Arzneimittel und Therapie

Im Windschatten der Pandemie

Wie die Influenza-Saison 2021/22 verläuft

Der Grippe wird derzeit medial wenig Aufmerksamkeit geschenkt; dies ist zum einen der überbordenden COVID-19-Pandemie geschuldet und liegt zum anderen an der aktuell geringen Zahl an Influenza-Erkrankungen. Wie sich die derzeitige Entwicklung darstellt, welche Viren für aktuelle Infektionen verantwortlich sind und welche Impfstoffe zur Verfügung stehen, haben wir für Sie zusammengefasst.

Bereits in der letzten Grippesaison 2020/21 war in Deutschland – wie auch in anderen europäischen Staaten – keine Grippewelle zu beobachten. Über die gesamte Saison blieb die gemeldete Influenza-Aktivität auf einem niedrigen Niveau. Dies scheint sich auch in der Saison 2021/22 zu wiederholen. In der dritten Januarwoche 2022 wurden bislang 239 labordiagnostisch bestätigte Influenzavirus-Infektionen an das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt (Meldedaten nach dem Infektionsschutzgesetz). Die Influenza-Aktivität in Deutschland ist nach einem Anstieg bis zur ersten Kalenderwoche 2022 in der zweiten und dritten Kalenderwoche wieder zurückgegangen. Die Zahl für das vergangene Vierteljahr (seit der 40. Monats­woche 2021) liegt bei insgesamt 1255 labordiagnostisch bestätigten und an das RKI weitergeleiteten Influenza-Fällen. Diese Zahlen sprechen für keine Grippewelle. Betrachtet man das Erregerspektrum akuter Atemwegserkrankungen, so sind Influenza-Viren in der Minderzahl (s. Abb. 1).

Abb. 1: Anteil nachgewiesener Influenza-Erkrankungen an akuten Atemwegserkrankungen innerhalb der Wintermonate 2021/2022. (Quelle: RKI) hMPV [humane Metapneumoviren]; hCoV [humane saisonale Coronaviren]; RSV [respiratorische Synzytialviren]; PIV [Parainfluenza-Viren]

Ein Blick über die Grenzen

Auch auf europäischer Ebene ist in der ersten Kalenderwoche 2022 die Influenza-Positiv-Rate im Vergleich zur Vorwoche wieder zurückgegangen. ­Allerdings wird in einigen europäischen Ländern über einen Anstieg der Influenza-Aktivität berichtet, so etwa in Armenien, Belarus, Serbien und Frankreich. In der ersten Kalenderwoche wurden ausschließlich Infektionen mit Influenza-A-Viren nachgewiesen, zum überwiegenden Teil (96%) Influenza-A(H3N2)-Viren und zum geringeren Teil (4%) Influenza-A(H1N1)-pdm09-Viren. Der Trend der vergangenen Monate und Wochen scheint sich somit fortzusetzen. So wurden in der Saison 2021/22 großteils (98%) Influenza-A-Viren detektiert. Von den subtypisierten B-Viren gehörten alle der Victoria-Linie an.

Ein ähnliches Bild, also eine Dominanz von Influenza-A(H3N2)-Viren, zeigt sich weltweit. In der gemäßigten Zone der nördlichen Hemisphäre sind es hauptsächlich Influenza-A(H3N2)-­Viren, in China Influenza-B-Viren der Victoria-Linie. Im tropischen Südamerika wurde ebenfalls eine vermehrte Zirkulation von Influenza-A(H3N2)-Viren verzeichnet. In der gemäßigten Zone der südlichen Hemisphäre wurde über eine weiterhin niedrige Influenza-Aktivität berichtet. Eine Ausnahme bildeten die Länder in der gemäßigten Zone Südamerikas mit steigenden Nachweisen von Influenza-A(H3N2)-­Viren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO weist darauf hin, dass die ­Ergebnisse der globalen Influenza-Überwachung mit Einschränkungen zu interpretieren sind, da die COVID-19-Pandemie in vielen Ländern die Influenza-Überwachungssysteme beeinflusst. Eine gemeinsame Verbreitung von Influenza und SARS-CoV-2 ist nicht auszuschließen. Die einzelnen Länder sollten auf ein solches Szenarium vorbereitet sein.

Woher kommen in Deutschland die Daten zum Infektionsgeschehen?

  • Von der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI); diese erstellt einen Überblick zur epidemiologischen Situation akuter Atemwegserkrankungen. Ihr Ziel ist die zeitnahe ganzjährige Überwachung und Berichterstattung über akute Atemwegserkrankungen (speziell der ­Influenza und der jeweils zirkulierenden Influenza-Viren). Die erforderlichen Daten stammen von Meldungen primärversorgender Ärzte („syndromische Surveillance“). Die Untersuchung der Atemwegsproben („virologische Surveillance“) wird vom Nationalen Referenzzentrum für Influenza-Viren (NRZ) unterstützt, das dem RKI angegliedert ist. Die Ergebnisse werden täglich aktualisiert. Ferner erstellt das RKI eine wöchent­liche Berichterstattung zur aktuellen Lage. Zudem kooperiert die AGI mit verschiedenen Bundesländern, die Daten eigener Systeme zur Verfügung stellen.
  • Von GrippeWeb; mit dem Projekt GrippeWeb hat das RKI eine weitere Lücke in der Influenza-Überwachung geschlossen, da in der AGI akute Atemwegserkrankungen erst registriert werden, wenn diese zu einem Arztbesuch führen. GrippeWeb ist eine wöchentliche Onlinebefragung der Bevölkerung zu akuten Atemwegserkrankungen, an der sich jede in Deutschland lebende Person ab 14 Jahren beteiligen kann.

Pandemie dezimiert Virusvarianten

Weltweit wurden in der Grippesaison 2021/22 keine (eventuell drei von rund 27.000) positiven Influenza-Proben vom Typ B-Yamagata nachgewiesen. Wie lange dies der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Auch die B-Victoria-Linie konnte während der 1990er-Jahre global zumeist nicht mehr nachgewiesen werden (außer bei einem Ausbruch in Asien), dominierte jedoch wieder in den frühen 2000er-Jahren. Aktuell hat sich die genetische Diversität der Influenza-Viren vermindert. Auffallend ist hierbei die Assoziation zwischen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie und dem Rückgang an Infektionen mit B-Yamagata (s. Abb. 2). Als Ursachen des Variantensterbens bei der Grippe werden die weltweiten Infektionsschutzmaßnahmen und Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie vermutet.

 

Abb. 2: Abnahme der Virusvarianten während der COVID-19-Pandemie. [Quelle: Koutsakos M et al. Nat Rev Microbiol 2021]
 

Wer sollte sich impfen lassen?

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Influenza-Impfung (Stand: 6. Oktober 2021)

  • für alle Personen ab 60 Jahren
  • für alle Schwangeren ab dem 2. Trimenon, bei erhöhter gesundheit­licher Gefährdung infolge eines Grundleidens ab dem 1. Trimenon
  • für Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens
  • für Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen sowie für
  • Personen, die als mögliche Infektionsquelle im selben Haushalt lebende oder von ihnen betreute ­Risikopersonen (siehe oben) gefährden können.

Geimpft werden sollten im Rahmen eines erhöhten beruflichen Risikos außerdem

  • Personen mit erhöhter Gefährdung (z. B. medizinisches Personal)
  • Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr
  • Personen, die als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute Risikopersonen fungieren können.

Folgende Neuerungen sind zu vermerken: Menschen ab 60 Jahren sollte die jährliche Influenza-Impfung im Herbst mit einem inaktivierten tetravalenten Hochdosis-Impfstoff (mit jeweils aktueller von der WHO empfohlener Antigenkombination) geraten werden. Die Influenza-Impfung kann simultan, d. h. gleichzeitig mit einer COVID-19-(Booster-)Impfung verabreicht werden. Die Injektion soll jeweils an unterschiedlichen Gliedmaßen erfolgen.

Saisonale Grippeimpfstoffe 2021/2022

Der Influenza-Impfstoff für die Saison 2021/2022 setzt sich gemäß der Empfehlungen der WHO und des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) aus den Anti­genen weltweit zirkulierender Varianten bestimmter Viren zusammen. Die Stammzusammensetzung für 2021/2022 weicht von der für die Saison 2020/2021 ab.

Eingesetzt werden:

Hühnerei-basierte Impfstoffe

  • A/Victoria/2570/2019 (H1N1) pdmo9-ähnlicher Stamm (neue Impfstoffvariante)
  • A/Cambodia/e0826360/2020 (H3N2)-ähnlicher Stamm (neue Impfstoffvariante)
  • B/Washington/02/2019 (B/Victoria-Linie)-ähnlicher Stamm
  • B/Phuket/3073/2013-ähnlicher Stamm (B/Yamagata-Linie) – entfällt bei trivalenten Impfstoffen

Zellkultur-basierte Impfstoffeoderrekombinante Grippeimpfstoffe

  • A/Wisconsin/588/2019 (H1N1)pdm09-ähnlicher Stamm
  • A/Cambodia/e0826360/2020 (H3N2)-ähnlicher Stamm
  • B/Washington/02/2019 (B/Victoria-Linie)-ähnlicher Stamm
  • B/Phuket/3073/2013-ähnlicher Stamm (B/Yamagata-Linie) – entfällt bei trivalenten Impfstoffen

Erstmalig unterschied die WHO für die vergangene Grippesaison bei der Impfstoffzusammensetzung, ob diese ei- oder zellkulturbasiert beziehungsweise rekombinant hergestellt werden. Als zellkulturbasierte Vakzine ist Seqirus mit Flucelvax® Tetra am Markt, die erste rekombinante Vakzine (s. Tab. 1).

 

Tab. 1: Impfstoffe mit Stammanpassung für 2021/2022 (nach PEI)
Name
Unternehmen
Impfstofftyp
Zugelassen
Applikationsart
Afluria Tetra®
Seqirus GmbH
Influenza-Spaltimpfstoff (Virusimpfstoff, inaktiviert)
ab 18 Jahren
i.m.
Influvac Tetra®
Mylan Healthcare GmbH
Influenza-Untereinheiten-Impfstoff aus Oberflächenantigen (Virusimpfstoff, inaktiviert)
ab sechs Monaten
i.m. tief s.c.
Xanaflu Tetra®
Mylan Healthcare GmbH
Influenza-Untereinheiten-Impfstoff aus Oberflächenantigen (Virusimpfstoff, inaktiviert)
ab sechs Monaten
i.m., tief s.c.
Influsplit Tetra®
GSK
Influenza-Spaltimpfstoff (Virusimpfstoff, inaktiviert)
ab sechs Monaten
i.m.
Vaxigrip®
Sanofi-Aventis
Influenza-Spaltimpfstoff (Virusimpfstoff, inaktiviert)
ab sechs Monaten
i.m., s.c.
Flucelvax Tetra®
Seqirus GmbH
Influenza-Untereinheiten-Impfstoff aus Oberflächenantigen (Virusimpfstoff aus Zellkulturen, inaktiviert, frei von Hühnereiweiß)
ab zwei Jahren
i.m.
Fluad Tetra®
Seqirus GmbH
Influenza-Untereinheiten-Impfstoff aus Oberflächenantigen (Virusimpfstoff, inaktiviert, adjuvantiert)
ab 65 Jahren
i.m.
Fluenz Tetra®
AstraZeneca
Influenza-Impfstoff (Virusimpfstoff, lebend-attenuiert)
ab einem Lebensalter von zwei Jahren bis zum vollendeten 18. Lebensjahr
nasal
Efluelda®
Sanofi-Aventis
Influenza-Spaltimpfstoff (Virusimpfstoff, inaktiviert, 60 Mikrogramm Hämagglutinin A/Stamm); Hoch­dosis-Impfstoff
ab 60 Jahren
i.m., s.c.

Wie wirksam ist die Impfung?

In aktuellen Publikationen wird auf Mutationen des am weitest verbreiteten Grippestamms A(H3N2) hingewiesen, sodass die derzeitigen Grippeimpfstoffe nicht mehr optimal wirken. Dies kann folgenden Hintergrund haben: Während der Vorbereitung der Saatviren auf die spätere kommerzielle Massenvermehrung in Hühnereiern kommt es zu Mutationen. Als Folge kann die Antigenität der auf den Markt kommenden Impfstoffe so stark von derjenigen der ursprünglichen Saat- und der zirkulierenden Wildviren abweichen, dass die Schutzwirkung des Impfstoffes verringert ist, wie Untersuchungen für den Subtyp A(H3N2) zeigten. Die Impfantigene passen dann nicht mehr vollständig zu den zirkulierenden Virusvarianten (mismatch). Dennoch kann die Impfung, gepaart mit bestehender Restimmunität, Verlauf und Komplikationen einer Infektion abmildern.

 

Tab. 2: Grippeimpfstoffe in der Entwicklung (Auswahl)
Unternehmen/Forschungsinstitut (Land)
Bezeichnung
Impfstofftyp
Status
Moderna (USA)
mRNA-1010
mRNA-Impfstoff, quadrivalent (A H1N1, A H3N2, B Yamagata, B Victoria)
Phase II
Sanofi Pasteur und Translate Bio (Frankreich/USA)
MRT5400 und MRT5401
mRNA-Impfstoff, monovalent (Hämagglutinin von A/H3N2), mit Lipidnanopartikeln; zwei verschiedene Formulierungen
Phase I
Pfizer (in Zusammenarbeit mit Biontech) (USA)
BNT161
Impfstoff mit self-amplifying mRNA; zunächst monovalent, später multivalent
Phase I in den USA
Arcturus (USA)
LUNAR-FLU
Impfstoff mit mRNA in Lipid-enabled and Unlocked Nucleomonomer Agent
vorklinische Entwicklung
CureVac (Deutschland)/GSK (UK)
CV7301
mRNA-Impfstoff der zweiten Generation
vorklinische Entwicklung
CureVac/Bill & Melinda Gates Foundation
Universeller Grippeimpfstoff (k. A.)
mRNA
Forschungsphase

Entwicklung neuer Impfstoffe

Bei der Entwicklung neuer Grippe­impfstoffe bedient man sich der mRNA-Technologie (s. Tab. 2). mRNA-basierte Grippeimpfstoffe befinden sich derzeit in Forschungsphasen, in der vorklinischen Entwicklung und in Phase-I- und Phase-II-Studien. Der Vierfach-Influenza-Impfstoff mRNA-1010 von Moderna wird bereits in Phase II geprüft.

Ersten Ergebnissen zufolge bildeten die in der Phase-I-Studie geimpften Teilnehmer Antikörper gegen die vier wichtigsten humanpathogenen Grippevirusstämme A(H1N1), A (H3N2), B-Victoria und B-Yamagata. Als Antigene setzt Moderna bei seiner innovativen Influenza-Vakzine auf Häm­agglutinin – beziehungsweise die mRNAs – der vier von der WHO empfohlenen Grippevirusstämme (s. DAZ.online-Meldung vom 13. Dezember 2021, „Erfolgreiche Phase-I beim mRNA-Grippeimpfstoff“). |

Literatur

Influenza Update N° 411. Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO, Stand 24. Januar 2022

Buda S et al. ARE-Wochenbericht. Kalenderwoche 3 (17. Januar bis 23. Januar 2022)https://influenza.rki.de/Wochenberichte/2021_2022/2022-03.pdf, Aufruf am 28. Januar 2022

Influenza updates, Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO, www.who.int/teams/global-influenza-programme/surveillance-and-monitoring/influenza-updates, Abruf am 26. Januar 2022

Koutsakos M et al. Influenza lineage extinction during the COVID-19 pandemic?. Nat Rev Microbiol 2021;19:741–742, doi:10.1038/s41579-021-00642-4

FluNet. Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO, www.who.int/tools/flunet Abruf am 26. Januar 2022

Weekly influenza overview. Informationen des European Centre for Disease Prevention and Control and WHO Regional Office for Europe, https://flunewseurope.org, Abruf am 26. Januar 2022

mRNA-Impfstoffe für Schutzimpfungen. Informationen der forschenden Pharmaunternehmen vfa, www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/coronavirus/rna-basierte-impfstoffe-in-entwicklung-und-versorgung, Stand 24. Januar 2022

Kang M et al. Subtype H3N2 Influenza A Viruses: An Unmet Challenge in the Western Pacific. Vaccines. 2022;10(1):112. doi: 10.3390/vaccines10010112

Marcus J. Bolton et al. Antigenic and virological properties of an H3N2 variant that will likely dominate the 2021-2022 Northern Hemisphere influenza season. doi: 10.1101/2021.12.15.21267857 (Preprint auf medRxiv).

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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