Aus Kammern und Verbänden

Missionspharmazie des 16. bis 18. Jahrhunderts

Anregungen für die moderne Phytotherapie?

Katholische Missionare des 16. bis 18. Jahrhundert praktizierten in Übersee eine der jeweiligen Situation angepasste Missionspharmazie, die auch die unterschiedlichen Materiae medicae rund um den Globus nutzte. Das damals gesammelte Wissen könnte der heutigen Phytotherapie Anregungen geben, sagte die Marburger Pharmaziehistorikerin Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou in einer Vortragsveranstaltung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP) in Würzburg.

Kulturtransfer in der Pharmazie

Um die medizinisch-pharmazeutische Versorgung in vielen überseeischen Missionen kümmerten sich Missionare im Sinne der Caritas. Sie legten sich Hausapotheken an, bezogen Arzneien aus den Ordensapotheken in den großen Städten und ließen Heilpflanzen anbauen: sowohl europäische wie Knoblauch, Rosmarin, Minze und Salbei als auch einheimische wie (in Amerika) Tabak, Giftwurzel oder Mexikanisches Traubenkraut.

Einheimische Kräuterkundige informierten die Missionare über ihre Arzneidrogen und assistierten ihnen bei der Krankenbehandlung. So vollzog sich ein interkultureller medizinisch-pharmazeutischer Wissensaustausch.

Missionspharmazeutische Literatur

Da die meisten heilkundlich tätigen Missionare nicht als Ärzte oder Apotheker ausgebildet waren, benutzten sie einschlägige Handbücher für den alltäglichen Gebrauch (Manuale); darin standen Rezepturen zur Arzneibereitung aus vor Ort verfügbaren Drogen und Ausführungen über die Ursachen, Diagnosen und Therapien verschiedener Erkrankungen. Ein solches Werk ist die Materia médica misionera, das der Jesuit Pedro Montenegro Anfang des 18. Jahrhunderts in Paraguay verfasste. Es enthält etwa 150 Monografien meist amerikanischer Heilpflanzen wie Passionsblume, Matestrauch, Papaya, Ananas, Kakaobaum, Jaborandi und Tabak – mit Angaben zu Morphologie, Habitat und therapeutischen Eigenschaften sowie einfachen Rezepturen.

Weitere Autoren missionspharmazeutischer Werke waren die Jesuiten Sigismund Aperger aus Tirol (Tratato breve de medicina, 18. Jh.), Johann Steinhöfer (Florilegio medicinal, Mexiko 1712), Paul Klein (Remedios faciles, Manila 1712) und Michael Boym aus Polen. Das Werk Medicus sinicus (17. Jh.) des Letzteren war mehr als ein Manuale, denn es berichtete umfassend über die Materia medica sowie Krankheits- und Therapiekonzepte der chinesischen Medizin.

Ordensapotheken

Für die Arzneiversorgung in den Missionen richtete der Jesuitenorden in größeren Städten eigene Apotheken ein, etwa in Santiago de Chile, Lima, Quito, Rio de Janeiro, Goa, Macao und Manila. Sie waren oft die einzigen Apotheken vor Ort und entwickelten sich zu Stätten des internationalen Arzneidrogenhandels. So lieferte die Ordensapotheke in Lima Chinarinde, das erste wirksame Malariamittel überhaupt, nach Europa, wo diese in den Arzneischatz aufgenommen wurde, aber auch reexportiert wurde, z. B. nach China. So bildeten die Ordensapotheken ein weltweites Netzwerk, in dem sich ein intensiver Austausch von Arzneidrogen und speziellen pharmazeutischen Kenntnissen vollzog.

Rezeptbücher aus den Ordensapotheken zeigen, wie die europäische Pharmazie die genuinen Materiae medicae nutzte. So enthielt der Brasilianische Theriak neben Bestandteilen des traditionellen europäischen Theriaks auch einige amerikanische Arzneidrogen, etwa die Brechwurzel, Jaborandiblätter und Copaivabalsam. Auch die erhaltenen Inventarlisten der Ordensapotheken führen zahlreiche autochthone Arzneidrogen der jeweiligen Missionsländer auf.

Da die heilkundigen Missionare sowohl die volksmedizinische Tradition einheimischer Völker als auch ihre eigenen Erfahrungen aus der täglichen Praxis in ihre Werke einfließen ließen, geben diese auch Auskunft über die Verwendbarkeit von Heilpflanzen, die in Europa nie bekannt geworden sind, in Vergessenheit gerieten oder eine andere als die ursprüngliche Anwendung in ihrem Ursprungsland erfahren haben. Viele der beschriebenen Heilpflanzen sind bis heute in der Volksmedizin der jeweiligen Länder gebräuchlich; ihre Erforschung mit modernen Methoden könnte Impulse für die Entwicklung moderner Phytotherapeutika geben.


Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou, Universität Marburg

Dr. Dr. Thomas Richter, Vorsitzender der DGGP-Landesgruppe Franken



DAZ 2012, Nr. 14, S. 116

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