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Zukunftsfünfer, Rentenkürzer oder Steuerschenker?

Die Pflegeversicherung in ihrer derzeitigen Form ist nicht mehr zukunftsfähig – darin sind sich Gesundheitspolitiker jeglicher Couleur einig. Über den Weg für Reformen – solidarisch oder individuell – streiten sich Politiker innerhalb und außerhalb der Regierung. Dabei bleiben die Betroffenen auf der Strecke.

Deutschland altert: Momentan müssen 2,3 Millionen Menschen regelmäßig gepflegt werden. Bis 2050 wird sich die Zahl verdoppeln. Es mangelt an Pflegeheimen und -kräften. Vor allem aber gibt es kaum Unterstützung für pflegende Angehörige. Es ist Zeit zu handeln – aber wie?

Noch im Koalitionsvertrag war die Rede von "verpflichtenden, individualisierten und generationengerechten" Lösungen, die auf private Vorsorgemaßnahmen setzen und nach wie vor von der FDP unterstützt werden. "Das Interesse der FDP an Versorgungsfragen – und nichts anderes ist die Pflegereform – beschränkte sich stets auf die Versorgung ihrer Cheflobbyisten aus der privaten Versicherungswirtschaft", schreibt dazu die taz-Kolumnistin Heike Haarhoff. Obwohl 2011 als "Jahr der Pflege" ausgerufen wurde, sind die Probleme ungelöst. Das Bundesministerium für Gesundheit bastelt noch immer an einem Konzept.

Kollektiv oder individuell?

Nun drängt Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf neue Bewertungskriterien: "Zukünftig muss der Grad der Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen eine größere Rolle spielen, es geht dann nicht mehr alleine um körperliche Unzulänglichkeiten." Ambulante Dienstleister sollen pflegende Angehörige stärker als bisher entlasten. Rein medizinische Behandlungen soll die GKV erstatten.

Für diese Reform ist mit zwei Milliarden Euro zusätzlich zu rechnen, deshalb tendiert der Politiker zu einer "moderaten Anhebung des Pflegesatzes", in der Größenordnung von 0,05 Prozentpunkten. Um den Beitragssatz zu stabilisieren, müsse ein "kollektiver Kapitalstock als Vorsorgefonds" aufgebaut werden – entgegen dem Koalitionsvertrag, der auf individuelle Finanzierungskonzepte setzt. Ginge es nach Spahn, sollten alle Bürger fünf Euro pro Monat einzahlen. Diese "Zukunftsfünfer" – gewinnbringend angelegt – könnten über Zinseinnahmen die Pflege auch in den kommenden Jahren bezahlbar machen. Arbeitgeber jedoch würden nicht zur Kasse gebeten.

Im gleichen Atemzug planen die Christdemokraten eine Stärkung der privaten Altersvorsorge über die Riesterrente: Mehr Einkommen, mehr Geld für die Pflege – so lautet die Devise. Entsprechende Produkte des Kapitalmarkts ließen sich "durch einige wenige Änderungen um einen Pflegebaustein erweitern", weiß der Gesundheitspolitiker Rolf Koschorrek (CDU). Auch die betriebliche Altersvorsorge (bAV) soll einbezogen werden.

Geld aus anderen Quellen

Angesichts dieses Vorpreschens der Union kam umgehend die liberale Retourkutsche: "So ist ein gemeinsamer Kompromiss in der Pflege nicht möglich", kritisierte Daniel Bahr (FDP). Auch die CSU lehnt ab. Die Regierung solle lieber "bei der solidarischen Pflegeversicherung bleiben und stattdessen überlegen, die Demenzkranken in ein Bundesleistungsgesetz mit einzubeziehen", so CSU-Chef Horst Seehofer. Seine Partei plant, schwere Fälle von Demenz, schwer Pflegebedürftige sowie Behinderte aus der Pflegeversicherung herauszunehmen und über Steuergelder zu finanzieren.

Ein weiterer Vorschlag kommt von Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU). Sie rechnete aus, dass es möglich wäre, aufgrund der guten Konjunkturlage den Rentenbeitrag 2012 von 19,9 auf 19,6 Prozent zu senken. Diese 0,3 Prozent – das sind rund drei Milliarden Euro – könnten in die Pflegereform wandern. Der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) unterstützt den Vorschlag. Doch die FDP will davon nichts hören.

Daniel Bahr verschob das Projekt Pflegereform auf unbestimmte Zeit. Übereinstimmend warnen Politiker wie Sozialverbände aber vor dem "Nichtstun" angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Situation.


Michael van den Heuvel



KOMMENTAR

Belastungen paritätisch schultern


Das "Jahr der Pflege" neigt sich dem Herbst entgegen. Viel ist bisher nicht passiert – es gibt Konzepte, Kontroversen und Konflikte. Rund 2,3 Millionen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bleiben derweil im parteipolitischen Geplänkel auf der Strecke. Doch in den vorgestellten Konzepten verbirgt sich sozialpolitischer Sprengstoff: Immer mehr verabschieden sich Gesundheitspolitiker von der paritätischen Finanzierung wichtiger Sozialleistungen. Weder beim "Zukunftsfünfer" noch beim FDP-Modell der individuellen Zusatzversicherung spricht noch jemand von einer angemessenen Beteiligung der Arbeitgeber.

Das Modell aus Niedersachsen klingt zwar auf den ersten Blick weniger schmerzlich, ist aber konjunkturabhängig. Deshalb müsste zumindest sichergestellt sein, dass die Finanzierung aus Steuergeldern garantiert ist, wenn es der Wirtschaft wieder schlechter geht.

Mit ihrem Angebot, schwer Pflegebedürftige steuerlich zu unterstützen, zeigt sich die CSU zwar mehr als generös. Woher Horst Seehofer die Mittel nehmen will, verrät er aber auch nicht. Und ärmere Bundesländer als Bayern hätten ohnehin nicht diesen Puffer.

Jetzt muss eine trag- wie kompromissfähige Lösung gefunden werden. Wahrscheinlich hilft nur, die Beiträge zur Pflegeversicherung moderat zu erhöhen, getragen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Als Alternative wäre eine solidarische Pflege-Bürgerversicherung denkbar, in die alle in Abhängigkeit von ihrem Einkommen einzahlen.


Tanja Kratt, ADEXA, Zweite Vorsitzende

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