Therapien im Gespräch

Gefahr erkannt, UAW verbannt

Bei Risiken und Nebenwirkungen kann die Apotheke helfen

msw | Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) können so schwer sein, dass sie eine Vorstellung in der Notaufnahme und die Hospitalisierungen von Patienten zur Folge haben. Sie werden für etwa 5 bis 10% der Krankenhausaufnahmen verantwortlich gemacht. Einige von ihnen sind vermeidbar, z. B. wenn sie aus einem unbeabsichtigten fehlerhaften Gebrauch des Arzneimittels resultieren. Die Apotheke spielt eine wich­tige Rolle dabei, das Bewusstsein für arzneimittelbedingte Beschwerden zu schärfen und so die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern.

Testosteron: Versehentliche Hormonübertragung

Zweijährige mit auffälligem Körpergeruch, Schambehaarung, vergrößerten Genitalien und Akne? Das ist nicht normal – kann aber trotzdem vorkommen, wenn Kinder über einen längeren Zeitraum Hautkontakt mit einer Person haben, die Testosteron-Externa anwendet. Auch bei Frauen wurde bereits vor 35 Jahren ein Zusammenhang zwischen Androgenisierungserscheinungen wie Hirsutismus und einer topischen Testosteron-Behandlung des Partners beschrieben. Die transdermale Applikation von Testosteron ist effizient: Während bei der oralen Einnahme aufgrund des hohen First-Pass-Effektes von Testosteron hohe Dosierungen und häufige Einnahmefrequenzen erforderlich sind, werden bei der Aufnahme über die Haut bereits nach der ersten Applikation Testosteron-Serumspiegel im Normbereich erreicht, die bei einmal täglicher Anwendung keine Schwankungen aufweisen. Ein Wermutstropfen sind allerdings die Gefahren für andere Personen durch Hautkontakt. Doch die versehentliche Hormonübertragung lässt sich durch geeignete Vorsichtsmaßnahmen verhindern oder zumindest minimieren. Wichtig ist es, die Anwendungsstellen mit Kleidung vollständig zu bedecken. Als eine der wichtigsten Maßnahmen gilt zudem das sofortige Händewaschen mit Wasser und Seife nach der Applikation, wobei die Verwendung eines separaten Handtuchs empfehlenswert ist. Wenn eine andere Person, zum Beispiel die Partnerin oder eine Pflegekraft, das Gel aufträgt, sollte sie bei der Anwendung unbedingt Einweghandschuhe (außer bei Applikatorsystemen) tragen, die alkoholbeständig sind, da in den Präparaten Ethanol, Propylenglykol und/oder Isopropanol enthalten sind. Vor einem voraussichtlichen engen Körperkontakt mit einer anderen Person, z. B. mit Kindern oder dem Partner, sollte die Applikationsstelle gründlich mit Wasser und Seife gereinigt werden. Zum Schutz des Sexualpartners vor einer versehentlichen Testosteron-Übertragung findet sich in der Fachinformation von Tostran® sogar die Empfehlung, erst vier Stunden nach der Testosteron-Applikation Geschlechtsverkehr zu haben, die Applikationsstellen während des engen Körperkontaktes mit Kleidung bedeckt zu halten oder vorher zu duschen oder zu baden. Bei Nicht­beachtung der Vorsichtsmaßnahmen und Hautkontakt mit Kindern können gravierende Veränderungen im kindlichen Körper mit zum Teil irreversiblen Folgen stattfinden. (DAZ 38, S. 40)

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Eine sekundäre Exposition mit Testosteron-Gel nach längerem Hautkontakt mit einem Anwender kann bei Kindern zu gesundheitlichen Schäden führen.

Arzneimittel-induzierte Diarrhö

Mehr als 700 Arzneimittel können als unerwünschte Arzneimittelwirkung eine Diarrhö auslösen. Zu den häufigsten Arzneimittel-induzierten Durchfällen zählt die Antibiotika-assoziierte Diarrhö (AAD), die bei 5 bis 25% der Patienten während oder nach einer Therapie meist mit einem Breitspek­trum-Antibiotikum (z. B. Ampicillin, Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure, Cefuroxim, Cefixim, Cefpodoxim, Clindamycin) auftritt. Um sie zu verhindern, können parallel zum Antibiotikum präventiv Saccharomyces-boulardii-Präparate eingesetzt werden.Auch kurativ können sie zur An­wendung kommen. Sollten die Anti­biotika-assoziierten Durchfälle jedoch längere Zeit fortbestehen, ist eine Stuhl­dia­gnostik auf Clostridium difficile empfehlenswert.

Bei Chemotherapie-induzierten Diarrhöen ist eine generelle medikamen­töse Prophylaxe nicht empfehlenswert. Patienten sollten aber auf die mögliche Nebenwirkung hingewiesen werden und wissen, wie sie sich gegebenenfalls verhalten sollen. Immunkompetente Patienten können präventiv Synbiotika-Kombinationen aus Pro- und Präbiotika einnehmen. Unkomplizierte Durchfälle werden mit Loperamid behandelt, wobei die Dosierung bei Chemotherapie-induzierter Diarrhö mit initial 4 mg und anschließend 2 mg alle zwei bis vier Stunden deutlich höher ist als in der Packungsbeilage angegeben. Grundlegend ist zudem der Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushalts mit oralen Rehydratations­lösungen. Bei schweren Diarrhöen wird Loperamid mit Octreotid (Off-Label-Use) kombiniert. Bei einer therapie­refraktären Diarrhö wird zusätzlich zu hochdosiertem Loperamid und oraler Rehydratation Octreotid, Codein, Budesonid, Racecadotril, orale Aminoglycoside oder Tinctura opii gegeben.

Auch einige Psychopharmaka, z. B. Lithium, Carbamazepin und selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) wie Citalopram oder Fluoxetin, können Diarrhöen verursachen. Bei Letzteren handelt es sich oft um dosisabhängige UAW, die beispielsweise erst bei Aufdosierung des SSRI auf­treten. Patienten, die unter selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren schwere Durchfälle entwickeln, sollten keinesfalls selbstständig die Medikation absetzen. Vielmehr ist eine vorübergehende symptomatische Therapie mit Elektrolytlösungen und Loperamid angezeigt, bis vom Facharzt eine Anpassung der antidepres­siven Therapie durchgeführt wird.

Dosisabhängig ist häufig auch der durch die Einnahme von Metformin ausgelöste Durchfall. Aus diesem Grund sollte bei Neuverschreibung des Antidiabetikums mit einer niedrigen Dosis (500 bis 850 mg Metformin, zwei- bis dreimal täglich) gestartet und diese frühestens nach zehn Tagen gesteigert werden. Um die gastrointestinale Verträglichkeit zu verbessern, sollte Metformin während oder nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Wird ein Patient auf ein anderes Metformin-Generikum umgestellt, kann es erneut zu Durchfällen kommen. Eine symptomatische antidiarrhoische Therapie ist hier wenig zielführend. Oftmals sichert ein Wechsel auf das bisherige Generikum die Adhärenz bei der Metformin-Therapie und be­seitigt wirksam die unerwünschte Arzneimittelwirkung. (DAZ 45, S. 34)

Wenn sich alles dreht

Arzneimittel-induzierter Schwindel kann auftreten, wenn Arzneistoffe den Blutkreislauf, die Sauerstoff- und/oder die Nährstoffversorgung, die Sinnes­organe oder das Nervensystem beeinflussen. Klassische Beispiele sind Betablocker, Arzneimittel gegen Morbus Parkinson oder Epilepsie. Aber auch Schmerzmittel können Schwindel auslösen (siehe Kasten „Mögliche Auslöser für Schwindel“). Handelt es sich nachweislich um einen Arzneimittel-induzierten Schwindel, sollte die Möglichkeit eines Präparatewechsels in Betracht gezogen werden. Arzneimittel der gleichen Wirkstoffgruppe, aber mit einem veränderten Nebenwirkungsprofil, können eine geeignete Alter­native darstellen.

Mögliche Auslöser für Schwindel

ZNS und Bewegungs­apparat

  • Antiepileptika
  • Analgetika
  • Tranquilizer
  • Muskelrelaxanzien
  • Hypnotika
  • Antiemetika
  • Antidepressiva
  • Anticholinergika
  • Dopamin-Agonisten
  • Antiphlogistika
  • Lokalanästhetika

Nieren und Blase

  • Diuretika
  • Spasmolytika

Infektionen

  • Antibiotika
  • Tuberkulostatika
  • Antimykotika
  • Anthelminthika

Herz-Kreislauf-System

  • Betablocker
  • Antihypertonika
  • Vasodilatatoren, Vasokonstriktoren

sonstige

  • Antiallergika
  • Röntgenkontrastmittel
  • Prostaglandine

Auch ototoxisch wirkende Arzneimittel wie Aminoglykosid-Antibiotika, Platin-haltige Chemotherapeutika, Schleifendiuretika, Salicylate und andere nicht­steroidale Antiphlogistika (NSAID) sowie Chinin beeinflussen den Hör- oder Gleichgewichtssinn im Innenohr und können Schwindel auslösen. Besondere Vorsicht ist bei einer Multimedikation geboten, denn Arzneimittel mit ototoxischen und schwindelauslösenden Nebenwirkungen können sich gegenseitig verstärken. Eine eingeschränkte Nierenfunktion kann zu erhöhten Blutspiegeln bestimmter Arzneistoffe führen und deren Ototoxizität verstärken. Um Hör- und Gleichgewichtsstörungen vorzubeugen, ist bei einer Therapie mit ototoxischen Arzneimitteln das frühzeitige Erkennen möglicher Nebenwirkungen wichtig. Deshalb sollten auch in der Apotheke Symptome wie verminderte Hörwahrnehmung, Schwindel und Gangunsicherheit regelmäßig erfragt werden. Treten erste Symptome auf, die auf eine Schädigung hindeuten, sollte das verursachende Arzneimittel möglichst zügig abgesetzt oder die Dosis reduziert werden. (DAZ 48, S. 44)

Nebenwirkung Haarausfall

Von den circa 100.000 Haaren, die ein Erwachsener auf dem Kopf hat, verliert er täglich etwa 50 bis 100 Stück. Bei einer Alopecia medicamentosa kommt es aufgrund von Medikamenten zu einem vermehrten Haarausfall. Laut Definition tritt er etwa drei bis sechs Monate nach der Einnahme auf und ist in der Regel reversibel.

Sowohl klassische Zytostatika als auch zielgerichtete Wirkstoffe können zu vermehrtem Haarausfall (Alopezie) und Veränderungen der Haarstruktur führen – und dies bereits innerhalb weniger Tage nach Behandlungsbeginn. Scalp Cooling kann helfen, eine Zytostatika-induzierte Alopezie zu verringern. Bei dem Verfahren wird die Kopfhaut während der Infusion sowie bis zu zwei Stunden danach auf etwa 15 °C abgekühlt. Durch die kältebedingte Vasokonstriktion erreicht weniger Wirkstoff die Haarfollikel als ohne Kühlhaube. Zudem wird die Stoffwechselaktivität der Haarfollikelzellen reduziert.

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Eine antimitotische Aktivität wird auch Heparinen zu­geschrieben, bei denen ebenfalls Alopezien beobachtet wurden. Ein Review aus dem Jahr 2016 enthält Fallberichte über das Auftreten von Haarverlust unter Heparin, niedermolekularen Heparinen (Dalteparin, Tinzaparin, Enoxaparin) und Warfarin. Auch für die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban gibt es in der Pharmakovigilanz-Datenbank VigiBaseTM der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Berichte über vermehrten Haarverlust. In den Fachinformationen der DOAK-Präparate ist Alopezie als Nebenwirkung allerdings nicht enthalten. Problematisch für die Zuordnung eines Haarverlusts zu den Antikoagulanzien ist die lange Zeitspanne zwischen der ersten Anwendung und dem Auftreten der Nebenwirkung.

Unter den Blutdrucksenkern stechen vor allem zwei Wirkstoffe ins Auge, bei denen laut Fachinformation häufig ein vermehrter Haarausfall als Nebenwirkung auftritt: der ACE-Hemmer Captopril sowie der Betablocker Propranolol. Bei den anderen Ver­tretern dieser Wirkstoffgruppen ist die Häufigkeit nur sehr selten bis gelegentlich. Ein Wechsel auf einen anderen Wirkstoff kann hier also gegebenenfalls Abhilfe schaffen.

Bei den Antipsychotika weist Valproinsäure das höchste Risiko von schwerem Haarverlust auf, wobei laut einem Review des Instituts für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie e. V. (AMSP) weibliche Patienten signifikant häufiger betroffen sind als männliche. Die Nebenwirkung scheint zudem dosisabhängig zu sein.

Bei Statinen tritt Haarverlust gelegentlich bis selten auf. Es gibt jedoch Fallberichte (n ≤ 20), die eine erfolgreiche Behandlung von Patienten mit therapieresistenter Alopecia areata mit einer Kombination aus Simvastatin und Ezetimib beschreiben. Die Anregung des Haarwachstums bei Patienten mit Alopezie führen die Autoren auf die immunmodulatorischen Eigenschaften der Statine zurück. Auch bei Retinoiden sind Fälle beschrieben, in denen eine Anregung des Haarwuchses möglich war. (DAZ 17, S. 40)

Photoallergische oder phototoxische Hautreaktionen

Die Liste der Wirkstoffe, die auf der Haut phototoxische oder photoallergische Reaktionen hervorrufen können, ist lang. Dennoch gibt es nur wenige Arzneimittel, bei denen diese Nebenwirkungen häufig oder sehr häufig beobachtet werden. Die Evidenz für lichtbedingte Nebenwirkungen ist gering. Laut Fachinformation treten lichtbedingte Hautreaktionen sehr häufig bei Amiodaron, Doxycyclin, Vandetanib und Vemurafenib auf, häufig bei Minocyclin und Imatinib. Obwohl lichtbedingte Hautreaktionen bei Einnahme von Hydrochlorothiazid laut Fachinformation nur gelegentlich auftreten, informierte ein Rote-Hand-Brief 2018 über zwei Studien aus Dänemark, die die einen kumulativen dosisabhängigen Zusammenhang zwischen Hydrochlorothiazid und der Entwicklung der beiden Hautkrebsformen Basalzellkarzinom (Basaliom) und Plattenepithelkarzinom (Spinaliom) nahelegen. Man vermutet, dass bei ihrer Entstehung die phototoxische Wirkung von HCT eine Rolle spielen könnte. Die phototoxische Wirkung von Johanniskraut-Präparaten beim Menschen wird in der Praxis häufig überschätzt. Die in Form von Tabletten oder Tee eingenommenen Mengen von Hypericin sind gewöhnlich zu gering, um Photodermatosen, wie sie bei hellhäutigen Weidetieren nach dem Fressen großer Mengen Johanniskraut beobachtet wurden, hervorzurufen.

Präventiv sollten Patienten, die Arzneistoffe einnehmen, bei denen ein phototoxisches oder photoallergisches Potenzial bekannt ist, die Exposition der Haut gegenüber Sonnenlicht und UV-Strahlen einschränken oder, wenn dies nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz verwenden. Dazu zählt:

  • die Anwendung von Sonnenschutzmitteln mit Schutz vor UV-A- und UV-B-Strahlung,
  • das Vermeiden von Sonnenexposition in der Zeit von 11 bis 15 Uhr,
  • das Tragen von hautbedeckender Klei­dung und gegebenenfalls einer Kopfbedeckung beim Aufenthalt in der Sonne,
  • der Verzicht auf Solariumbesuche,
  • falls relevant, das Bekleben von Fensterscheiben mit UV-undurch­lässigen Folien,
  • wenn möglich, die Einnahme des potenziell phototoxischen Medikaments auf den Abend verlegen.

Ist eine Lichtreaktion aufgetreten, können die betroffenen Hautpartien mit Cortison-haltigen Dermatika behandelt werden. Die beste Lösung wäre das Absetzen des Medikaments, sofern eine gut verträgliche Alternative zur Verfügung steht. (DAZ 21, S. 46) |

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