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Pflegebeitrag steigt ab 2013 um 0,1 Punkte

BERLIN (jz). Die Koalitionsspitzen haben sich vergangenen Sonntag auf den leicht erhöhten Pflegebeitrag geeinigt: Er liegt ab 2013 bei 2,05 Prozent, für Kinderlose bei 2,3 Prozent. Die von der FDP seit langem geforderte Einführung einer verpflichtenden Zusatzvorsorge ist vom Tisch. Vor allem den Demenzkranken sollen die gewonnenen Mittel von einer Milliarde Euro jährlich zugutekommen. Kritiker sprechen von einem "Pflege-Reförmchen".

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hält die gefundene Lösung für "vernünftig". Sie ermögliche es, die Situation für Pflegebedürftige und deren Angehörige schnell und wirksam zu verbessern. Der Koalitionskompromiss solle im ersten Halbjahr 2012 in Kraft treten. Bahr: "Ich möchte schnell wirksame Verbesserungen, sodass die Menschen dies in ihrem Alltag erleben." Durch die Beitragserhöhung sollen die Geldleistungen für ambulant versorgte Pflegebedürftige mit erhöhtem Betreuungsbedarf gesteigert und die Betreuung im stationären Bereich ausgebaut werden.

Bereits vor der geplanten Beitragsanhebung um 0,1 Punkte auf 2,05 Prozent zum 1. Januar 2013 sollen Altersverwirrte mehr Geld bekommen. "Wir werden eine neue Leistung für Demenzkranke schaffen", sagte Bahr. Eine Milliarde Euro werde dies kosten – damit wären die Einnahmen aus der Beitragssatzerhöhung gerade aufgezehrt. Der Minister versprach: Wer besondere Betreuung benötige, werde mehr bekommen als bisher. Nun soll der Regierungsbeirat, der bereits der früheren SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) Vorschläge für eine bessere Eingruppierung der Dementen in die Versicherung gemacht hatte, wieder eingesetzt werden: Er soll darlegen, wie an Demenz Erkrankte umfassend besser versorgt werden können. Bereits 2009 hatten die Experten ausgerechnet, dass eine Neueinstufung von Dementen bis zu vier Milliarden Euro kostet.

Verpflichtende Kapitalsäule vom Tisch

Vom Tisch ist die FDP-Forderung nach einer verpflichtenden Kapitalsäule – stattdessen soll eine steuerlich geförderte Zusatzversicherung für den Pflegefall eingeführt werden. Bahr sagte, er sei dennoch zufrieden mit dem Einstieg in eine Kapitaldeckung, auf die der Staat keinen Zugriff habe. Bahr ist sich sicher, dass mit den steuerlichen Anreizen für eine freiwillige Vorsorge nach dem Muster der Riester-Rente auch der Einstieg in eine private kapitalgedeckte Vorsorge gelinge. Er geht davon aus, dass trotz Freiwilligkeit eine geförderte private Zusatzvorsorge breit angenommen werde – immerhin gebe es 16 Millionen Verträge für Riester-Rente und 18 Millionen für betriebliche Altersvorsorge, hieß es im Bundesgesundheitsministerium.

Opposition: "Peinliches Pflege-Reförmchen"

Opposition, Sozialverbände und Krankenkassen zeigen sich von den Plänen enttäuscht: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bezeichnete sie als "Konjunkturprogramm für die private Versicherungswirtschaft". Den Betroffenen, insbesondere den Demenzkranken, werde damit kaum geholfen. Nach Ansicht von Nahles will sich die schwarz-gelbe Koalition mit den Absprachen zur Pflege und den geplanten Steuereinsparungen mit Mühe und Not über die Runden retten. Auch die SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner sagte: "Kurz bevor das von Ex-Gesundheitsminister Rösler ausgerufene Jahr der Pflege endet, präsentiert die Bundesregierung ein peinliches Pflege-Reförmchen."

Eugen Brysch, geschäftsführender Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, kritisierte die Anhebung des Pflege-Beitrages als "Farce" – auch der Auftrag an den Pflegebeirat, die Reform inhaltlich zu gestalten, sei nichts anderes als die Flucht vor der eigenen Verantwortung. Vonseiten des Deutschen Caritasverbands gab man zu bedenken, dass man aus den Berechnungen des Pflegebeirats bereits wisse, dass mindestens 0,16 Prozentpunkte mehr nötig seien, um den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff umzusetzen, machte Caritas-Präsident Peter Neher deutlich. Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher, kritisierte die Pflegereform enttäuscht als "unzureichend": Die Einführung einer "Bahr-Pflege" in Anlehnung an die Riester-Rente sei für diejenigen, die eine zusätzliche Absicherung am dringendsten bräuchten, am wenigsten finanzierbar, warnte sie.

Kritische Kassen

Unter den Ersatzkassen ist man einerseits froh, dass die Bundesregierung davon Abstand genommen hat, eine verpflichtende private Pflegezusatzversicherung einzuführen. Dort sieht man die Finanzierungspläne der Koalitionsrunde daher grundsätzlich positiv. Eine Beitragsanhebung um 0,1 Prozentpunkte – was 1,1 Mrd. Euro entspreche – sei angesichts des notwendigen Ausbaus der Leistungen für Demenzkranke auch durchaus verkraftbar, sagte Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Ersatzkassenverbandes vdek. Allerdings reiche sie nicht aus, "um die soziale Pflegeversicherung demografiefest zu machen und weitere Leistungsverbesserungen zu finanzieren". Von einer "Mini-Zwischenlösung ohne Nachhaltigkeit", sprach der Geschäftsführer des BKK Bundesverbandes, Heinz Kaltenbach.

Und auch unter den privaten Krankenversicherungen bedauert man, dass die Regierungskoalition sich nicht zu einer "großen Lösung mit einer verpflichtenden ergänzenden Pflegeversicherung" durchringen konnte. Dennoch sieht man dort die geplante steuerliche Förderung der freiwilligen privaten Vorsorge für den Pflegefall als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung: "Der Ausbau der kapitalgedeckten Vorsorge ist die richtige und gerade noch rechtzeitige Antwort auf die demografische Entwicklung in Deutschland", erklärte Reinhold Schulte, Vorsitzender des PKV-Verbandes. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde sich in den kommenden Jahrzenten immerhin verdreifachen. Schulte hofft darauf, dass die geplante finanzielle Förderung die Bereitschaft der Bürger zu privater Vorsorge deutlich erhöhen werde. "Bislang wird diese Herausforderung noch von zu vielen Menschen verdrängt."



DAZ 2011, Nr. 45, S. 36

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