Berliner Modell zur patientenindividuellen Verblisterung

Gut 10 Prozent weniger Verwurf und Kosten

Berlin - 23.02.2011, 15:02 Uhr


Seit Mitte 2009 läuft in Berlin ein Modellprojekt zum Einsatz verblisterter Arzneimittel in der stationären Versorgung in Pflegeeinrichtungen – Vertragspartner sind die AOK Nordost (zu Projektbeginn noch AOK Berlin) und die Kohl-Tochter 7x4 Pharma. Heute präsentierten sie erste Zwischenergebnisse des Projektes.

21 Berliner Pflegeeinrichtungen, rund 600 AOK-versicherte Heimbewohner und 14 Apotheken nehmen derzeit an der Modellversorgung mit industriellen Wochenblistern teil. Die Apotheke erfasst und prüft dabei die ärztlichen Verordnungen, verwaltet die Daten und bestellt die Blister bei 7x4 – die Kohl-Tochter aus dem Saarland wird dabei als Lohnhersteller für die Apotheker tätig. Da die Apotheke mit der Kasse tablettengenau abrechnet, fällt auch ihre übliche Honorierung pro Packung weg. Statt dessen bekommt die Apotheke pro Blister und Patient pauschal zwei Euro – eine Vergütung, die in einem Rahmenvertrag zwischen der AOK und dem Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) ausgehandelt wurde.

Harald Möhlmann, Geschäftsführer Versorgungsmanagement bei der AOK Nordost, erläuterte die Motivation der AOK, dieses Projekt zu starten: Das sind zum einen die hohen Arzneimittelausgaben, zum anderen der Umstand, dass die Therapietreue oft gerade bei jenen Patienten wackelt, für die sie besonders bedeutend ist – also Chronikern und Multimorbiden. Ob die Arzneimittelausgabe über Wochenblister hier hilfreich sein kann, wird in Deutschland seit einiger Zeit kontrovers und theoretisch diskutiert. Die AOK wollte den Einsatz der industriell gefertigten Wochenblister daher konkret erproben und zugleich wissenschaftlich evaluieren. Bewusst habe man sich dabei für ein stationäres Projekt entschieden, sagte Möhlmann. Auch wenn man im ambulanten Bereich größere Effekte erwarte – eine überschaubare Anzahl von Heimen ist jedoch besser kontrollierbar.

Jörg Geller, Vize-Vorstandsvorsitzender Kohl Medical AG sieht die großen Chancen für industriell angefertigte Wochenblister ebenfalls im ambulanten Bereich liegen. Doch auch er wollte letztlich wissen, ob im stationären Bereich ebenfalls positive Auswirkungen feststellbar sind – also in einem Setting, in dem die Arzneimittelgabe schon relativ gut eingespielt ist. Schließlich verläuft das manuelle Stellen von Arzneimitteln ebenfalls nicht immer fehlerfrei. Zudem ist der Verwurf in Heimen oft hoch, die Lagerhaltung und -kontrolle aufwendig und das Personal könnte an anderen Stellen auch gut gebraucht werden.  

Nun gibt es also erste Zwischenergebnisse aus Berlin. Sie betreffen die Einschätzung des Projekts durch das Pflegepersonal sowie Einsparungen durch die tablettengenaue Gabe und Abrechnung. Noch nicht ausgewertet sind dagegen etwa die Auswirkungen auf die Compliance. Wie Prof. Dr. Jens Leker von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster ausführte, zeigten sich die befragten Pflegerinnen und Pfleger weitgehend zufrieden mit dem Projekt. Rund 60 Prozent stimmten deutlich der Aussage zu, die Verblisterung von Medikamenten für chronisch Kranke sei sinnvoll. Fast ebenso viele vertraten die Ansicht, der Zeitaufwand für die Medikamentenstellung sinke hierdurch. Nicht mehr ganz so deutlich fiel das Stimmungsbild bei der Frage aus, ob das Pflegepersonal durch die Verblisterung entlastet werde. Aber immerhin rund die Hälfte der Befragten stimmte hier noch klar zu.

Was die Menge der Tabletten betrifft, so wurden nach einer laut Leker „konservativen Berechnung“ 10,3 Prozent eingespart. Die tablettengenaue Abrechnung führte zu Einsparungen von fast 20.000 Euro und damit 10,6 Prozent. Aus Lekers Sicht, sind das durchaus signifikante Größen, die ihn selbst überraschten. Er hätte in Heimen mit geringeren Effekten gerechnet.  

Voraussichtlich im Mai wollen AOK und 7x4 weitere Ergebnisse des Projektes vorstellen. Wenn es weiter gut läuft, kann sich Möhlmann vorstellen, weitere Pflegeeinrichtungen einzubinden. Längerfristig könnte das Modell auch auf die ambulante Versorgung ausgedehnt werden. Bis dahin ist allerdings noch vieles zu klären – auch die Rahmenbedingungen sind noch zu optimieren. Was den Kassen die Leistung der Apotheken letztlich wert ist und ob die derzeit gezahlten zwei Euro eine realistische Summe sind, will Möhlmann jetzt noch nicht mit Bestimmtheit sagen: „Über Geld können wir nicht reden, bevor wir nicht wissen, welchen Mehrwert wir schaffen“. Sehe man erhebliche Einsparungen, werde man über Anreize nachdenken können.


Kirsten Sucker-Sket