Feuilleton

Philipp Franz von Siebold (1796 – 1866) aus Würzburg

Der Würzburger Arzt und Japanforscher Philipp Franz von Siebold gehört zu den großen Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts. Wie der etwas ältere Alexander von Humboldt träumte er schon in seiner Jugend davon, eines Tages nach Übersee aufzubrechen, und genoss eine solide wissenschaftliche Ausbildung. Die Universität Würzburg, an der er studierte, besaß im frühen 19. Jahrhundert ein ausgeprägtes Profil auf dem Gebiet der Medizin und der sich entwickelnden Naturwissenschaften.
Carl Caspar von Siebold (1736 – 1807), der Begründer der Ärztedynastie. Quelle: Siebold-Museum

Eine Würzburger Ärztedynastie

Der familiäre Hintergrund Siebolds war eine nahezu ideale Voraussetzung für seinen Weg als Arzt und Forscher. Der Großvater Carl Caspar Siebold (1736 – 1807) war Oberwundarzt am Würzburger Juliusspital und zugleich Professor an der Universität. Der Wundarzt war damals kein akademischer, sondern ein handwerklicher Beruf. Carl Caspar von Siebold hatte aber auch Medizin studiert und hob mit seiner Professur das Ansehen der Chirurgie und der Geburtshilfe an der Universität, ja, er trug dazu bei, dass die eher provinziell geprägte Würzburger medizinische Fakultät ein Zentrum für wissenschaftliche Medizin in Süddeutschland wurde.

Vier Söhne Carl Caspars traten in seine Fußstapfen: Adam Elias (1775 – 1828) wurde 1805 Professor für Geburtshilfe in Würzburg und 1816 Leiter der geburtshilflichen Klinik an der Berliner Charité, von wo er den Ruhm der Familie im gesamten deutschsprachigen Raum verbreitete. Johann Barthel (1774 – 1814) wurde Professor für Anatomie und theoretische Chirurgie in Würzburg. Theodor Damian (1768 – 1828) praktizierte nach seiner Promotion in Göttingen als niedergelassener Arzt. Georg Christoph Siebold (1767 – 1798) wurde 1795 Professor der medizinischen Praxis und "Zweiter Arzt" am Würzburger Juliusspital; er war der Vater des berühmten Japan-Siebold. Es verwundert nicht, dass Würzburgs medizinische Fakultät um 1800 auch "Academia Sieboldtiana" hieß.


Philipp Franz von Siebold (1796 – 1866), aus japanischer Sicht (extrem lange Nase). Quelle: Siebold-Museum

Würzburg um 1800

1796, im Geburtsjahr von Philipp Franz Siebold, tobte der 1. Koalitionskrieg: Das revolutionäre Frankreich, das die Rheingrenze beanspruchte, kämpfte gegen Österreich und die süddeutschen Staaten, die die Monarchie in Frankreich wiederherstellen wollten. Die Franzosen marschierten mit drei Armeen in Richtung Wien, von denen die Sambre-Maas-Armee unter General Jourdan die Route über den Main beschritt und am 24. Juli Würzburg besetzte. Doch der äußerst talentierte österreichische Erzherzog Karl konnte den Vormarsch der Franzosen in der Oberpfalz stoppen, worauf diese sich in das stark befestigte Würzburg und auf die Marienburg zurückzogen. Mit etwa 44.000 Mann rückten die Österreicher zwischen dem 2. und 3. September 1796 gegen etwa 30.000 Soldaten der französischen Armee vor. Unter Ausnutzung aller taktischer Möglichkeiten gelang es Erzherzog Karl, die Franzosen zu schlagen, welche sich an den Rhein zurückzogen. Die Verluste auf beiden Seiten waren groß, ebenso die Zahl der Verwundeten. Es war eine Zeit, in der es noch kein Rotes Kreuz gab. Damit schlug die Stunde der Siebold-Ärzte.

Carl Caspar übernahm mit seinem Sohn Georg Christoph, der damals schon Professor in Würzburg war, die Betreuung der verwundeten Soldaten im Juliusspital und ließ auch seine Söhne Johann Barthel und Adam Elias, die damals noch in Jena Medizin studierten, zur Unterstützung zurückkommen. Er war der Ansicht, dass sie bei der akuten Versorgung der Soldaten mehr Erfahrung sammeln konnten als im Hörsaal der Universität. Somit waren vier Mitglieder der Familie vorübergehend wundärztlich tätig. Dass sie dabei sehr erfolgreich gewesen sein müssen, beweist die Tatsache, dass der Kaiser Carl Caspar fünf Jahre später in den erblichen Adelsstand erhob.

Mit dem Abzug der Franzosen im Spätsommer des Jahres 1796 brachen für Würzburg jedoch keineswegs ruhigere Zeiten an. Das Hochstift kam im Jahre 1802 unter die Herrschaft des bayerischen Kurfürsten Max IV. Joseph, der die geistlichen Besitztümer in Würzburg säkularisieren ließ. Nach einem Intermezzo als Residenzstadt des habsburgischen Großherzogs Ferdinand von Toskana zwischen 1806 und 1814 blieb es endgültig bei Bayern.

Schlacht bei Würzburg, 1796
Quelle: Siebold-Museum

Prägung im katholischen Pfarrhaus

Bevor Philipp Franz Siebold zwei Jahre alt war, starb sein Vater Georg Christoph an Tuberkulose. Dieser hatte sich ebenfalls einen guten Ruf als Arzt erworben und war maßgeblich an der Etablierung einer medizinischen Klinik beteiligt gewesen. Nun übernahm der Bruder der Mutter, der Pfarrer Dr. Franz Josef Lotz in Gänheim bei Schweinfurt, die Vormundschaft und Vaterrolle. Bei seinem Onkel verbrachte der junge Philipp Franz längere Aufenthalte und wurde auch von ihm unterrichtet. Lotz beschäftigte sich nicht nur mit klassischen Sprachen, Philosophie und Theologie, wie es sein Beruf erforderte, sondern auch mit den sogenannten Realien, worunter man "Sachkunde" mit Erd- und Naturkunde, Rechnen und allerlei angewandten Künsten verstand. So besaß Lotz auch Bücher über Feld- und Obstbau, Imkerei sowie Tierkrankheiten. Es sei hier die These vertreten, dass die Wissensvermittlung durch Pfarrer Dr. Lotz wesentlich dazu beitrug, dass aus Siebold ein Universalgelehrter wurde.

Siebold-Wappen mit dem Arm eines Wundarztes. Ausschnitt aus dem Adelsprädikat von 1801.
Quelle: Siebold-Museum

Als Lotz im Jahr 1808 in das etwa 5 km von Würzburg entfernte Heidingsfeld versetzt wurde, zog Philipp Franz dauerhaft zu ihm ins Pfarrhaus. Nach dem dreijährigen Besuch der Lateinschule wurde er 1810 Schüler des Würzburger Gymnasiums, das zu dieser Zeit im Gebäude der alten Universität im Herzen der Stadt untergebracht war. Neben Grammatik, Rhetorik, Religion, Geschichte sowie Fremdsprachen standen noch die "Realien" Mathematik und Erdkunde auf dem Lehrplan des Gymnasiums, dessen Aufgabe es war, den Schülern eine "Vorbereitung zu den höheren streng wissenschaftlichen Studien" zu vermitteln. Dabei ging es nicht nur um Wissensakkumulation, sondern vor allem darum, zum wissenschaftlichen Denken zu erziehen. Durch diesen Unterricht – sowie durch den Privatunterricht bei Dr. Lotz – war Siebold für seine wissenschaftliche Laufbahn bestens gerüstet.

Naturwissenschaftlich-experimentelle Forschung

Am 12. November 1815 schrieb sich Philipp Franz von Siebold in der medizinischen Fakultät der Universität Würzburg ("Alma Julia") ein und studierte dort ohne Unterbrechung zehn Semester lang. Die Fakultät hatte zu dieser Zeit ein äußerst modernes Profil und war auf der Höhe des wissenschaftlichen Fortschritts. Die medizinische Klinik war mit so prominenten Vertretern wie Cajetan von Textor und Johann Lukas Schönlein besetzt. Dieser führte naturwissenschaftliche Methoden in die Diagnostik ein und legte die Grundlagen für die Überwindung der Humoralpathologie (Viersäftelehre), welche sein Schüler Rudolf Virchow Mitte des 19. Jahrhunderts endgültig vollzog.

Ignaz Döllinger (1770 – 1841) Quelle: Siebold-Museum

Im Studium erhielt Siebold auch eine solide Grundausbildung in Chemie, Botanik und Arzneiwissenschaft, d. h. vor allem Pharmakotherapie. Einen besonderen Glücksfall stellte für den jungen Studenten die Tatsache dar, dass er ab dem Wintersemester 1816 bei Ignaz Döllinger (1770 – 1841), dem Professor für Anatomie und Physiologie und Jugendfreund seines Vaters, wohnen durfte. Döllingers Hauptforschungsgebiet war die Embryologie, weshalb er vor allem mit dem Mikroskop arbeitete. Dabei wollte er ein Grundproblem lösen: War im Sinne einer Präformation der Bauplan im Keim bzw. Embyro schon vorgezeichnet, oder entwickelte sich das Leben stufenweise im Sinne einer Epigenese? Einer der ersten, die für die epigenetische Theorie plädierten, war der Mediziner Caspar Friedrich Wolff (1734 – 1794). Auf dessen Forschungen baute Döllinger auf und ließ einen seiner Schüler, Heinrich Christian Pander (1794 – 1865), die Entwicklung des Kükens im Ei erforschen. Die Untersuchungen, für die etwa 3000 Eier "geopfert" wurden, fanden zum Teil im Hause Döllingers statt. Dabei wurden alle Studenten, die bei Döllinger wohnten, als "Hilfskräfte" herangezogen, so auch Philipp Franz von Siebold. Dieses experimentelle Herangehen an komplexe Fragestellungen hat ihn sicherlich geprägt und ist ihm bei seinen späteren Forschungen in Japan zugute-gekommen.

Im September 1820 legte Siebold die medizinische Prüfung mit der Note "ausgezeichnet" ab. Einen Monat später stellte er sich einer öffentlichen Disputation an der Fakultät und wurde zum Doktor der Medizin promoviert mit dem Versprechen, eine Dissertation über die Anatomie der Zunge nachzuliefern. Die Arbeit wurde jedoch nie gedruckt. Hoffentlich setzt man in Zeiten wie diesen nicht ein Verfahren in Gang, um dem berühmten Japanforscher, der oft in einem Atemzug mit Alexander von Humboldt genannt wird, posthum den Doktortitel abzuerkennen. Siebolds Leistungen auf den Gebieten der Botanik, Zoologie und Ethnologie bleiben jedenfalls bestehen. Letztlich ist er auch ein Mitbegründer der modernen Japanologie. Die Basis für seine Forschungen wurde in der Dom- und Universitätsstadt Würzburg gelegt.


Dr. Dr. Thomas Richter
Der Autor ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie und Vorsitzender der Landesgruppe Franken.


Literaturtipp: Andreas Mettenleiter: "Von Pfründnern, Kranken und Studenten" – Unterhaltsames aus der Geschichte des Würzburger Juliusspitals, 5 Bände, Pfaffenhofen 2012.


Museum


Siebold-Museum

Frankfurter Str. 87, 97082 Würzburg

Tel. (09 31) 41 35 41

http://siebold-museum.byseum.de

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 14.30 bis 17.30 Uhr



DAZ 2013, Nr. 14, S. 77

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