Kritischer Arzneimittelaustausch

Kassen und DAV sind gefordert

Berlin - 05.03.2013, 15:01 Uhr


Nicht jedes wirkstoffgleiche Arzneimittel kann bedenkenlos durch ein anderes substituiert werden. Das hat mittlerweile auch der Gesetzgeber erkannt – und den Vertragspartnern des Rahmenvertrag nach § 129 SGB V die Möglichkeit eingeräumt, Ausnahmen von der generellen Substitutionspflicht zu bestimmen. Die Deutsche Schmerzliga und die Deutsche Epilepsievereinigung appellieren nun an DAV und GKV-Spitzenverband, möglichst rasch eine Regelung zu finden.

Vor elf Jahren hat der Gesetzgeber die Aut-idem-Regelung eingeführt. Seitdem müssen Apotheken ein preisgünstiges Arzneimittel abgeben, wenn sie eine ärztliche Verordnung bedienen, in der der Austausch nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird. Mit der Scharfstellung der Rabattverträge im Jahr 2007 wurden die Apotheken in ihren Wahlmöglichkeiten allerdings deutlich eingeschränkt: Rabattvertrag hat Vorrang lautet seitdem die Devise.

Der Wechsel von einem wirkstoffgleichen Arzneimittel zum anderen kann jedoch für bestimmte Patienten gefährlich werden und den Behandlungserfolg zunichtemachen. So gibt Arzneiformen, die eine höchst unterschiedliche Wirkdauer und -intensität aufweisen – trotz gleichem Wirkstoff und gleicher Erscheinung. Was bei einer akuten Behandlung kein Problem sein mag, kann für Chroniker, die – oft nach langem Ausprobieren – gut auf „ihr“ Arzneimittel eingestellt sind, verheerend sein. Die Deutsche Schmerzliga und die Deutsche Epilepsievereinigung kämpfen daher dafür, für ihre Patienten Ausnahmen zu schaffen. 500.000 Epilepsie-Patienten und 600.000 Menschen mit schwersten chronischen Schmerzen seien betroffen.

Dabei haben sie auch den Pharmazeuten Professor Dr. Henning Blume hinter sich stehen. Er sieht die Substitutionsregelungen seit Anbeginn kritisch. Schon 2002 hat die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) – mit ihm als Mitverfasser – die Leitlinie „Gute Substitutionspraxis“ (GSP) vorgelegt, die dazu beitragen sollte, die Arzneimittelsicherheit bei der Aut-idem-Substitution nicht zu gefährden und Patienteninteressen zu wahren. In der Leitlinie finden sich Arzneimittelgruppen und Darreichungsformen bei denen die Substitution kritisch sein kann. Derzeit werde diese in die Jahre gekommene Leitlinie überarbeitet, erklärte Blume.

Grundsätzlich haben Ärzte schon jetzt die Möglichkeit, einen Austausch auszuschließen – sie müssen nur das Aut-idem-Kreuz machen. Auch Apotheken können sich der Substitution entgegenstellen, wenn sie „pharmazeutische Bedenken“ haben und diese geltend machen. Doch aus Furcht vor Regress und Retaxation schrecken Ärzte wie Apotheker hiervor häufig zurück. Und so hat der Gesetzgeber im letzten Herbst mit der 16. AMG-Novelle eine Regelung eingeführt, nach der im Rahmenvertrag zwischen DAV und GKV-Spitzenverband vereinbart werden kann, in welchen Fällen Arzneimittel nicht nach den grundsätzlichen Vorgaben der Aut-idem-Substitution zu ersetzen sind.

Für den Präsidenten der Schmerzliga, Dr. Michael Überall, ist der Gesetzgeber damit nicht weit genug gegangen. Es handele sich nur um eine „Kann-Vorschrift“, die überdies den Schwarzen Peter, nämlich die Definition der Ausnahmen, an Krankenkassen und Apotheker weiter reiche. Der Vorsitzende der Deutschen Epilepsievereinigung, Norbert van Kampen, forderte GKV-Spitzenverband und DAV auf, eine einfache und rechtlich eindeutige Regelung zu schaffen, um Ärzten und Apothekern die Furcht vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regressen zu nehmen. Blume mahnte an, dabei die Bedürfnisse der Patienten berücksichtigen und bei den Beratungen externe Experten einzubeziehen. Er spricht sich auch dafür aus, besonders kritische Arzneimittelgruppen (z.B. Schilddrüsenhormone) und Indikationen (z. B. Epilepsie und chronische Schmerzen) gänzlich von der Substitutionspflicht auszunehmen. Sie beträfen eben nicht nur Einzelfälle, sondern alle Patienten. „In der Verantwortung für den Patienten muss Kompetenzgerangel hinten an stehen!“, forderte Blume.

Die Erwartungen an die Vertragspartner sind also groß. Wann eine Lösung präsentiert wird, ist noch offen. Ende Januar war bereits zu vernehmen, man sei auf einem guten Weg zueinander. Es hieß, die GSP der DPhG könne eine gute Grundlage für die Vertragsanpassung sein – jedenfalls in einer überarbeiteten Form. Derzeit ist nicht mehr zu erfahren, als dass DAV- und GKV-Vertreter weiterhin miteinander im Gespräch sind.


Kirsten Sucker-Sket