet sich der Defekt auf beiden Chromosomen, läuft nichts mehr. Die Defekte lassen sich heute diagnostizieren - und dadurch lassen sich Nebenwirkungen und Probleme bei der Behandlung vorhersehen und vermeiden. Bald schon wird dies auch routinemäßig möglich sein. Das wird die Therapie z. B. mit Antiarrhythmika, mit Betablocker, Antidepressiva und Neuroleptika verbessern - weil wir frühzeitig feststellen können, bei welchen Patienten Probleme auftreten können. Responder und Non-Responder lassen sich im Voraus gezielter ermitteln.

Über das Phänomen der Polymorphismen kann man auch genetische Zustände diagnostizieren, die als Vorstufen einer Krankheit anzusehen sind. Neben dem genetischen Status "gesund" und "krank" kann man so auch den Status "gefährdet" ausmachen - der dann in eine Erkrankung umschlägt, wenn eine bestimmte andere Mutation hinzukommt.

Dass dies alles andere als eine akademische Spielerei ist, macht Dingermann am Beispiel des Brustkrebsgens BCRA deutlich. Die Mutation dieses Gens auf einem Chromosom zeigt eine Gefährdung - manchmal ist sie als Erbrisiko schon von Geburt an vorhanden. Kommt eine bestimmte Mutation auf dem homologen Chromosom hinzu, erkranken die Betroffenen. Dingermann: "Die Diagnostik der Postgenom-Ära beschränkt sich also nicht ausschließlich auf den Nachweis von Krankheiten, sondern immer auch den Nachweis von Krankheitsrisiken." Dies ist Chance (Aussicht auf frühzeitige Behandlung und Heilung) und Risiko zugleich (unangemessene Reaktion auf die Gefahr zu erkranken und Missbrauch der Informationen über das Erkrankungsrisiko, z. B. durch Versicherungen); vor Letzterem muss schnell ein wirksamener Schutz für die Patienten geschaffen werden.

Arzneimittel korrigieren Fehlfunktionen

Alle Krankheiten haben, so Dingermann, ein genetisches Korrelat; es manifestiert sich in nicht mehr richtig funktionsfähigen Biomolekülen, deren Fehlfunktionen kaum anders als durch andere Moleküle - durch Arzneimittel - korrigiert oder ersetzt werden können. Deshalb, so Dingermann, werden "Arzneimittel und nichts anderes die Erfolgsstory der Medizin schreiben, gerade auch in der Postgenom-Ära". Bekannte Krankheiten wird man besser behandeln können. Weitere Krankheiten, bei denen man bisher machtlos war, werden therapierbar werden. Und auch in der Vorbeugung werden wir durch die Genomforschung neue Optionen in die Hand bekommen.

In der Arzneimitteltherapie bricht durch die Genomforschung eine neue Ära an - ein "right drug, right dose, right patient"-Konzept wird realisierbar. Dass man trotz der sich abzeichnenden, neuartigen Erfolge der Arzneitherapie die Arzneimittel oft immer noch als Preistreiber unseres Gesundheitswesens ansieht, ist - so Dingermann - gelinde gesagt verwunderlich. Der Verzicht auf Apotheken, Ketten oder gar das Internet sollten die Retter unseres Gesundheitswesens sein? Das sei ein verhängnisvoller Irrtum. Weil alles im Gesundheitswesen immer komplizierter und abstrakter werde, brauchen wir, so Dingermann, "dringender denn je den Arzneimittelfachmann, die Apothekerin und den Apotheker, auch als Mittler zwischen Fortschritt und Angst". Die Genomforschung als Herausforderung für das Gesundheitswesen sei auch eine Herausforderung für den Berufstand und eine intellektuelle Herausforderung für jeden einzelnen Apotheker - und für manchen vielleicht auch eine Überforderung. Ohne "Life long learning" wird es nicht gehen - so Dingermann, der seinen Vortrag mit einem "Vivat Pharmacia" schloss.

Kastentext: Literaturtipp

Gentechnik Gentechnik Biotechnik. Lehrbuch und Kompendium für Studium und Praxis. Von Theodor Dingermann unter Mitarbeit von Ilse Zündorf. Wissenschafliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 1999. 632 S., 505 Abb., 53 Tab., Preis: 168,- DM. Zu beziehen über die Buchhandlung des Deutschen Apotheker Verlags, Postfach 10 10 61, 70008 Stuttgart, Tel. (07 11) 25 82-3 41, Fax (07 11) 25 82-2 90, E-Mail: Service@Deutscher-Apotheker-Verlag.de

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