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Schlechte Übersetzungen

Ein Gastkommentar von G. Schulze

Gerhard Schulze, geb. 1944, ist Professor für Soziologie an der Universität Bamberg. Seine Arbeiten untersuchen den kulturellen Wandel der Gegenwart.

Vor einiger Zeit kaufte ich mir den Roman Bluebeard von Kurt Vonnegut. Es geht darin um den amerikanischen Expressionismus, verkörpert durch Maler wie Jackson Pollock oder Marc Rothko. Der Roman ist darüber hinaus ein Porträt jenes Amerika, das unser aller Respekt verdient: Als Zufluchtsort, als Hort der Freiheit, als freundliche Schutzmacht, die unter großen Opfern den Faschismus in Europa besiegen half und dem Westteil unseres Landes die Sowjetherrschaft ersparte. Ich sage das ganz bewusst auch unter dem Eindruck jener „Enthüllungen“, die ausgerechnet im amerikanischen Geheimdienst NSA eines der Grundübel dieser Welt ausgemacht haben wollen.

Nicht viele Bücher sind Jahrhundertromane, Bluebeard schon. Vor lauter Begeisterung bestellte ich noch ein Exemplar zum Weiterverschenken, aber mein Buchhändler sagte, die englische Fassung sei gerade nicht lieferbar. Er hätte die deutsche Ausgabe da, ob ich die vielleicht nehmen wolle. Es stünde ja dasselbe drin und wäre für jemand, der nicht so gut Englisch könne, leichter verständlich.

Also kaufte ich die deutsche Übersetzung und verglich sie mit dem englischen Original. Was für ein Machwerk! Voller sinnentstellender Hinzufügungen und falscher Zwischentöne, es war schier nicht auszuhalten. Wer nur den deutschen Text liest, dem bleiben der Witz, die Raffinesse und das hohe Niveau des Originals vollkommen verschlossen. Andererseits hat mein Buchhändler schon recht: der Inhalt ist der gleiche.

So ähnlich sehe ich das Problem der Substitutionspraxis im Zeitalter von Rabattverträgen, windigen Generikaherstellern, fragwürdigen Importarzneimitteln und Arzneimittelfälschungen. Die gesetzlichen Krankenkassen haben das alleinige Ziel, jedem Kunden die billigste Übersetzung anzudrehen, die sich auf dem globalen Markt nur finden lässt. Die Behauptung, es sei ja dasselbe drin, ist ein Hohn, etwa für bestimmte Langzeitpatienten, für Medikamente mit enger therapeutischer Breite und für bestimmte Darreichungsformen wie etwa Retard-Tabletten. Selbst bei hundertprozentiger Wirkstoffgleichheit, falls es die überhaupt geben sollte, kann das Substitut vom Original abweichen und nicht nur das: auch die Substitute können sich so voneinander unterscheiden, dass die Patienten das merken und sich darüber beklagen.

Verantwortungsbewusste Kenner der Materie warnen schon lange vor einer ausschließlich monetär orientierten Substitution. Ausdruck dessen ist DPhG-Leitlinie „Gute Substitutionspraxis“ aus dem Jahr 2003, doch damals lebten wir im Vergleich zu heute noch im pharmazeutischen Schlaraffenland. Im Zeitalter der Rabattverträge jedoch werden an Patienten mal Originalpräparate, dann wieder Generika abgegeben, und sobald die Kassen neue Rabattverträge mit anderen Herstellern abschließen, wird wieder substituiert. Die Risiken sind bekannt und werden von den Kassenvertretern systematisch klein geredet. Der einzige Schutz davor war bisher die Streichung der Aut-idem-Möglichkeit durch den Arzt und die Formulierung pharmazeutischer Bedenken durch den Apotheker, was für beide Gesundheitsberufe mehr Bürokratie sowie die Gefahr von Regressansprüchen mit sich brachte.

Apotheker informierten ihre Patienten mit Rücksicht auf Therapieerfolg und Therapietreue bisher nur zögernd über die Risiken der Substitution. Dann griff die Deutsche Schmerzliga den Fehdehandschuh auf und wandte sich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Dieser unterstützte die Forderung, alle Patienten mit chronischen Schmerzen von der Substitutionspflicht auszunehmen. Nun waren die Vertreter der Krankenkassen endlich gezwungen, sich mit der Realität der allenfalls wirkstoff-, aber oft nicht wirkungsgleichen Substitute auseinanderzusetzen.

Der DAV hat vor Kurzem eine Positivliste von Medikamenten vorgelegt, die künftig aus der Substitutionspflicht herausfallen sollen, doch die Kassen mauern, man kennt das ja. Eine Lösung wird es geben müssen, die Schiedsstelle ist bereits angerufen.

Es gibt einen Roman von Kurt Vonnegut, in dem ein Apotheker die Hauptrolle spielt. Der Roman heißt Deadeye Dick, die deutsche Fassung heißt Zielwasser, ebenfalls eine recht unglückliche Übersetzung. Mit Deadeye ist in Bezug auf die Romanhandlung der Meisterschütze gemeint. Der Zusatz Dick stellt die exzellente Fähigkeit wieder infrage und macht sich lustig darüber, so wie wenn man Börsenheini sagt oder Fachidiot. Die Fachkenntnis der Apotheker, mit der man so vieles erreichen könnte, gepaart mit ihrer ewigen Zurückhaltung, ist in der Figur des Apothekers Rudy Waltz ganz gut auf den Punkt gebracht: Er ist zwar ein perfekter Schütze, aber wenn er schießt, dann höchstens aus Versehen.

Gerhard Schulze

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