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Was plant der Gesetzgeber?

Unter der Lupe: Gesetzentwurf zur Stärkung der Heil-und Hilfsmittelversorgung

Das Bundesgesundheitsministerium sieht Nachbesserungsbedarf im Heil- und Hilfsmittelbereich. Unter anderem hat es erkannt, dass es im durch Verträge zwischen Kassen und Leistungserbringern geregelten Hilfsmittelbereich zu Qualitätsdefiziten kommt. Nun will Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) Konsequenzen ziehen. Ende Juni hat sein Haus den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) vorgelegt. Die betroffenen Verbände – auch die ABDA – haben bereits Stellung genommen. Doch was genau ist im Hilfsmittelbereich geplant? Und wo entzündet sich Kritik?

Bereits mit dem Patientenrechteschutzgesetz hat der Gesetzgeber auf aktuelle Missstände in der Patientenversorgung reagiert und per Gesetz Kostenträger verpflichtet, in fest vorgegebenen Fristen Anträge der Versicherten zu bearbeiten. Mit dem HHVG greift das Ministerium erneut Defizite in der Versorgung auf – diesmal geht es um Heil- und Hilfsmittel. Anders als beim Patientenrechteschutzgesetz werden nicht nur Kostenträger, sondern alle am Versorgungsprozess Beteiligten in die Pflicht genommen – dazu zählen auch die Leistungserbringer.

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Höhere Mathematik Die Heil- und Hilfsmittelversorgung ist hochkom­plex und bereitet derzeit in vielen Punkten Probleme. Ein Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung soll Abhilfe schaffen. Kritiker des Gesetzentwurfs bezweifeln dies.

In Bezug auf Hilfsmittel behandelt der Gesetzentwurf sechs Punkte, die nachfolgend genauer beleuchtet werden:

Präqualifizierungsverfahren

Seit der Einführung des Präqualifizierungsverfahrens 2011 ist der GKV-Spitzenverband zuständig für die Ernennung der Präqualifizierungsstellen. Er kann die Akkreditierung gegebenenfalls auch entziehen. Für die Präqualifizierung von Apotheken ist bislang etwa die „Agentur für Präqualifizierung“ – eine der ABDA nahestehende Organisation – zuständig. Nach üblichen Anlaufschwierigkeiten, vor allem bei Interpretationsfragen, lief das Verfahren über den GKV-Spitzenverband seit geraumer Zeit ohne Probleme. Dass einige der Präqualifizierungsstellen bestimmten Leistungserbringerverbänden oder auch Kostenträgerverbänden nahestanden war bekannt und wurde auch nie verheimlicht.

Doch Gröhe will ein neues System: Künftig soll die (bereits bestehende) „Deutsche Akkreditierungsstelle“ (DAkkS) die Präqualifizierungsstellen begutachten, bestätigen und überwachen. Der GKV-Spitzenverband soll dadurch entlastet werden. Im Gesetzentwurf ist als weitere Neuerung vorgesehen, dass der Nachweis der Leistungserbringer für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen nur durch Vorlage eines Zertifikates einer geeigneten, unabhängigen Stelle (Präqualifizierungsstelle), die ein Akkreditierungsverfahren durchlaufen hat, geführt werden kann.

Welche Auswirkungen es hat, dass die Präqualifizierungsstelle unabhängig sein muss, wird in der Gesetzesbegründung bemerkenswert deutlich dargestellt: Hier geht man davon aus, dass verschiedene Präqualifizierungsstellen ihre Tätigkeit werden einstellen müssen! Dass somit Mitarbeiter möglicherweise arbeitslos werden, nimmt das Ministerium in Kauf.

Möglicherweise unterstellt man, dass die Verflechtung von Präqualifizierungsstellen mit Leistungserbringerverbänden einen Einfluss auf die Prüfung von Anträgen hatte. Wie die DAkkS „unabhängig“ definieren wird, ist nun abzuwarten. Unklar ist, was mit Anträgen geschehen soll, die bei einer Präqualifizierungsstelle, die ihre Arbeit einstellen muss, in der Bearbeitung sind. Es wird spannend sein, zu beobachten, wie betroffene Stellen damit umgehen werden. Interessanterweise war in Stellungnahmen von Leistungserbringerseite zu lesen, dass dann auch eine Verflechtung zwischen Kassenverbänden und Präqualifizierungsstellen unterbunden werden müsse. Dies zielt auf die PQS, die dem Verband der Ersatzkassen sehr nahesteht.

Die ABDA sieht die Pläne natürlich kritisch. In ihrer Stellungnahme führt sie aus, dass durch die Zertifizierung durch die DAkkS kein „Mehr an Neu­tralität“ entstehe. Zudem fordert sie, dass Nachweise, die bereits zur Erlangung der Betriebserlaubnis erbracht worden sind, nicht mehr erneut vorgelegt werden müssen.

Neu ist auch, dass Präqualifizierungsstellen mindestens alle fünf Jahre ein Akkreditierungsverfahren durchlaufen und sich in der Zwischenzeit regelmäßigen Überwachungsaudits unterziehen müssen. Jeder Apotheker, der schon einmal die Anforderungen für die DIN ISO 9001 erfüllen musste, weiß, welcher Aufwand und welche Kosten sich dahinter verbergen. Hier wird der finanzielle Aufwand für die Präqualifizierungsstellen sehr hoch werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kosten auf die Gebühren umgelegt werden.

Ausschreibungen von Hilfsmitteln

Als Folge der Ausschreibungen von Hilfsmitteln haben verschiedene Seiten eine schlechte Versorgung der Versicherten beklagt. Grund sei, dass bei Ausschreibungen nur auf den Preis geachtet werde und dass es nur einen exklusiven Vertragspartner gäbe. Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, ist daher aktiv geworden.

Der Gesetzentwurf bleibt zwar beim Prinzip der Ausschreibungen. Er sieht aber zwei regulierende Anpassungen vor: Bei Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1 SGB V soll zukünftig nicht mehr der Preis das alleinige Zuschlagskriterium sein. Mit mindestens 40 Prozent sind Kriterien, die nicht den Preis oder die Kosten betreffen, wie zum Beispiel die Qualität, der technische Wert oder die Qualifikation zu bewerten. Außerdem können Kostenträger bei Ausschreibungen von Hilfsmitteln vom Prinzip der Exklusivität abweichen. Das bedeutet, dass der Versicherte möglicherweise auch bei Ausschreibungen nicht nur einen Vertragspartner hat, sondern zwischen mehreren Versorgern – und damit auch unterschiedlichen Produkten – auswählen kann. Dass die Vertrags-Preise bei diesem Wegfall der Exklusivität ansteigen werden, wird laut Gesetzesbegründung ganz bewusst in Kauf genommen.

Wenn laut Entwurf bei Ausschreibungen in der Endwertung auch noch andere Kriterien als der Preis – nämlich das Produkt – eine Rolle spielen, ist zu fragen, wie man in der Praxis vonseiten der Kostenträger bestimmte Produkte bewertet. Es ist nicht auszuschließen, dass Bieter bei Ausschreibungen nicht Vertragspartner werden, weil ihr angebotenes Produkt von der Kasse als weniger gut bewertet wird als das des beziehungsweise der Ausschreibungsgewinner(s). Ob das von unterlegenen Bietern anstandslos akzeptiert werden wird, ist fraglich. Bisher war es so, dass erst nachdem alle Kriterien – auch die der Qualität – erfüllt waren, der Angebotspreis gewertet wurde. Bei dieser Anpassung wird außerdem außer Acht gelassen, dass auch bei Ausschreibungen immer noch die Hilfsmittelrichtlinie gilt! Konkret bedeutet das, dass der Verordner entweder ein ganz konkretes Produkt (mit entsprechender Begründung) oder die Produktart verordnen kann. In den Verdingungsunterlagen für Ausschreibungen wird darauf auch immer Wert gelegt. Theoretisch dürfte kein Unterschied in der Versorgungsqualität bei Verträgen nach SGB V § 127 Abs. 1 (Ausschreibungen) oder Abs. 2 (Beitrittsverträgen) bestehen. Leider sieht die Praxis anders aus: Der Ausschreibungsgewinner kauft sehr günstig große Stückzahlen eines bestimmten Produktes ein und liefert das an die Patienten. Auf die konkrete Verordnung wird dabei oft wenig geachtet. Und wenn, ist dies häufig mit einer mehr oder weniger hohen Aufzahlung verbunden. Die Option, mehrere Vertragspartner bei Ausschreibungen zu haben, würde aufgrund des Verlustes der Exklusivität, steigende Preise zur Folge haben. Auch wenn sie damit sicherlich kein Gehör findet: Die ABDA fordert in ihrer Stellungnahme, die Möglichkeit von Ausschreibungen für Hilfsmittel aus dem SGB V zu streichen.

Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses

Ein weiterer Kritikpunkt an der bisherigen Hilfsmittelversorgung ist, dass die Anforderungen an die Qualität der im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Produkte und der mit ihnen verbundenen Dienstleistungen oft nicht mehr aktuell sind. Daher ist jetzt vorgesehen, dass der GKV-Spitzenverband bis zum 1. Januar 2019 sämtliche Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses, die seit dem 30. Juni 2015 nicht mehr grundlegend aktualisiert wurden, einer systematischen Prüfung zu unterziehen und im erforderlichen Umfang fortzuschreiben hat. Außerdem wird er verpflichtet, bis zum 1. Januar 2018 eine Verfahrensordnung zu beschließen, in der das Nähere zum Verfahren zur Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis und zur Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses geregelt wird. Dies hätte auch Streichungen von Produkten zur Folge. Tatsächlich bedarf das Hilfsmittelverzeichnis dringend einer Überarbeitung. Zum einen sind zahlreiche gelistete Produkte überhaupt nicht mehr im Handel. Zum anderen sind Produkte zwar in ein- und derselben Produktgruppe gelistet, weisen aber starke Unterschiede in der Qualität (Hautfreundlichkeit, Saugfähigkeit, etc.) auf. Neu ist auch, dass Produkte indikationsabhängig in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden können.

Die ABDA bemerkt hierzu, dass es für den Versorger nicht nachvollziehbar ist, für welche Indikation ein Produkt aufgenommen ist. Welche Konsequenz hätte es, wenn der Verordner ein zwar gelistetes Hilfsmittel verordnet, das aber nicht zu der Diagnose des Versicherten passt? Bei einem Kostenvoranschlagsverfahren könnte der Kostenträger den Antrag ablehnen. Aber was geschieht bei einer genehmigungsfreien Abrechnung? Dass der Kostenträger sich dann an den Verordner wendet, ist illusorisch.

Aufzahlungen zu Hilfsmitteln

Ferner sollen Versicherte durch bessere Information vor ungerechtfertigten Mehrkosten geschützt werden. Zahl­reiche Beschwerden haben das Thema „Aufzahlungen“, gerade im Bereich von Inkontinenzartikeln, in die Öffentlichkeit gebracht. Nun sollen Leistungserbringer verpflichtet werden, im Rahmen der Abrechnung mit den Krankenkassen auch die Höhe der mit den Versicherten vereinbarten Mehrkosten anzugeben. Mit dieser Vorgabe wird zwar Licht in das Dunkel gebracht, allerdings bedeutet das Mehraufwand für die Versorger. Unklar ist auch, wie die ABDA anmerkt, wo auf der Verordnung die Höhe der Aufzahlung dokumentiert werden soll.

Informationen zu Vertragsinhalten

Generell sollen die Beratungs- und Informationsrechte der Versicherten gestärkt werden. Die Krankenkassen werden verpflichtet, sie über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und die wesentlichen Inhalte der Verträge zu informieren. Die Leistungserbringer haben die Versicherten zu beraten, welche Hilfsmittel und zusätzlichen Sachleistungen innerhalb des Sachleistungssystems für sie geeignet und medizinisch notwendig sind. Die Beratung ist schriftlich zu dokumentieren und durch den Versicherten zu bestätigen.

Bisher wurden die Vertragsinhalte nur auf Nachfrage mitgeteilt. Nun sollen alle Versicherten – also auch die, die aktuell keine Hilfsmittel benötigen – über wesentliche Inhalte informiert werden. Wie und wann dies geschehen soll, ist unklar. Zu beachten ist auch, dass die Zahl der Vertragspartner sehr hoch sein kann. Ferner kommt es während der Vertragslaufzeit immer wieder zu Neu-Beitritten und Kündigungen. Wie damit eine aktuelle Information gewährleistet werden kann, ist unklar. Die Dokumentation der Beratung ist teilweise in Verträgen schon verbindlich geregelt, jetzt aber verpflichtend. Der Aufwand für Leistungserbringer nimmt dabei zu.

Die Überwachung von Verträgen

Die Krankenkassen werden überdies verpflichtet, bei Verträgen zur Hilfsmittelversorgung die Einhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Pflichten durch die Leistungserbringer zu überwachen. Dazu führen sie Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durch. Parallel müssen die Leistungserbringer den Krankenkassen die für die Prüfungen erforderlichen Informationen und Auskünfte erteilen. Der GKV-Spitzenverband wird verpflichtet, Empfehlungen zur Ausgestaltung der Überwachung zu geben.

Es ist bezeichnend, dass ein Gesetz nötig ist, damit Kostenträger die von ihnen geschlossenen Verträge überwachen. Bisher wurde üblicherweise nur dann geprüft, wenn sich Beschwerden der Versicherten häuften. Die Verpflichtung der Leistungserbringer zur Unterstützung wird zu einem starken Mehraufwand führen. Die Kostenträgerseite hat hierzu angemerkt, dass der Austausch der Ergebnisse der Prüfung kassenübergreifend möglich sein soll, um gezielter prüfen zu können und bessere Ergebnisse zu erzielen.

Fazit

Der Entwurf zeigt, dass die Probleme in der Hilfsmittelversorgung beim Gesetzgeber bekannt sind. Ein zeitnahes Intervenieren der Kostenträger im Sinne einer Optimierung der Patientenversorgung hätte aber manche gesetzliche Anpassung überflüssig gemacht. Das Problem der Preisdumping-Monatspauschalen von 20 Euro und weniger für Hilfsmittel zur saugenden Inkontinenz wurde überhaupt nicht angegangen. Inwieweit die Änderungen tatsächlich zu einer Verbesserung führen – oder nur zu mehr Konflikten –, bleibt abzuwarten. Gerade die Gefährdung der Existenz von Präqualifizierungstellen birgt Zündstoff. Sicher ist, dass für Leistungserbringer noch mehr Arbeit im Sinne von Dokumentation hinzukommt. |


Autor: Thomas Platz schult vor Ort in Apotheken zu allen Punkten rund um das Thema Hilfsmittel wie beispielsweise Vertragsinhalte, Abrechnungsfehler oder Retaxationen. Davor war er in der Vertragsabteilung für Hilfsmittel bei der AOK Hessen, Leiter des Kassenvertrags­wesens bei Heinen und Löwenstein sowie Hilfs­mittel-Referent beim Hessischen Apotheker­verband. E-Mail: apothekenschulung@mail.de, Tel.: (01 63) 6 34 44 27

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